Im Haus des Islam-Ist der Kampf der Kulturen entbrannt?

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tibesti
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Im Haus des Islam-Ist der Kampf der Kulturen entbrannt?

Beitrag von tibesti »

DER SPIEGEL 16/2006 - 15. April 2006
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,411407,00.html
Islam

Im Haus des Islam

Von Daniel Steinvorth und Bernhard Zand

Ist der Kampf der Kulturen entbrannt? Der SPIEGEL dokumentiert Freitagspredigten aus Moscheen in aller Welt. Die Imame lotsen ihre Gläubigen durch den Alltag, preisen die Wonnen des Paradieses, säen Zweifel an den staatlichen Autoritäten - oder predigen Hass auf den Westen.


Am vorigen Montag, dem 12. Rabi al-Awwal 1427, ruhte in den meisten islamischen Ländern der Verkehr, die Beamten hatten Urlaub, die Kinder schulfrei. Am 12. Rabi begehen die Muslime den Geburtstag des Propheten.

Die Ägypter feiern den Prophetengeburtstag, den Maulid al-Nabi, als eine Art islamisches Weihnachtsfest. In den Städten des Nildeltas ziehen Tausende mit Trommeln und Trompeten durch die Straßen, die Mädchen bekommen Puppen, die Jungen kleine Pferde aus Zucker geschenkt. Es ist das größte religiöse Volksfest in Ägypten.


In Pakistan setzen die Gläubigen einen als Beduinen verkleideten Knaben auf ein Pferd und lassen ihn durch die Straße reiten: die Wiederkehr des Propheten in Kindesgestalt - kein Widerspruch offenbar zum sonst vehement verteidigten Bilderverbot. In diesem Jahr endete Mohammeds Rückkehr allerdings in einem Blutbad: 57 Menschen kamen in Karatschi ums Leben, als ein Selbstmordattentäter beim Gebet eine Bombe zündete.

Der Islam hat viele Gesichter, und am Freitag vor dem Prophetengeburtstag haben SPIEGEL-Korrespondenten und -Mitarbeiter von Nigeria bis Indonesien Moscheen besucht, um sich vor Ort die Predigten der Imame anzuhören. Sie sind einem Verdacht nachgegangen, der sich über Jahre, zumal seit dem 11. September 2001, im Westen verfestigt hat: dass die Moschee vom Gebetshaus zu einem Hort des Extremismus geworden sei, zu einem Zentrum islamistischer Indoktrination. Der Kampf der Kulturen, so auch in Deutschland die gar nicht so heimliche Angst, sei längst in voller Schärfe entbrannt.

Radikale Prediger haben mit Eifer zu diesem Bild beigetragen. In einer Berliner Moschee schnitt ein Fernsehteam heimlich die Predigt eines türkischen Vorbeters mit, in der er die Deutschen als Gottlose bezeichnete und ihnen vorwarf zu stinken. In London rief der Hassprediger Abu Hamsa al-Masri die Gläubigen auf, Touristinnen in seinem Heimatland Ägypten umzubringen: "Wenn eine Frau, selbst eine muslimische Frau, nackt ist und du sie nicht anders verhüllen kannst, so ist es legitim, sie zu töten."

Andere Koran-Exegeten zeigen sich maßvoll, wenn sie zu einem westlichen Publikum sprechen - und deutlich radikaler, wenn sie sich an die Muslime wenden. Der Fernsehprediger Jussuf al-Kardawi, der vielleicht einflussreichste islamische Schriftgelehrte der Gegenwart, räumte in einem SPIEGEL-Interview großmütig ein, auch rechtgläubigen Christen und Juden stehe das Himmelreich offen. Auf seiner arabischen Website stellte er kurz darauf klar, dass Christen und Juden letztlich doch nur Ungläubige seien.

Worte des Hasses und der Diskriminierung - aber sind sie repräsentativ für die Abertausenden Freitagspredigten, die jede Woche von Millionen Muslimen besucht werden? Auch von denen, die gelegentlich ein Morgengebet verschlafen und deren Leben nicht ausschließlich um ihre Religion kreist?

Der Befund ist vielschichtig, als Faustregel kann gelten: Je virulenter ein Konflikt erscheint, in dem sich fromme Muslime vom säkularen Westen bedroht sehen, desto eifernder rufen auch die Prediger zu gottgefälligem Kampf auf.


