"Der Dollarkurs muss sinken"
US-Ökonom Bergsten fordert eine kontrollierte Abwertung des Greenback
Kurzfristig kann es nach Einschätzung des renommierten Ökonomen C. Fred Bergsten zwar durchaus zu einer Erholung des Greenback kommen. Auf längere Sicht sieht der Wirtschaftswissenschaftler aber keine Alternative zu einer deutlichen Abwertung des Greenback. Bergsten ist Direktor des Institute for International Economics (IIE) in Washington, von dem es heißt, es sei der einflussreichste Think Tank der Welt. Bergsten arbeitete mehrfach für die US-Regierung, unter anderem als Assistent für Henry Kissinger und unter Jimmy Carter als Staatssekretär im Finanzministerium. Zuletzt war er Berater von Präsident Bill Clinton. Mit Bergsten sprach Martin Halusa.
DIE WELT: Vor drei Jahren haben Sie einen Euro-Kurs von 1,25 Dollar prognostiziert - nun steht er immerhin wieder bei 92 Cent, Tendenz: steigend. Hat der Greenback im Euro endlich seinen Konkurrenten gefunden?
C. Fred Bergsten: Kurzfristig, das heißt in diesem Jahr, könnte es beim Euro zwar durchaus noch einmal einen Rückschlag geben. Ursache hierfür ist die starke wirtschaftliche Erholung in den USA. Ich bin aber - wie schon vor drei Jahren - absolut überzeugt, dass wir mittelfristig einen deutlichen Rückgang des Dollar erleben werden. Zugleich wird der Euro deutlich an Wert zulegen. Der Kurs wird vielleicht zu dem Wert zurückkehren, den er bei seiner Einführung hatte - also um die 1,20 Dollar, vielleicht sogar 1,25 Dollar.
DIE WELT: Das heißt umgekehrt, dass sie den Dollar derzeit für deutlich überwertet halten?
Bergsten: Auf jeden Fall. Der Dollar ist mindestens 20, vielleicht sogar 25 Prozent überbewertet - im Bezug auf das Leistungsbilanzdefizit und in Bezug auf die US-Konjunktur im Verhältnis zur Weltwirtschaft.
DIE WELT: Die US-Regierung will nichts gegen den starken Dollar unternehmen. Die Exportindustrie ruft jedoch nach Interventionen - wann wird sich Washington dem Ruf nach sicheren Jobs beugen?
Bergsten: Es gibt derzeit einen immens großen Druck auf die Regierung, etwas zu tun. So etwas habe ich in meinem Berufsleben - und das sind immerhin 30 Jahre - noch nicht erlebt. Der Druck ist auch größer als in den 80er-Jahren als der Dollar noch stärker überbewertet war als jetzt. Dies ist das erste Mal, dass die Industrie, die Gewerkschaften und die Landwirtschaft gemeinsam von der Regierung spürbare Schritte verlangen. Dieser Druck wird auf Dauer zweifellos Wirkung zeigen.
DIE WELT: Die USA plagt ein stetig wachsendes Handelsdefizit. Wie kann es eingedämmt werden?
Bergsten: Der Wechselkurs ist das wichtigste Instrument hierfür. Man könnte natürlich auch das Defizit senken, in dem man die Wirtschaft langsamer wachsen lässt - aber das ist offensichtlich keine so gute Idee. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass die Volkswirtschaften in Japan und Europa deutlich wachsen - entsprechende Anstrengungen gibt es durchaus. Aktiv handeln kann die US-Politik aber nur beim Wechselkurs. Eine Abschwächung des Dollarkurses um ein Prozent Veränderung verringert das Defizit um zehn Mrd. Dollar. Eine Abwertung um 25 Prozent käme also einem um 250 Mrd. Dollar geringeren Defizit gleich - dies wäre fast die Hälfte des aktuellen Minussaldos
DIE WELT: Die USA beeindrucken derzeit wieder mit bemerkenswerten Wachstumsraten. Lassen sich diese halten?
Bergsten: Sicherlich nicht, denn die Hälfte des Wachstums von 5,8 Prozent im ersten Quartal geht auf das Konto der abgebauten Lagerbestände. Ich bin aber davon überzeugt, dass die Fundamentaldaten sehr stark sind und die Wirtschaft eine solide Basis hat. Die Produktivität wächst um drei Prozent pro Jahr, der Arbeitsmarkt um ein Prozent. Deshalb können die USA in diesem und im kommenden Jahr ein durchschnittliches Wachstum von vier Prozent erreichen.
DIE WELT: Es sind also weder weitere Zinssenkungen noch die von Bush geforderte weitere Steuersenkung nötig, um den Wachstumsmotor weiter zu ölen?
Bergsten: Genau. Es hat genügend Impulse für den Aufschwung gegeben. Die Wirtschaft geht wieder bergauf - schnell und steil. Und zwar aus drei Gründen: Steuersenkung, Zinssenkung und ein niedrigerer Ölpreis.
DIE WELT: Welche ist die größte Bedrohung für den Aufschwung?
Bergsten: Das größte Risiko ist das wachsende Defizit in der Handelsbilanz. Dieses Defizit ist - so glaube ich - derzeit das einzig wirkliche Ungleichgewicht in der US-Wirtschaft. Wir befinden uns hier auf gefährlichem Terrain. Der Dollarkurs muss also sinken - aber vorsichtig und langsam. Denn ein zu schnell fallender Dollar würde die Inflation und die Zinsen erhöhen, die Börse ginge in die Knie und die Konjunktur wäre ernsthaft bedroht. Die USA und auch die G7 wären gut beraten, gemeinsam den Dollar abzuwerten, statt darauf zu warten, dass der Markt handelt.
US-Ökonom Bergsten: Dolla muß 25% runter!
Moderator: oegeat