US-Irak-Krieg: "Finanziell unverantwortlich"

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tibesti
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US-Irak-Krieg: "Finanziell unverantwortlich"

Beitrag von tibesti »

DER SPIEGEL 14/2006 - 03. April 2006
URL: http://www.spiegel.de/spiegel/0,1518,409152,00.html
SPIEGEL-Gespräch

"Finanziell unverantwortlich"

Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz, 63, über die wahren Kosten des Irak-Konflikts, seine Folgen für den Ölmarkt sowie die Frage, ob sich der Westen Sanktionen gegen Iran leisten kann

SPIEGEL: Professor Stiglitz, zum Beginn des Irak-Kriegs hoffte die Bush-Administration, dass die ganze Angelegenheit so gut wie nichts kosten würde ...

Stiglitz: ... die haben wirklich geglaubt, dass der Irak mit Hilfe seiner Öleinnahmen den Wiederaufbau selbst bezahlt.

SPIEGEL: Nach Ihren Schätzungen soll der Konflikt die USA tatsächlich eine Billionensumme kosten. Woher kommt diese gravierende Differenz?

Stiglitz: Erst einmal ist dieser Krieg weit schwieriger, als die Regierung erwartete. Sie dachte, die US-Truppen marschieren einfach dort ein, jeder würde dankbar sein, wir würden eine demokratische Regierung einsetzen und abziehen. Jetzt dauert es aber viel länger, ständig muss der Haushalt an die neue Lage angepasst werden. Die offiziellen Zahlen stiegen von 50 auf 250 Milliarden Dollar. Und das Haushaltsbüro des Kongresses erwartet, dass das finanzielle Abenteuer 500 Milliarden Dollar oder noch mehr kosten wird.

SPIEGEL: Das ist immer noch viel weniger als Ihre Schätzung.

Stiglitz: Die Regierungszahlen enthalten doch nicht einmal alle Ausgaben aus dem offiziellen Haushalt. Allein im vergangenen Jahr sind unsere militärischen Operationskosten im Irak um gut 20 Prozent gestiegen. Wir müssen erheblich mehr Geld ausgeben, um neue Soldaten zu rekrutieren, um unsere GIs mit ordentlichen Prämien im Dienst zu halten - und um die Gesundheitsversorgung verletzter Veteranen zu garantieren. Wenn Sie dann noch die volkswirtschaftlichen Kosten durch den hohen Ölpreis hinzurechnen, kommen Sie auf Gesamtausgaben von über einer Billion Dollar, und das ist konservativ geschätzt. Vergleichen Sie das mal mit dem ersten Golfkrieg, wo Amerika beinahe einen Gewinn machte.

SPIEGEL: Weil Deutschland und andere Staaten zahlten?

Stiglitz: Wir haben unseren Alliierten für gebrauchtes Militärgerät den Neupreis in Rechnung gestellt und uns neu ausgestattet. Aber dieses Mal wollen die meisten leider nicht noch einmal zahlen.


SPIEGEL: Hat sich Präsident Bush schlicht verrechnet, oder glauben Sie tatsächlich, dass er die Öffentlichkeit über die wahren Kosten getäuscht hat?

Stiglitz: Ich glaube, es war beides. Er wollte glauben, dass es einfach und günstig wird. Es gibt überwältigende Belege, dass sie manches im Weißen Haus einfach nicht hören wollten. Larry Lindsey ...

SPIEGEL: ... ein früherer Wirtschaftsexperte im Weißen Haus ...

Stiglitz: ... veranschlagte die Kosten schon 2002 auf bis zu 200 Milliarden Dollar. Ich denke, das war zur damaligen Zeit eine sehr seriöse Insider-Schätzung. Er wurde entlassen. Sie wollten das nicht hören.

SPIEGEL: Über die Kosten eines Kriegs zu reden ist in den USA nicht üblich, hohe Ausgaben gelten als notwendiges Opfer. Warum ist das beim Irak-Krieg jetzt anders?

Stiglitz: Das hier ist kein Weltkrieg, es gab kein Pearl Harbor, keinen Angriff, gegen den wir uns hätten verteidigen müssen. Wir hatten die Wahl, ob wir den Irak angreifen wollen oder nicht.

SPIEGEL: Kann sich Amerika diesen Krieg überhaupt noch leisten?

Stiglitz: Ja, aber eine bis zwei Billionen Dollar ist eine Menge Geld. Wenn unser Ziel Stabilität im Nahen Osten, eine sichere Ölversorgung oder die Verbreitung der Demokratie ist, dann denken Sie nur, was man mit dieser Summe erreichen könnte. Die reichsten Länder der Welt geben jährlich 50 Milliarden Dollar für Entwicklungshilfe aus. Wir reden über mindestens das Zwanzigfache. Glauben Sie nicht, dass man damit Besseres anfangen könnte, um Frieden und Stabilität zu schaffen?


SPIEGEL: Bush würde sagen, dass das Geld gut angelegt ist, um einen weiteren Anschlag in den USA zu verhindern.

