Comodire Rivadavia, 29.1.2007
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Reiseroute
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Mein Interesse für Patagonien überdauerte..,denn der kalte Krieg hatte in mir eine gewisse Leidenschaft für die Geographie geweckt. Ender der 40er Jahre warf der Menschenfresser im Kreml Schatten auf unser Leben- man hätte seinen Schnauzbart durchaus mit Fangzähnen verwechseln können. Wir mussten uns Vorträge über den Krieg, den er plante, anhören. Wir erlebten, wie ein Professor für zivile Verteidigung Kreise um all die europäischen Städte zog, die total oder partiell zerstört werden würden. Wir sahen, dass diese Gebiete aneinandergrenzten und dass kein Plstz mehr zwischen ihnen blieb. Der Professor trug Khakishorts, seine Knie waren weiss und knorpelig, und wir sahen, dass die Lage hoffnungslos war. Der Krieg kam immer näher, und wir konnten nichts daran ändern. Als nächstes lasen wir von der Kobaltbombe, die schlimmer war als die Wasserstoffbombe und den Planeten in einer endlosen Kettenreaktion vernichten konnte.......Und doch hofften wir, den Sturm zu überleben. Wir gründeten ein Auswanderungskomitee und schmiedeten den Plan, uns in einem abgelegenen Winkel der Erde niederzulassen. Wir hockten über Landkarten. Wir studierten die Richtung der vorherrschenden Winde und die voraussichtlichen Fallout-Zonen. Der Krieg würde in der nördlichen Hemisphäre stattfinden, also konzentrierten wir uns auf die südliche. Die Inseln im Pazifik kamen nicht in Frage, denn Inseln sind Fallen. Auch Australien und Neuseeland schieden aus, und wir einigten uns auf Patagonien als den sichersten Platz auf Erden. Ich stellte mir ein niedriges sturmfestes Holzhaus mit einem Schindeldach vor, in dem Kaminfeuer loderte und an den Wänden die schönsten Bücher standen, einen Ort, wo man leben konnte, wenn die übrige Welt in die Luft flog.
Dann starb Stalin und wir stimmten Lobgesänge in der Kirche an, aber ich behielt mir Patagonien weiter in Reserve.
Bruce Chatwin
Ich trage den Süden in mir wie ein Schicksal des Herzens....
Ich suche den Süden, wo die Zeit Ewigkeit ist.
Argentinisches Lied
Nirgendwo ist auch ein Ort.
Paul Theroux über die weiten Ebenen Patagoniens
Die Ebenen von Patagonien können nur negativ beschrieben werden....ohne Wohnstätten, ohne Wasser, ohne Bäume tragen sie nur wenige zwerghafte Pflanzen....Warum haben denn nun aber, und das ist nicht bei mir allein der Fall, diese dürren Wüsten sich so einen festen Platz in meinem Gedächtnis errungen? Warum, frage ich mich, nimmt dieses spröde Land meinen Geist so gefangen ? Wieso beeindruckt mich eine ebenere, grünere, fruchtbarere und dem Menschen nützliche Pampa nicht gleichermaßen ? Es muß wohl an diesem Horizont liegen, der die Vorstellungskraft beflügelt.
Charles Darwin
Der große Sprung...
Aufbruch nach Patagonien
Die Fahrt in den Süden Argentiniens beginnt mit Autoproblemen. Nach einem 2-tägigen Zwischenstop bei Uspallata, wo wir auf einer weiteren (wenig attraktiven, als Hauptverbindung zwischen den Millionenstädten Santiago/Chile und Mendoza/Arg vielbefahrenen) Anden-Paßstrasse einen Pflichtbesuch des Aconcagua, des höchsten Berges Südamerikas unternehmen, setzen wir zu einem grossen Sprung Richtung Süden an. 1000 KM in zweieinhalb Tagen – erstmals auf dieser Reise reissen wir buchstäblich die KM runter. Absichtlich weichen wir ins Tiefland der Pampa aus, damit keine landschaftliche Ablenkung unser Vorwärtskommen stört – über Mendoza steuern wir die erste Stadt in Patagonien an: Neuquen. Nach einem Blick auf die Landkarte erscheint uns dieser Schritt notwendig, um noch ein (wettermäßig) akzeptables Zeitfenster für die Besichtigung des Südens zu haben.
Hinter Mendoza beginnen die weiten Ebenen der argentinischen Pampa; sie gehen anschliessend nahtlos in die patagonischen Steppenebenen über. Schnurgerade zieht sich das Asphaltband Kilometer für Kilometer Richtung Süden.
