Wenn ein Mann, der den Namen Lambsdorff trägt, sich zur Euro-Krise äußert, erwartet der Leser Realismus und marktwirtschaftliche Orientierung, zumal Alexander Graf Lambsdorff auf seiner Webseite für Bürgerrechte wirbt und gegen die wuchernde Ingerenz der Brüsseler Bürokratie wettert.
Die Euro-Krise zeigt: Deutschland ist führungslos und stolpert mit seiner Regierung von einer Konferenz zur anderen, um sich im Umfallen zu üben Diese Erwartung wird durch den Kommentar "Mehr Europa hat uns immer mehr Frieden gebracht“ aus der Feder des Neffen des ehemaligen Bundeswirtschaftsministers gründlich enttäuscht.
Der Autor, seit Jahren Mitglied des Europäischen Parlaments, hat die Äußerung eines britischen Publizisten und das offiziöse Zitat des Merkel-Freunds Sarkozy, Deutschlands Egoismus sei „kriminell“, zum Ausgangspunkt seiner Diagnose gemacht, aus der Euro/Griechenland-Krise sei eine Deutschland-Krise geworden, weil Deutschland sich isoliert habe.
Es spricht schon für sich, wenn Lambsdorff die Äußerungen von tradierten ausländischen Deutschland-Kritikern zum Maßstab seiner Diagnose macht.
Indessen mutet seine Bewertung des Gipfels am 21.Juli in Brüssel geradezu surrealistisch an. Denn er reiht sich damit in jene Schar grüner und ausländischer Deutschland-Gegner, denen das fiskalische Selbststimmungsrecht der Deutschen – also ihr Recht, über eigene Ressourcen auch selbst zu bestimmen – nichts und der Beifall der Empfänger von Transfers aus deutscher Kasse alles bedeutet.
Publizistisches Einkesseln
Lambsdorff hätte noch weitere Deutschland-Kritiker anführen können, die unser Land publizistisch einkesseln, um seine These zu stützen: Das Trommelfeuer der französischen, regierungsnahen Publizisten wie Christian de Boissieu und Jean Hervé Lorenzi („Le Monde“ vom 22.7.) gegen Deutschland hat Tradition in einem Land, das dem Nachbarn die Außenhandelsbilanz neidet und systematisch versucht, von der eigenen Wettbewerbsschwäche und den katastrophalen Staatsfinanzen (sechs Prozent Defizit und 85 Prozent der BIP-Schulden) abzulenken und seine ordnungspolitische Führung in Europa auch noch institutionell abzusichern.
Dies ist Frankreich – nachdem die Herren Sarkozy und Trichet am Vorabend des Gipfels die Bundeskanzlerin in die Mangel genommen haben – grandios gelungen: Wenn es das Veto des Bundestags nicht doch noch verhindert, würde das EFSF alsbald zum Währungsfonds mit mehr Befugnissen (bei geringerer Fachkompetenz) als der IWF.
Dieser wird auf Zuruf der EZB Staatsanleihen aufkaufen und Kredite an nicht kapitalmarktfähige Länder der Euro-Zone „präventiv“ ausreichen können. Er ist damit zum zentralen Vehikel der Pariser Politik geworden, die Marktkräfte und die von ihnen ausgehende, unverzichtbare Disziplinierung und Sanktionierung nationaler Fiskalpolitik außer Kraft zu setzen.
Zu dieser staatlich finanzierten Wettbewerbsverzerrung klatscht Graf Lambsdorff Beifall und qualifiziert sich damit für höchste Ämter in jenem Fonds-Zirkus, zu dem die Währungsunion geworden ist. Doch damit nicht genug. Lambsdorff bejaht sehenden Auges das Ende der nationalen Autonomie der Kreditnehmer-Länder in der Fiskalpolitik.
Griechenland und Irland erniedrigt
Als ob das griechische und irische Beispiel nicht ausreichend die hieraus folgenden Legitimitätsprobleme veranschaulichen: Griechenland, aber auch Irland empfinden die von EU und IWF oktroyierte Politik als erniedrigend, weil sie von außen kommt. Keine noch so rationale Ökonomik ersetzt demokratische Legitimation.