Stiglitz: Niemand nimmt dieses Argument ernst, die meisten glauben doch, dass das Risiko durch den Irak-Krieg nur noch größer geworden ist.

SPIEGEL: Wie haben Sie die Kosten des Kriegs kalkuliert?

Stiglitz: Die offiziellen Zahlen sind nur die Spitze des Eisberges. Ein Beispiel: Soldaten werden schwerst verwundet, aber wir können sie am Leben erhalten. Die Kosten sind enorm. Die Bush-Regierung tut alles, um dies zu vertuschen. 17.000 Verletzte sind inzwischen zurück, ungefähr 20 Prozent von ihnen mit schweren Kopf- und Hirnverletzungen. Selbst die 500-Milliarden-Schätzung enthält nicht die Kosten für die lebenslange Pflege dieser Veteranen. Und diese Regierung ist nicht einmal großzügig mit den Heimkehrern oder den Witwen und Kindern der Getöteten.

SPIEGEL: Wie meinen Sie das?

Stiglitz: Wenn Sie in Amerika bei einem Autounfall verletzt werden und den Fahrer verklagen, bekommen Sie für Ihre Verletzungen viel mehr, als wenn Sie für Ihr Land kämpfen. Was für eine Doppelmoral! Die Zahlungen für einen toten Soldaten betragen 500.000 Dollar, aber der statistische Durchschnitt für den Wert eines Lebens in den USA liegt bei rund 6,5 Millionen Dollar. Sie riskieren Ihr Leben für Ihr Land und bekommen wenig, Sie überqueren die Straße und werden angefahren und bekommen viel.

SPIEGEL: Wie viel kostet die Versorgung eines hirnverletzten GIs?

Stiglitz: Vier Millionen Dollar, und das ist eine moderate Zahl. Allein für diese Gruppe werden sich die Kosten auf rund 35 Milliarden Dollar belaufen, Summen, über die niemand redet. Selbst das Veteranenministerium musste seine ursprüngliche Schätzung verwundeter Kriegsheimkehrer revidieren und ging zuletzt davon aus, dass es viermal so viel Verletzte sind wie ursprünglich angenommen. Kein Wunder, dass es den Kongress um 1,5 Milliarden Dollar Soforthilfe ersuchen musste.

SPIEGEL: Wenn die Kosten für die grausam Verstümmelten so sehr in die Höhe gehen, warum sorgte die Regierung dann nicht für besser gepanzerte Fahrzeuge und Körperschutz?

Stiglitz: Natürlich könnten wir uns eine solche Ausrüstung leisten. Aber unser Verteidigungsminister Donald Rumsfeld sagt, ihr kämpft mit dem, was ihr habt. Das ist gewissenlos. Das Militär schaut auf die kurzfristigen Kosten. Wenn Sie heute an der Ausrüstung knausern, spart man Geld und lässt die hohen Gesundheitskosten für die nächsten Präsidenten. Ich halte das für finanziell und moralisch unverantwortlich.

SPIEGEL: Der Krieg könnte für die Soldaten sicherer und für Amerika günstiger sein?

Stiglitz: Genau.

SPIEGEL: Sind solche Waffengänge selbst für so reiche Länder wie die Vereinigten Staaten nicht mehr zu finanzieren?

Stiglitz: Wir sind eine 13-Billionen-Dollar-Ökonomie. Es geht nicht darum, ob wir es uns leisten können, sondern ob wir dafür unser Geld ausgeben wollen. Stecken wir unsere begrenzten Ressourcen in den Irak-Krieg, fehlt uns das Geld an anderer Stelle. Wir haben doch die Fernsehbilder von New Orleans gesehen. Unsere Nationalgarde ist eigentlich für solche Katastrophen da, aber sie war im Irak, und wir sind weniger geschützt.

SPIEGEL: Vor der Invasion hat die Bush-Regierung behauptet, ein kurzer, erfolgreicher Krieg sei der beste Weg, den Ölpreis niedrig zu halten. Damals kostete ein Barrel 25 Dollar, heute sind es über 60. Wie viel davon geht auf den Irak-Konflikt zurück?

Stiglitz: In unserer Studie über die Kriegskosten schätzen wir, dass es fünf bis zehn Dollar sind. Wir wollten vorsichtig sein, so dass niemand unsere Zahlen in Frage stellt, und es hat übrigens auch niemand getan. Aber ich glaube, wir haben die Zahlen viel zu niedrig angesetzt.

SPIEGEL: China und Indien haben die Nachfrage angeheizt, die Weltwirtschaft wächst. Das treibt doch die Preise nach oben.

Stiglitz: Bei wachsender Nachfrage steigt das Angebot - so funktionieren Märkte normalerweise. Jetzt beobachten wir, wie die Ölnachfrage steigt, doch es gibt keine entsprechende Reaktion auf der Angebotsseite. Die Antwort ist einfach, es liegt am Irak. Aber nicht nur, weil dessen Produktion am Boden liegt.