Dann endlich ist der Rio Negro erreicht- der Fluß und ein Kontrollposten der Polizei sowie die obligatorische Lebensmittelkontrollstelle markieren hier die Grenze zu Patagonien. Doch von der Leere Patagoniens ist nichts zu spüren: Das Verkehrsaufkommen ist enorm, zu den vielen LKWs gesellen sich eine Vielzahl von PKWs- es ist Januar und der Hauptreisemonat in Argentinien. Da nur wenige asphaltierte Hauptverbindungsstrassen hier im Süden das Land durchziehen, ballt sich der Verkehr auf diesen um so mehr. Kurz vor Neuquen stelle ich dann auf einmal fest, dass ein hinterer Radbremszylinder defekt ist; die Bremsflüssigkeit läuft aus und der starke Wind, der hier in den Ebenen ununterbrochen weht, hat die Flüssigkeit überall am Fahrzeug verteilt. Die Bremszylinder scheinen eine echte Schwachstelle dieser Mercedes-Modelle zu sein, so relativ häufig geben sie den Geist auf. An sich ist das keine grosse Sache, bloß: In Neuquen bei Mercedes stellt sich heraus, dass es in ganz Argentinien kein Ersatzteil für dieses Fahrzeugmodell gibt. Provisorisch wird wenigstens die Zuleitung für die Bremsflüssigkeit mit einem Stopfen verschlossen; jetzt ist der Verlust an Bremsflüssigkeit zwar gestoppt, allerdings auch die entsprechende Bremse an diesem Reifen stillgelegt- eine vorübergehende Notlösung. Der Service in dieser sehr kleinen Mercedesvertretung ist super, sehr hilfsbereit hat man nach einer Problemlösung gesucht und herumtelefoniert, doch es war nichts zu machen. An einer Tankstelle lassen wir anschliessend einen Ölwechsel vornehmen. Ich beobachte den Servicemenschen bei der Arbeit, wundere mich zwar, wie schwer er sich tut, die Ölablass-Schraube am Ölfiltergehäuse zu öffnen, denk mir aber nichts weiter dabei. Dann endlich können wir weiter- unser Ziel ist nochmals der Andenrand, wir wollen ins Land der Araukarien-Bäume, nach Araukarien. Kurz vor Erreichen unseres Etappenzieles nach 200 KM Fahrt spricht unser Auto dann mal wieder mit mir: „Schau, das ist doch ein schönes Fotomotiv. Willst du nicht mal aussteigen und ein Foto machen?“. Gesagt, getan. Ich halte am Strassenrand, steige aus und mich trifft der Schlag: Das ganze Fahrzeug ist unten ölverschmiert, wieder hat der Wind die Flüssigkeit verteilt, überall trieft und tropft es. Die Fehlerquelle ist schnell lokalisiert: Irgendwo ist das Ölfiltergehäuse nicht dicht. Ich fall fast in Ohnmacht und kontrollier schnell den Ölstand: ca. 3 l Öl haben wir auf diesen 200 KM verloren! Dieses Fahrzeug ist wirklich eine treue Seele: Schon mehrmals hat es mich aufgefordert: „Geh, schau, es ist doch so schön draussen, willst nicht mal aussteigen und ein bisserl ums Auto spazieren?“ Schon dreimal (zweimal davon auf der letzten Reise) hab ich auf diese Weise durch das Zischgeräusch einen Reifenschaden rechtzeitig entdeckt, bevor der Reifen endgültig platt war und konnte jeweils durch mehrmaliges Aufpumpen immer bequem eine Reifenwerkstatt erreichen und musste nicht selbst Hand anlegen. Jetzt werden wir vor weit schlimmerem bewahrt. Es hat sich damit voll ausgezahlt, dass ich in Anlehnung an Karl Mays „Kara Ben Nemsi“ (Gott hab ihn selig), der seinem treuen Kamel Rih jeden Abend eine Koran-Sure in Ohr pflüsterte, unserem Reisegefährt jeden Abend einige aufmunternde Worte in den Auspuff spreche. Ein Auto ist schliesslich auch ein soziales Wesen!!