Wer dies ignoriert, bahnt der Tyrannis internationaler Organisationen den Weg und löst mitnichten die wirtschaftlichen Probleme mit der gebührenden Nachhaltigkeit. Es ist erstaunlich, dass ein prominenter deutscher Europaparlamentarier mit prononciert liberalem Anspruch der von Frankreich inspirierten „Bändigung der Marktkräfte“ durch einen europäischen Umverteilungsfonds Vorschub leistet.
Der Hinweis in diesem Zusammenhang, der Stabilitätspakt sei jetzt auf gutem Weg, ernst genommen zu werden, ignoriert alle Empirie der letzten zwölf Jahre und verkennt, dass Frankreich nach wie vor jedwede sanktionsbewehrte Stabilitätspolitik ablehnt. Mit Liberalismus haben die Positionen Graf Lambsdorffs nichts mehr zu tun.
In einem Punkt hat er indes recht. Deutschland ist führungslos und stolpert mit der Merkel/Schäuble-Regierung von einer Konferenz zur anderen, um sich im Umfallen zu üben. Dies liegt allerdings entgegen Lambsdorff nicht an einem Mangel an Kontinuität genscherscher Außenpolitik, sondern daran, dass der Niedergang des Auswärtigen Amtes auch unter Genschers Nachfolgern fröhlich vorangeschritten ist.
Brückenkopf Brüsseler Politik
Das Auswärtige Amt ist nicht das Zentrum einer konzeptionellen Strategie, die Deutschlands Interessen wahrt und Gleichgesinnte (in den Niederlanden, Finnland, Österreich und eventuell Schweden) sammelt, sondern ein Brückenkopf Brüsseler Politik in Deutschland geworden.
Neues Hilfspaket für Griechenland beschlossenObwohl dem Auswärtigen Amt die Federführung in der Europapolitik obliegt, übt es sich in der Verdichtung Brüsseler Wünsche und hat sich den EU-Granden willig ausgeliefert. Keine ständige EU-Vertretung arbeitet so „loyal“ mit der Brüsseler Verwaltung zusammen wie die ständige Vertretung der Bundesrepublik Deutschland und verkörpert damit die Raison d'être der alten Bundesrepublik: kein Wille zur Macht.
Ja, die Euro-Krise ist zu einer Deutschland-Krise geworden, und das ist gut so, weil auf diese Weise die Bürger unseres Landes die Schwäche ihres Staatswesens vor Augen geführt bekommen:
eine ordnungspolitische kompasslose Bundeskanzlerin, für die Macherhalt alles ist und der Prinzipien nichts bedeuten,
ein Außenminister ohne Format und
ein Finanzministerium, das unter dem Joch des Frankreich-Fans Schäuble aufgehört hat, Bewahrer fiskalischer Solidität zu sein.
Anfangssäuseln eines großen Sturmes
Deutschland kann sich in dieser Euro-Krise nur retten, wenn es erkennt, dass die vereinigte Parteipolitikerklasse die Krise fortwährend schürt.
Sie versucht nämlich – hierfür ist Lambsdorff ein treffendes Beispiel – die Räumung sämtlicher ordnungspolitischer Positionen in Brüssel bis hin zur Selbstaufgabe als politischen Erfolg darzustellen oder zumindest als Europa-geschuldet zu qualifizieren.
Der Griechenland-Kredit vor gut einem Jahr war nichts anderes als das Anfangssäuseln eines großen Sturmes. Er hat bereits die EU in ihren Grundfesten verändert.
Wer nur stellt sich diesem Sturm entgegen?
Der Autor ist Professor für öffentliche Finanzwirtschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin und Gründer des Thinktank www.europolis-online.org. Er hat am Verfassungsgericht eine Klage gegen die Griechenland-Kredite und den Euro-Stabilitätsmechanismus eingereicht. Sein Text bezieht
Quelle
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
(Albert Einstein, 1879–1955)