SPIEGEL: Sondern?

Stiglitz: Der Nahe Osten ist der preiswerteste Produzent der Welt, Sie können dort ein Barell Öl für 10, 15, oder 20 Dollar fördern. Wir besitzen heute die Technik, um in anderen Gebieten Öl für 35 bis 45 Dollar zu fördern. Aber wer will dort investieren, wenn er befürchten muss, dass der Nahe Osten vielleicht in fünf Jahren wieder zu den bekannten Kosten liefert?

SPIEGEL: Wollen Sie wirklich behaupten, dass Stabilität im Nahen Osten die Ölpreise wieder auf 25 Dollar drücken könnte - trotz des gewaltigen Energiehungers weltweit?

Stiglitz: Ja. Das ist übrigens das Preisniveau, auf das Ölhändler im Warentermingeschäft vor Kriegsausbruch spekulierten.

SPIEGEL: Der wirtschaftliche Druck auf Bush, seinen Kurs zu ändern, müsste demnach gewaltig sein.

Stiglitz: Die Einzigen, die bisher von diesem Krieg profitiert haben, sind Bushs Freunde in der Ölindustrie. Er hat der amerikanischen und der Weltwirtschaft keinen guten Dienst erwiesen, aber seine Kumpel in Texas könnten nicht glücklicher sein. Sie verdienen am besten bei hohen Ölpreisen. Ihre Profite sind auf Rekordniveau.

SPIEGEL: Sie mögen Ihren Präsidenten aber wirklich nicht.

Stiglitz: Das ist nichts Persönliches, es geht mir nur um seine Politik.

SPIEGEL: Aber was ist denn nun mit dem alten Sprichwort, Krieg sei gut für die Ökonomie?

Stiglitz: Der Zweite Weltkrieg war untypisch, Amerika war zuvor in der Großen Depression. Der Krieg hat geholfen, aus dieser Abwärtsspirale herauszukommen. Dieses Mal ist der Krieg, kurz- wie langfristig, schlecht für die Wirtschaft. Wir hätten stattdessen eine Billionensumme in Forschung oder Bildung investieren können, das hätte unsere Wettbewerbsfähigkeit verbessert.

SPIEGEL: Ist die ökonomische Katastrophe Amerikas aus Ihrer Sicht größer als die politische?

Stiglitz: Wir sind so reich, wir können auch das überstehen. Andere Investitionen werden verschoben, die Wirtschaft wird geschwächt: Zu einer handfesten Krise hat sich das noch nicht ausgewachsen. Aber es gibt eine Erosion. Und vergessen Sie nicht Iran und Nordkorea. Statt mit den wahren Problemen umzugehen, haben wir unsere Kraft verbraucht, um uns mit weit weniger wichtigen Fragen herumzuschlagen.

SPIEGEL: Wie sehen Sie als Wirtschaftsexperte den Iran?

Stiglitz: Mit unserer Politik unterstützen wir ausgerechnet jene, die Bush zur Achse des Bösen rechnet. Die Iraner erzielen Rekordgewinne durch unsere Irak-Politik. Teheran könnte über die hohen Ölpreise nicht glücklicher sein.

SPIEGEL: Stellen wir uns für einen Moment vor, dass der Weltsicherheitsrat wirklich Ölsanktionen gegen Iran verhängt. Was wären die Folgen für die Weltwirtschaft?

Stiglitz: Das wäre ein enormer Schlag, der Barrel-Preis könnte leicht über 100 Dollar klettern. Einen Anstieg von 25 auf 40 Dollar können die Menschen ja noch ganz gut verkraften. Steigt der Preis auf über 60 Dollar, werden sie unglücklich, aber sie stellen sich darauf ein, indem sie kleinere Autos kaufen und weniger fahren. Bei 100 oder 120 Dollar bedeutet es gravierende Veränderungen des Lebens: Die Autoverkäufe brechen ein. Arme Menschen müssen sich entscheiden, ob sie lieber ihre Wohnung heizen oder essen wollen.

SPIEGEL: Sie glauben, wir können uns gar keine Sanktionen leisten?

Stiglitz: Wir reden darüber, iranischen Offiziellen keine Visa mehr für ihre Reisen in unsere Länder auszustellen.

SPIEGEL: Das ist keine wirklich drakonische Maßnahme.

Stiglitz: Nein, viel bringt das nicht. Aber wirksamere Sanktionen haben wir nicht.

SPIEGEL: Herr Stiglitz, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

Das Gespräch führten die SPIEGEL-Redakteure Frank Hornig und Georg Mascolo.


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Zum Thema:

Zum Thema in SPIEGEL ONLINE: · Regierungsbildung: USA und Großbritannien erhöhen Druck auf irakische Führung (03.04.2006)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 13,00.html
· Anhörung im US-Senat zu Bushs Lauschangriffen: Ex-Berater Nixons zieht Vergleich zu Watergate-Affäre (01.04.2006)
http://www.spiegel.de/politik/ausland/0 ... 76,00.html




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