Neues Lauschgesetz: «Es geht um Totalüberwachung»

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Turon

Neues Lauschgesetz: «Es geht um Totalüberwachung»

Beitrag von Turon »

Neues Lauschgesetz: «Es geht um Totalüberwachung»

30. Mai 09:32

Der Bundesrat plant weitreichende neue Überwachungsmaßnahmen für Internet und Telefonie. Datenschützer sehen darin «einen Anschlag auf das Recht auf unbeachtete Kommunikation». Interview.

Netzeitung: Herr Weichert, am Freitag soll im Bundesrat ein neues Gesetz zur Verbesserung von Ermittlungsmaßnahmen im Bereich des Kindesmissbrauchs verabschiedet werden, das neue Überwachungsmöglichkeiten im Internet- und Telekommunikationsbereich vorsieht. Was genau kritisieren Sie an dem Entwurf?

Thilo Weichert: Das Gesetz sieht Ermittlungsmaßnahmen vor, die mit der Bekämpfung von Kindesmissbrauch nichts oder kaum etwas zu tun haben: Sämtliche Telefonverbindungsdaten, sämtliche Mobilfunk- und SMS-Verbindungen und jedes Surfen im Internet soll bei den Telekommunikationsanbietern auf bisher nicht begrenzte Zeit gespeichert werden, damit nicht nur die Polizei, sondern auch Verfassungsschutz, Militärischer Abschirmdienst und Bundesnachrichtendienst darauf zugreifen können. Eine Enschränkung dieses Zugriffs ist nicht vorgesehen. Es geht also nicht um konkrete Strafermittlungen, sondern um die Totalüberwachung sämtlicher Formen von Telekommunikation.

Netzeitung: Sie sehen Abhörbefugnisse in einer neuen Dimension?

Weichert: Bisher hat jeder Mensch das Recht auf anonyme Telekommunikation. Betritt er zum Beispiel im Internet einen virtuellen Buchladen, so darf heute niemand wissen, dass er und wann er dies tut und welche Angebote er sich anschaut. Künftig soll eine Identifizierungspflicht bestehen. Die Sicherheitsdienste sollen all diese Informationen anfordern können.

Netzeitung: Wie ist die bisherige Regelung - und warum wird sie
geändert?

Weichert:
Bisher dürfen nur die Verbindungsdaten von Diensteanbietern gespeichert werden, die zur technischen Abwicklung des Dienstes und zur Abrechnung der Kosten nötig sind. Nachdem diese Notwendigkeit weggefallen ist, müssen die Daten unverzüglich gelöscht werden. Der Grund der Änderung ist uns Datenschützer nicht erkennbar. Die Politiker haben das beschlossen, weil die Geheimdienste und die Polizei das verlangen.

Netzeitung: Müssen den Ermittlern dank der steigenden Anzahl an Internet-gestützten Verbrechen nicht stärkere Werkzeuge in die Hand gegeben werden?

Weichert: Gegen fallbezogene Ermittlungsarbeit im Netz ist aus Datenschutzsicht nichts einzuwenden. Dafür gibt es auch schon heute die nötigen gesetzlichen Befugnisse: Abhörmöglichkeiten, die anlassbezogene Beschaffung von gespeicherten Verbindungsdaten, die Abfrage von Bestandsdaten. Sollte es tatsächlich weitere Notwendigkeiten geben, kann darüber diskutiert werden. Was nun aber gesammelt werden soll, ist Datenschrott, mit dem die Ermittler kaum etwas anfangen können, weil professionelle Kriminelle trotz der geplanten Regelung die technische Möglichkeit haben, ihre Daten zu verschleiern.

Netzeitung: Was passiert, wenn der Entwurf am Freitag tatsächlich verabschiedet wird? Rechnen Sie damit?

Weichert:
Ich befürchte angesichts der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat, dass diese Regelung beschlossen wird. Die letzte Hoffnung ist dann der Bundestag. Angesichts der bisherigen Sicherheitsgesetzgebung nach dem 11. September muss man aber skeptisch sein. Der Bundestag wird den Vorschlag nur zurückweisen, wenn ihm klar gemacht wird, dass diese Regelungen verfassungswidrig sind und dass die Bevölkerung ihre Totalüberwachung ablehnt.

Netzeitung: Wurden Sie als Datenschutzbeauftragte ausreichend gehört?

Weichert: Weichert: Wir haben zufällig von dem geplanten Beschluss vor zwei Tagen erfahren. Von einer Anhörung oder gar eine Diskussion kann keine Rede sein. Ob aus dem Internet nur ein Fahndungsnetz wird, hängt davon ab, ob die Betroffenen - und das sind in diesem Fall alle Bürgerinnen und Bürger - sich so etwas gefallen lassen.

Das Interview führte Ben Schwan.

Dr. Thilo Weichert ist stellvertretender Datenschutzbeauftragter des Landes Schleswig Holstein und Vorsitzender der Deutschen Vereinigung für Datenschutz. Die Netzeitung sprach mit ihm in Kiel.


http://www.netzeitung.de/servlets/page? ... tem=191792

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