Und noch einer der von einer explodierenden Geldmenge ausgeht
"Papiergeld ist ein Experiment"
Von Michael Höfling 31. Januar 2010, 04:00 Uhr
Interview
Barclays-Chefvolkswirt Thorsten Polleit zur Krise des Währungssystems und den Vorzügen freien Marktgelds
Die Banken sind gerettet, dafür stehen jetzt die Retter selbst vor dem Bankrott. Ganze Staaten sind hoffnungslos überschuldet, Griechenland ist praktisch pleite und stürzt die gesamte europäische Währungsunion in eine schwere Krise. Und in den USA sieht es kaum besser aus.
Das Finanzsystem steht vor einer großen Bewährungsprobe.
Für Thorsten Polleit ist es nur eine Frage der Zeit, wann es kollabiert, sofern die Staatshaushalte nicht rigoros konsolidiert werden.
Der Chefvolkswirt von Barclays Capital plädiert für einen Neustart.
Die "Welt am Sonntag" sprach mit dem 42-Jährigen über die Idee vom "freien Marktgeld".
Welt Sonntag: Herr Professor Polleit, wann haben Sie zuletzt Bargeld aus dem Automaten gezogen?
Thorsten Polleit: Letzte Woche.
Welt am Sonntag: Was empfinden Sie, wenn Sie Geldscheine in den Händen halten?
Polleit:
Ein gewisses Erstaunen, dass so ein Scheingeld tagtäglich ein so großes Vertrauen bei den Menschen genießt.
Welt am Sonntag: Die Politik hat doch die Finanzkrise nach Ansicht vieler Experten gut in den Griff bekommen - und den Bürgern versichert, ihr Geld sei sicher.
Polleit: Zumindest wurde die Panik gestoppt. Dennoch hat wohl jeder, der sich vergegenwärtigt, was in den vergangenen zwei Jahren weltweit passiert ist, zumindest eine Grundbefürchtung mit Blick auf das Geldsystem zurückbehalten.
Welt am Sonntag: Gibt es denn Anhaltspunkte dafür, dass die Krise Vertrauen gekostet hat - und wenn ja, wie viel?
Polleit: Ein Anhaltspunkt ist sicher der Anstieg der Edelmetallpreise.
Nicht nur Gold, auch Silber, Platin und Palladium sind gestiegen, und das nicht nur in US-Dollar, sondern auch zu allen anderen bedeutenden Währungen.
Weil Gold das ultimative Zahlungsmittel ist, lässt sich das als Misstrauensvotum gegenüber Papiergeld werten.
Welt am Sonntag: Edelmetalle gelten vor allem als Schutz gegen Geldentwertung.
Für Inflation gibt es aber doch an den Zinsmärkten keine Anzeichen.
Polleit: Aber die könnte bald kommen. Wenn der Staat weiterhin seine Transfer- und Umverteilungspolitik mit neuem Geld finanziert,
dann wächst die Geldmenge, ohne dass entsprechendes Güterangebot entsteht. Die Historie zeigt, dass es dann nicht lange dauert, bis auch die Preise steigen, sich Knappheiten ergeben und der Geldwert schwindet. Und gerade Deutschland drohen ja weitere Schulden ...
Welt am Sonntag: ... wenn die europäische Währungsunion den Pleitekandidaten Griechenland retten sollte. Aus dem Umfeld von Politik und Europäischer Zentralbank heißt es ja, das Land müsse seine Probleme allein lösen.
Polleit: Als Ökonom fällt es mir schwer, Argumente zu finden, warum der Steuerzahler eines Landes von seiner Regierung haftbar gemacht werden sollte, um für das Leben auf Pump in einem anderen Land aufzukommen. Wenn die Bürger in Land A die Bürger in Land B wirklich finanzieren wollen, können sie ja freiwillig Staatsanleihen von Land B kaufen.
Welt am Sonntag: Angenommen, Griechenland würde fallen gelassen. Was hieße das für den Euro?
Polleit: Wenn ein Land seine Schulden nicht bedient, geht das zulasten der Anleihegläubiger. Das Land muss aber deswegen nicht aus der Währungsunion ausscheiden.