Während sich in Istanbul oder Jakarta die Imame vornehmlich der theologischen Exegese widmeten, ertönten in Pakistan, in Iran oder im Gaza-Streifen die politischen Predigten. Dort peitschten die Religionsgelehrten ihre Zuhörer zu heiligem Furor auf und zogen eine scharfe Grenze zwischen dem Dar al-Islam, dem Haus des Islam, und dem Dar al-Harb, dem Haus des Krieges - jenen beiden Sphären, in welche die islamischen Rechtsschulen die Welt aufgeteilt haben.

Gleichzeitig gibt es aber auch, zum Teil in derselben Predigt, die Anrufung Gottes als Helfer in Alltagsnöten, den moralischen Appell an die eigene politische Führung und immer wieder den steten Trauergesang der islamischen Welt: den Vergleich zwischen dem düsteren Jetzt und der glorreichen Vergangenheit.

Die Nachrichtenlage am vorvergangenen Freitag hielt alle Zutaten für eine dramatische politische Predigt bereit: In der Nacht zuvor hatte die israelische Armee zwei Büros der Aksa-Brigaden im Gaza-Streifen beschossen; die USA und die Europäische Union kündigten an, der Hamas-Regierung ihre Finanzhilfen zu streichen. In der irakischen Stadt Nadschaf riss am Donnerstag eine Bombe 10 Menschen in den Tod, 70 weitere starben in Bagdad, als sie nach der Freitagspredigt die Moschee verließen. Die Washingtoner Regierung machte deutlich, dass sie keine neuerliche Kandidatur des Amtsinhabers Ibrahim al-Dschaafari für den Posten des irakischen Premierministers will.

Zwischen Iran und dem Westen zeichnete sich bereits die nächste Zuspitzung im Atomkonflikt ab. Hohe religiöse Würdenträger nannten die Forderung der Uno, die Urananreicherung einzustellen, inakzeptabel. Das Weiße Haus, enthüllte dann am Wochenende das Intellektuellenblatt "The New Yorker", beschleunige die Ausarbeitung der Pläne für einen Militärschlag auf Irans Atomanlagen. Der Mullahstaat wiederum, verkündete Präsident Mahmud Ahmadinedschad, habe erfolgreich Uran angereichert und sei nun Mitglied im Club der Atommächte.


Doch diese prekäre Weltlage kommt beispielsweise in der Predigt von Didin Hafiduddin, dem Imam der Istiqlal-Moschee in Jakarta, nicht vor. Seine Ansprache in einem der größten Gebetshäuser der Welt trug den Titel "Professionalität und ehrliche Treuhänderschaft" und hörte sich an wie ein Vortrag auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Hafiduddin erzählte den Gläubigen im bevölkerungsreichsten islamischen Land der Erde vom Israeliten Josef, dem Wirtschaftslenker im Dienste des ägyptischen Pharao. Er versucht, die auch in der Bibel erwähnte Geschichte auf das moderne Indonesien zu übertragen, einen Staat, der den Kampf gegen die Korruption aufgenommen hat.

"Setze mich über die Speicher des Landes; siehe, ich bin ein kluger Hüter", schlägt Josef in der nach ihm benannten Koran-Sure dem Pharao vor. Niemand sei je ein derart effizienter Manager gewesen wie Josef, so der Imam in Jakarta. An seinen Fähigkeiten sollten die Führer der Gegenwart sich orientieren, denn "Korruption, Trägheit und Betrug bringen Zerstörung hervor". Dagegen belohne Gott Sachverstand und eine "strikte Arbeitsethik" mit Glück und Erfüllung.

Der moralische Appell an die eigene politische Führung ist ein Leitmotiv in den Ansprachen muslimischer Prediger - und gleichzeitig ein Reflex auf die starren autokratischen Verhältnisse in vielen islamischen Ländern.

Wenn Scheich Ibrahim Abu Bakr Ramadan im nigerianischen Kano die "Ungerechtigkeit, die von der Führung ausgeht", als "die schlimmste in unserer Gesellschaft" beklagt, ist das noch eine relativ milde Abmahnung: Präsident Olusegun Obasanjo strebt eine Verfassungsänderung an, um sich nach Ablauf seiner Amtszeit 2007 noch einmal wählen zu lassen.

