Der König der Tiere trägt ein Hemd, hat zwei Beine und einen südafrikanischen Pass: Tiertrainer und Autor Kevin Richardson lebt seit 13 Jahren mit einem Löwenrudel. Sie nennen ihn den "Löwenflüsterer", "Kevin Löwenherz" oder den "König der Löwen": Der 36-jährige Verhaltensforscher, Tiertrainer und Autor Kevin Richardson arbeitet in einem privaten Wildpark in der Nähe von Johannesburg.
Der Verhaltensforscher und Tiertrainer Kevin Richardson wird von den Löwen im Rudel akzeptiert – ohne Peitsche und Gebrüll
Die 40 Löwen des Parks haben ihn als Chef akzeptiert, er darf in ihrer Mitte schlafen, mit ihnen kämpfen und spielen, sie kraulen und sogar küssen. Es sind auch seltene weiße Löwen dabei. 13 Jahre lang studierte Richardson jeden Charakterzug seiner Tiere. Heute erkennt er am Blick der Raubkatzen, ob sie traurig, aufgeregt oder zufrieden sind. Sein neuer Film erscheint im August. Elke Bodderas sprach mit dem Trainer.




Welt am Sonntag: Wie haben Sie es geschafft, dass die Löwen in Ihnen kein Frühstück sehen? Gebrüllt? Gejagt? Die Zähne gezeigt?
Kevin Richardson: Menschen glauben immer, dass man sich als Chef aufspielen muss. Bei den Löwen ist das nicht so. Die Männchen spielen ihre Rolle, aber das Sagen haben die Weibchen. Abgesehen davon ist unter Löwen die Position in der Hierarchie nicht so wichtig. Löwen sind stolz, man muss zu ihnen einen guten Draht haben, man braucht ein sicheres Auftreten und muss überzeugend sein, als Platzhirsch angenommen zu werden.
Welt am Sonntag: Was denken die Löwen von Ihnen? Halten sie Sie für einen Löwen?
Richardson: Sie wissen, dass ich keiner bin. Ich sehe anders aus, rieche anders, benehme mich anders als sie. Sie wissen, dass ich eine fremde Kreatur bin. In der Wildnis ist es auch nicht ungewöhnlich, dass sich fremde Arten zusammenschließen.
Welt am Sonntag: Wie verständigen Sie sich mit den Raubtieren? Können Sie knurren und brüllen?
Richardson: Ich kommuniziere genau wie sie – mit all meinen Sinnen. Die Löwen registrieren, wie ich sie berühre, wie ich schmecke, wie ich rieche, wie ich aussehe, wie meine Stimme klingt. Ganz wichtig ist der Geruch, der muss bei einem Löwen einfach stimmen…
Welt am Sontag: Wenn denen Ihr Aftershave nicht gefällt, kann das also tödlich für Sie ausgehen.
Richardson: Ach was. Wenn die Chemie stimmt, ist ihnen das egal. Unter Löwen muss man sich grundsätzlich riechen können – genau wie Liebespaare den Geruch des anderen mögen, unabhängig davon, welches Parfum er gerade aufgelegt hat. Auch draußen sind sie eigensinnig. Katzen bestimmen selbst wo es langgeht.
Welt am Sonntag: Hat Sie ein Löwe schon einmal angegriffen?
Richardson: Ja. Wie mit Menschen gibt’s auch mit Löwen immer mal Ärger. Man ist unterschiedlicher Meinung, das ist völlig normal. Solche Konflikte kann man ignorieren, oder man kann sie austragen. Bei einem Löwen als Gegner sollte man sich das allerdings immer gut überlegen.
Welt am Sonntag: Garfield, Tom oder Felix the Cat sind berühmt dafür, die Krallen auszufahren, wenn sie schlechte Laune haben. Kommt das bei Ihren großen Katzen auch schon mal vor?
Richardson: Löwen sind sehr verschmust und verspielt – und sie sind vor allem sehr viel sozialer und anhänglicher als Hauskatzen. Ein Stubenkater möchte am liebsten für sich sein, er entscheidet, wem er sich nähert und wessen Gesellschaft er akzeptiert. Für Löwen dagegen ist es schrecklich, allein zu sein. Sie lieben Gesellschaft.
Welt am Sonntag: Mit wem kommen Sie besser zurecht? Mit den Männern im Rudel? Oder den vielen Frauen?
Richardson: Kommt drauf an. Löwenmännchen können sehr zärtlich sein, aber auch sehr aggressiv. Sie sind zu 99 Prozent entspannt und zu einem Prozent tödlich. Ihre Aggressivität bricht dann hervor, wenn sie etwas beschützen wollen, Futter zum Beispiel oder ein Weibchen. Weibchen dagegen sind unabhängiger, aber auch launischer. Im Rudel sind sie diejenigen, die zur Jagd gehen und das Futter ranschaffen. Grundsätzlich ist kein Löwe wie der andere. Jeder ist ein Individuum, wie ein Mensch. Der eine ist aufdringlich, der andere schnell genervt und scheu. Der eine will ständig gekrault werden und ist unglaublich anhänglich, der andere will sich auf keinen Fall anfassen lassen. Sie haben extrem unterschiedliche Persönlichkeiten.