Allerdings würde so ein Vorfall wohl zu einer allgemeinen Neubewertung des Risikos von Staatsanleihen im Euroraum führen.
Das wiederum kann den Anreiz für andere Schuldnerländer geben, einem strauchelnden Land unter die Arme zu greifen. Sonst würde ihnen drohen, selbst von den Investoren auf den Prüfstand gestellt zu werden.
Und da es um die Staatsfinanzen ja in vielen Ländern nicht wirklich gut steht, ist natürlich auch der politische Anreiz groß, einem Land finanziell auszuhelfen.
Welt am Sonntag: Also noch mehr Schulden.
Gibt es einen Ausweg aus dieser Spirale?
Polleit: Ja, aber der erfordert Mut und Durchhaltevermögen von der Politik. Die Therapie bestünde darin, die Staatsverschuldung zu stoppen und die Kredite zurückzuzahlen.
Private Haushalte können ja auch nicht permanent auf Pump leben.
Eine Abkehr vom Verschuldungskurs hätte auch positive Nebeneffekte.
Es gäbe mehr Raum für privatwirtschaftliche Initiative, auch würden Investitionen und Beschäftigung gefördert.
Ein Staat, der nicht mehr auf Pump lebt, könnte allerdings natürlich nicht mehr all die Wohltaten verteilen, auf die sich viele eingerichtet haben.
Doch an der Abkehr vom Schuldenstaat geht letztlich kein Weg vorbei, wenn das Geld nicht Schaden nehmen soll.
Man kann nur hoffen, dass das gelingt.
Welt am Sonntag: Sie stehen der von den Ökonomen Hayek und von Mises begründeten österreichische Schule nahe, die das bestehende Währungssystem ohnehin kritisch beäugt. Diese Denkrichtung fordert statt des nicht einlösbaren Papiergelds ein sogenanntes freies Marktgeld. Was würde dieses "gute Geld" ändern?
Polleit: Das freie Marktgeld ist das ökonomisch überlegene System.
Man muss das im währungsgeschichtlichen Kontext einordnen und erkennen,
dass das Papiergeld ein erst seit Kurzem laufendes Experiment ist.
Zuvor waren über Jahrhunderte hinweg Gold und auch Silber für die Menschen das beste Geld.
Erst mit Beginn des Ersten Weltkriegs ging man von diesem Goldstandard ab, denn mit ihm hätte sich die Kriegführung nicht finanzieren lassen.
1971 wurden schließlich die letzten Überreste des Goldstandards beseitigt, damit brach die Epoche des reinen Papiergelds an.
In diesem System, in dem der Staat das Geldangebotsmonopol hält, wird nun Geld gewissermaßen aus dem Nichts geschaffen:
Es wird durch Kreditvergabe produziert,
ohne dass ihm entsprechende Ersparnisse gegenüberstünden.
Dieses Geld ist inflationär, und es verursacht zwangsläufig Wirtschafts- und Finanzkrisen.
Drohende Rezession und Arbeitslosigkeit werden dann mit noch mehr, noch billigerem Geld bekämpft. Wohin das führen kann, darauf haben die vergangenen zwei Jahre vielleicht schon mal einen Vorgeschmack gegeben.
Welt am Sonntag: Wäre freies Marktgeld die Rückkehr zum Goldstandard?
Polleit: Nicht zwingend. In einem freien Marktgeldsystem entscheiden die Marktakteure durch Angebot und Nachfrage, was Geld ist. Wahrscheinlich wäre es Gold, vielleicht aber auch Silber, Platin oder Palladium.
Welt am Sonntag: Jemand müsste das doch aber einführen.
Polleit:
Nein.
Wie bei jedem anderen Gut auch bestimmt das freiwillige Angebot an und die freiwillige Nachfrage nach Geld, was Geld iist, welche Qualität es hat und in welcher Menge es umläuft. Nehmen Sie den Fall, dass Ihr Nachbar und der Obsthändler in der kommenden Woche bereit sind, Äpfel gegen Silbermünzen zu tauschen. Oder das Möbelhaus möchte für seine Stühle Goldmünzen haben. Da hätten Sie ein freies Angebot an Geld und eine freie Nachfrage nach Geld.