Der Maulana Khalil Ahmad verglich im pakistanischen Peschawar die monotheistischen Weltreligionen und pries, wenig überraschend, den Islam als die vollendetste: "Vor allem im Christen- und Judentum sowie im Kommunismus herrschen Widersprüche vor." Das war zahm gegen die Predigt, die sein Kollege Abd al-Akbar Chitrali in der Woche zuvor an gleicher Stelle gehalten hatte. Der hatte sich über den Anspruch von Staatschef Pervez Musharraf mokiert, Pakistan wahre Demokratie beschert zu haben. Was Musharraf vorschwebe, sei der "westliche Säkularismus" seines Vorbilds Mustafa Kemal Atatürk, hatte der Prediger geschimpft. Der Gründer der modernen Türkei sei schließlich ein Mann gewesen, "der Moscheen in Kirchen verwandelt und Gelehrte der Schrift hat umbringen lassen. Hört mir zu, Muslime! Unser Ideal ist nicht Kemal Atatürk. Musharraf versucht nicht nur, den Westen und die USA zufriedenzustellen, sondern für immer an der Macht zu bleiben".

Ähnliche Vorbehalte gegen ihre Staatsführung hegen auch viele Imame in Ägypten und in der Türkei. Doch wenig davon war in ihren Predigten zu hören. In beiden Ländern stehen die Moscheen unter der Kuratel des Sicherheitsapparats. In Ägypten geht das so weit, dass der Großscheich der Azhar-Universität, der traditionell höchsten Autorität sunnitischer Gelehrsamkeit, direkt vom Staatspräsidenten ernannt wird und folglich als dessen Sprachrohr gilt.

Entsprechend beschaulich fiel am Vorabend des Prophetengeburtstags die Predigt an der Azhar aus. Der Redner, Scheich Id Abd al-Hamid Jussuf, pries Mohammed als den vollkommensten aller Propheten: "Es wird uns nie gelingen, seiner Erinnerung gerecht zu werden."

Damit der Funke nicht vom Religiösen aufs Politische überspringt, stehen in Kairo bei jeder Freitagspredigt Hunderte Polizisten in den Straßen um die Azhar-Moschee. Selten haben sich die Gläubigen in den vergangenen Jahren nach dem Gottesdienst zu einem Protestmarsch formiert - und wenn, dann bestand die Demonstration zu einem großen Teil aus Zivilpolizisten. An diesem Freitag ist solche Vorsicht überflüssig: Imam Jussuf warnt vor allzu hitzigem Glaubenseifer: "Der Extremist pflügt keine Erde, er lässt keine Blumen sprießen."

Souverän nutzt Emrullah Hatipoglu, der Imam der Blauen Moschee in Istanbul, den Spielraum, den ihm das staatliche Präsidium für Religionsangelegenheiten einräumt. Er tritt der Auffassung der säkularen Elite des Landes entgegen, der Islam sei eine rückwärtsgewandte, wissenschaftsfeindliche Religion. "Lies, im Namen deines Herren, der geschaffen hat", beginne der Koran, und diesem Bildungsbefehl habe der moderne Muslim zu folgen: "Physik, Chemie, Mathematik, Astronomie ... Lest das!" Mit gleichem Eifer sollen die Gläubigen aber auch den Koran lesen: "Da gibt es keine Ausrede. Niemand kann behaupten, er könne den Koran nicht lesen. Habt ihr keine Computer, keine CDs?"

Danach folgt ein Katechismus, der sich wie ein Wahlprogramm des heutigen Premierministers Tayyip Erdogan aus den neunziger Jahren anhört, als er noch Bürgermeister von Istanbul war und gegen Alkoholausschank, Prostitution und die unaufhaltsame Verwestlichung der Türkei zu Felde zog. Heute, das Ziel des EU-Beitritts vor Augen, ist Erdogans islamistische Rhetorik weitgehend verstummt, aber der Konflikt mit dem säkularen Establishment, vor allem der Armee, köchelt weiter - in den Predigten einer staatlich gegängelten Geistlichkeit.