Welt am Sonntag: Haben Sie einen besten Kumpel in Ihrem Rudel?
Richardson: Natürlich. Gleich mehrere. Mit einigen möchte ich am liebsten immer zusammen sein, mit anderen werde ich niemals richtig warm werden.
Welt am Sonntag: Mit einer Löwin sind Sie schwimmen gegangen. Wie kam das?
Richardson: Das war mein schönstes Erlebnis mit diesen großen Katzen. Löwen sind eigentlich wasserscheu. Diese Löwin hat sich bei mir so sicher gefühlt, dass sie mir ins Wasser gefolgt ist. Sie hat mich als Anführer akzeptiert und wusste, dass ihr in meiner Nähe nichts Schlimmes passiert. So ist sie mir vertrauensvoll gefolgt und hat das Bad sogar genossen. Es hat ihr Spaß gemacht, sie wollte sich amüsieren.
Welt am Sonntag: Hauskatzen lassen sich nichts vorschreiben. Wie schaffen Sie es, deren große Kollegen zu zähmen?
Richardson: Es ist eigentlich nicht besonders schwer. Ich habe viele Jahre damit verbracht, die Löwen zu beobachten und jeden Charakterzug an ihnen studiert. Heute erkenne ich am Blick eines Tieres, ob es aufgeregt, zufrieden oder traurig ist. Ich habe nie einen Stock oder eine Peitsche benutzt, ich versuche, mich in jedes Tier hineinzuversetzen und ihm meine Aufmerksamkeit zu schenken. Es gibt drei einfache Gesetze, wer die befolgt, hat schon fast gewonnen. Sie lauten: Nerv mich nicht, wenn ich schlafe. Erschreck mich nicht, sonst greife ich an. Bleib weg, wenn ich fresse.
Welt am Sonntag: Wenn Sie Löwen in Zoos sehen, wer leidet mehr: die Löwen oder Sie?
Richardson: Am liebsten sind mir natürlich Löwen in freier Wildbahn. Doch die werden immer seltener. In den letzten 15 Jahren ist die Zahl der wild lebenden Löwen um mehr als die Hälfte auf 30.000 Tiere gesunken. Noch immer können Touristen im südlichen Afrika einen Löwen als Jagdtrophäe schießen, für 40.000 Dollar. Löwen gehören nicht in Zoos. In den klassischen, alten Parks fühlen sie sich auch nicht besonders wohl. Moderne Zoos haben tolle Gehege für Löwen eingerichtet, sie können verschiedene Areale besuchen, umherwandern. Aber gegen das Leben in der Steppe ist das natürlich nichts.
Welt am Sonntag: Ihr Film heißt "Der weiße Löwe", Hauptdarsteller ist ein Tier, das aussieht, als käme es aus der Puderzuckertüte.
Richardson: Der weiße Löwe im Film heißt Letsatsi. Er wurde vom Rudel verstoßen und musste sich allein in der Wildnis zurechtfinden. Weiße Löwen sind wie rothaarige Menschen. Sie haben ein spezielles Gen, das nur sehr selten zutage tritt, eine seltene genetische Variante der braunen Löwen, eine Laune der Natur. Ihnen fehlt der Pigmentstoff der Haut, das Melanin. Diese Löwen sind Sonderlinge, oft Außenseiter. Unter den Buschvölkern gelten weiße Löwen als heilig, und ohne menschliche Hilfe und den Schutz im Reservat wären die Raubtiere wohl völlig hilflos. Die Farbe hat leider ihren Preis. Zu viel Blässe ist gefährlich, denn Melanin schützt die Haut vor Sonnenbrand unter der erbarmungslosen Sonne Afrikas. Außerdem sind die Raubtiere in ihrer steppenbraunen Umgebung so auffällig wie Eisbären in der Wüste. Bei der Jagd hat so ein Sonderling es schwer: Auf noch so leisen Pfoten kann er sich anschleichen – es nützt nichts. Egal, ob im hohen Steppengras, hinter dichten Büschen oder im Dunkel der Nacht: In jedem Hinterhalt verrät ihn sein Fell. Er kann sogar dem Rudel das Jagdglück verderben.
Welt am Sonntag: Sie haben auch viel mit Hyänen zu tun. Wer ist schwieriger? Ein brüllender Löwe oder eine kläffende Hyäne?
Richardson: Keine Frage. Die Hyänen. Sie sind sehr klug – und kompliziert. Sie haben mich öfter gebissen als die Löwen. Mit denen fühle ich mich immer wie unter Freunden. Sie sind zwar größer und viel stärker. Aber mir auch viel vertrauter.
Welt am Sonntag: Packt Sie manchmal die Angst?
Richardson: Natürlich. Das gehört zum Beruf. Meine Kameraleute haben auch oft Angst um mich. Einmal riss mich beim Spielen ein vierjähriges Männchen zu Boden und biss mich in den Hals. Ich habe mich nicht gewehrt, bin einfach nur ruhig geblieben. Da ließ er von mir ab.
Welt am Sonntag: Wie viele Narben haben Sie?
Richardson: Hin und wieder bekomme ich eine Kralle ins Fleisch. Aber so ist das unter Löwen.[/b]