Welt am Sonntag: Das ergäbe doch ein heilloses Währungs- und Inflationschaos.
Polleit: Ganz und gar nicht. Sie akzeptieren ja nicht irgendetwas als Geld. Sie würden sagen: Ich nehme nur Silber oder Gold im Tausch, weil ich weiß, meine Mitmenschen werden als Geld nichts anderes akzeptieren.
So würde sich schnell zeigen, was die härteste Währung ist.
Es ist ein einfaches System.
Zumal auch in einem freien Marktgeldsystem weiter wie gewohnt mit Bargeld, Schecks, Überweisungen und Kreditkarten gezahlt und Internetbanking betrieben werden kann. Der Unterschied zum heutigen Staatsgeldsystem ist, dass durch Kreditvergabe die Geldmenge nicht mehr ausgeweitet wird, und dadurch werden die schweren Störungen, die von inflationärem Geld ausgehen, beendet.
Welt am Sonntag: Ist das nicht eine ziemlich abwegige Vorstellung?
Polleit: Sie ist für die meisten in der Tat erklärungsbedürftig.
Die Idee vom freien Marktgeld ist dabei alles andere als neu, sie ist sogar die währungsgeschichtliche Norm. Und so weit weg ist die Idee gar nicht -
nehmen Sie noch einmal die steigenden Edelmetallpreise.
Darin zeigt sich ja auch eine Art Abstimmung.
Und es scheint eben immer mehr Marktteilnehmer zu geben, die dieses Metall als härteste Währung sehen.
Welt am Sonntag: Wie kann man sich den Übergang zwischen den Systemen vorstellen?
Polleit: Es müssten zunächst die gesetzlichen Grundlagen geschaffen werden, um einen Währungswettbewerb zu fördern. Die nationale Geldmenge könnte dann mit einem festen Umtauschverhältnis an das Gold gebunden werden, das noch in den Kellern der Zentralbanken lagert. Geldhalter erhalten damit das Recht, ihr Geld jederzeit in Gold umzutauschen. Danach kann das Staatsgeldsystem privatisiert werden, und die Menschen könnten ihr Zahlungsmittel frei wählen. Was sich genau etablieren wird, muss sich zeigen - Wettbewerb ist eben ein Entdeckungsverfahren.
Welt am Sonntag: Und das Papiergeld ist dann nichts mehr wert.
Polleit: Man kann auch zu einem bestimmten Zeitpunkt die ausstehenden Geldbestände zu 100 Prozent mit dem bei den Zentralbanken vorhandenen Gold decken. Auf diese Weise würde das Papiergeld in einem Übergangsszenario nicht vollständig seinen Wert verlieren.
Welt am Sonntag: Blicken Sie doch mal zehn Jahre in die Zukunft. Was ist Ihre Vision von einer Wirtschaftswelt 2020?
Polleit : Wenn nicht umgesteuert wird, wäre wohl der Tauschwert aller größeren Währungen drastisch gemindert, einige Währungsräume hätten vielleicht sogar eine Währungsreform hinter sich.
Allerdings bin ich optimistisch, dass die Gesellschaften zu gutem Geld als Grundlage einer freien marktwirtschaftlichen Ordnung zurückgefunden haben werden.
Welt am Sonntag: Welche Ratschläge kann man daraus für Anleger ableiten?
Polleit: Wie die Dinge stehen, sollte die Absicherung gegen Geldwertschwund im Vordergrund stehen.
Realvermögen dürfte sich künftig besser entwickeln als Zahlungsversprechen wie festverzinsliche Anleihen.
Zu den Sachwerten zählen Edelmetalle und solide Immobilien.
Weil der Unternehmenssektor die wirtschaftliche Keimzelle des Wohlstands ist, gehören
Aktien zum Realvermögens-Portfolio.
Die Auswahl ist jedoch wichtig:
Denn das eine oder andere Geschäftsmodell gerät bei Inflation in Bedrängnis.
Sinnvoll sind Versorger, Rohstoff- und Nahrungsmittelkonzerne,
zu meiden sind die Profiteure des Kreditbooms wie Finanzwerte.
Quelle
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
(Albert Einstein, 1879–1955)