Klar sind dagegen die Fronten in Palästina, noch klarer die in Iran. 25 Minuten lang spricht Imam Talal al-Madschdalawi im Gaza-Streifen über den bevorstehenden Prophetengeburtstag und über die Notwendigkeit, ständig über Gott und den heiligen Koran nachzudenken. Dann folgt, in den letzten fünf Minuten, das politische Resümee seiner Predigt: "Gestern sind auf uns 200 Geschosse abgefeuert worden", sagt der Imam. "Was hindert uns daran, beim Einschlag jedes Geschosses an Gott zu denken?"

Es ist eine dialektische Denkfigur, die seit langem den Diskurs der Islamisten bestimmt: Je härter uns der Feind schlägt, je deutlicher er uns seine vermeintliche Überlegenheit vorführt, desto enger rücken wir zusammen, desto entschlossener sind wir, ihm entgegenzutreten.

Alles, auch das nächtliche Bombardement der israelischen Luftwaffe, folge einer großen göttlichen Weisheit: "Hasse nicht das Böse, es könnte eine Gabe Gottes für dich sein." Das ist die islamistische Antwort auf die Frage der Theodizee: Wenn Gott allmächtig ist, warum ist dann so viel Übel in der Welt?

Vor einem ähnlichen Problem steht Hodschatolislam Ahmed Chatami, der im Hof der Universität Teheran vor Tausenden iranischen Gläubigen spricht. Er beginnt den politischen Teil seiner Predigt mit dem verheerenden Erdbeben in der Provinz Lorestan und lobt das "fleißige islamische Regime für die Bewältigung dieser Schwierigkeiten".

Die Gemeinde will aber auch anderes hören. "Tod Amerika! Tod England und seiner Hinterlist! Kernenergie ist unser selbstverständliches Recht!", haben die Gläubigen skandiert, als Chatami ans Pult trat. Er enttäuscht sie nicht. Er spricht den Karikaturenstreit an und beschwört die Einheit von Sunniten und Schiiten im Angesicht "der Beleidigung des Propheten". Er verteidigt, unter Berufung auf den Koran, das Recht auf Widerstand. "Die Hochachtung für unsere 27 Jahre alte Revolution hat mit unserem Widerstand zu tun. Viele Krisen hat man eurer großen Nation bereitet, aber wir haben sie mit erhobenem Haupt hinter uns gelassen." Dann kommt er auf den Atomkonflikt zu sprechen.

"Sie haben uns einen Monat Zeit gegeben, um die Forschung einzustellen", sagt er in Anspielung auf den Uno-Sicherheitsrat. "Ein Monat, ein Jahr - ihr könnt uns so viele Ultimaten geben, wie ihr wollt." Iran bestehe auf seinem Recht, und das bedeutet, "dass wir bis zu unserem letzten Atemzug und mit unserem Blut für unser Recht geradestehen werden".

So hat Chomeini gepredigt, es ist die Sprache der Konfrontation. Chatami verweist auf die jüngsten Marinemanöver "in den blauen Gewässern des Persischen Golfs" und droht: "Wenn ihr auch nur ein Zeichen von Aggression gegen das islamische Regime wagen solltet, dann werden wir euch mit unserer Faust einen Schlag aufs Maul geben." Mit einer Anrufung Gottes endet seine Predigt: Er möge dem geliebten Iran Schutz und seinen verehrten Führern Erfolg gewähren und sie alle als Soldaten des Wali-je Asr annehmen - des zwölften, des Verborgenen Imam. "Beschleunige seine Auferstehung", beschwört er den Allmächtigen.

Das Freitagsgebet ist überall auf der Welt der Höhepunkt der Woche im Leben eines frommen Muslim. Es war ein Freitag, an dem Adam das Paradies betrat, und es war ein Freitag, an dem es wieder verließ. Auch der Tag der Auferstehung, so soll Mohammed gesagt haben, werde ein Freitag sein. "Gott gab sowohl den Juden als auch den Christen den Befehl, den Freitag als den Tag der Verehrung zu feiern", heißt es in einem seiner überlieferten Aussprüche. "Aber sie missachteten diesen Auftrag." Im Koran sehen die Muslime die letzte, die vollkommene Offenbarung Gottes. Jede Freitagspredigt erinnert sie daran.




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