Es sind zum Glück nur 14 KM bis zur nächstgelegenen Kleinstadt Zapala. Obwohl die Zeit schon sehr weit vorgerückt ist (9 Uhr abends) finden wir noch eine offene Werkstatt – und werden hier von einer unglaublichen Gastfreundschaft überwältigt. Das Problem ist schnell erkannt: die Ablassschraube wurde bei einem vorhergehenden Ölwechsel schief wieder hereingedreht (deshalb war es wohl auch so schwierig, sie zu öffnen), jetzt schliesst sie nicht mehr richtig ab, sitzt etwas locker- mit einer permanenten Dichtmasse wird sie wieder eingedreht und quasi festgeklebt. Schnell ists 11 Uhr am Abend- wir können selbstverständlich auf dem Hof übernachten. In der Zwischenzeit wurde der Grill angeworfen, das Fleisch aufgelegt, die Weinflaschen geöffnet. Es beginnt eine essens- und trinkmässig lustige Völlerei bis um drei in der Nacht. Beim Abschied am nächsten Morgen haben wir vor lauter Umarmungen und Küsschen links und Küsschen rechts fast das Gefühl, zur Familie zu gehören.
Ich ziehe eine kurze Zwischenbilanz aus technischer Sicht, in 7,5 Monaten schlagen zu Buche: ein durchgebrannter Anlasser wegen eines kurzgeschlossenen Relais in Uruguay (ich hatte Ersatz dabei, der alte wurde überholt), ein gebrochener Auspuffkrümmer am Motorgehäuse in Brasilien (ich hatte zum Glück Ersatz dabei, da das vor Jahren schon mal passierte), ein defekter Reifen in Argentinien (konnte geflickt werden, obwohl er schlauchlos ist), Starterprobleme in Paraguay und Chile, der Anlasser bleibt beim Startversuch tot (Fehlerquelle nicht lokalisierbar, ein neuer Starterknopf und eine neue direkte Stromleitung zum Anlasser lösen das Problem), ein defekter Radbremszylinder in Argentinien (keine Ersatzteile) und jetzt eine defekte Ölablassschraube am Filtergehäuse. Alles in allem eine recht ordentliche Bilanz, vor allem wenn man bedenkt, dass das Fahrzeug wahrlich nicht geschont wurde und von den inzwischen gefahrenen über 30.000 KM deutlich mehr als die Hälfte auf nicht asphaltierten Pisten von zum Teil recht zweifelhafter Qualität absolviert wurde.
Nach den diversen Abenteuern rund ums Fahrzeug gehts dann endlich weiter, wir steuern wieder Richtung Andenrand mit Ziel des argentinischen Seengebietes.
Im Umkreis des Nationalparks Lanin, der beherrscht wird von der Silhouette des gleichnamigen schneebedeckten Vulkans bewegen wir uns durch eine andine Landschaft, die hier komplett anders ist als weiter im Norden. Die Berge sind nicht mehr so hoch (bis 3800 m), und eingebettet in Araukarienwälder liegen Flüsse und Seen mit glasklarem Wasser. Die Gegend wirkt „lieblich“ und wird hier zurecht auch die „argentinische Schweiz“ genannt. Trotzdem gefällt es mir hier nur eher mässig, es fehlt die Weite und das Schroffe, das Spektakuläre der andinen Hochebenen des Nordens. Zudem fällt unangenehm auf: Weite Teile dieser Landschaft sind eingezäunt, selbst Seen und die schmalen Uferstreifen der Flüsse sind vielerorts nicht öffentlich zugänglich, sondern in Privatbesitz. Was Klaus Bednartz in seiner Patagonien-Reportage über die tiefen Ebenen der chilenischen patagonischen Steppen schreibt, trifft erst Recht auf diesen andinen Teil Patagoniens zu:
„Hier in der Pampa erscheint der Stacheldraht, neben der Weite, dem ewigen Wind und den bizarren Wolkenformationen am Himmel, als das auffallendste Charakteristikum; er ist geradezu allgegenwärtig. Jeder Flecken Erde, der den geringsten Nutzen haben könnte, ist umzäunt. Dicke Pfähle markieren den Besitzanspruch des Grundherren, zwischen ihnen verlaufen die Stacheldrahtreihen zuweilen bis in Schulterhöhe. Das gilt nicht nur für Weideflächen, sondern auch für Flussufer und ganze Seen. Und so mancher öffentliche Weg endet an einem Gatter, verschlossen mit einer Kette. Landbesitz bedeutet in Patagonien eben mehr als in Europa. Wer etwas kauft, dem gehört es mit allem Drum und Dran. Ob andere nicht mehr an einen See können oder an das Ufer, niemanden interessiert es. Die Gesetze werden schließlich für die Besitzenden gemacht. Die Zäune sind im Übrigen ein doppeltes Unglück für Patagonien gewesen. Durch sie sind die Indianer eines grossen Teils ihrer Jagdgründe beraubt worden. Zugleich führten sie zu einer nachhaltigen Dezimierung der riesigen Guanako-Herden, der wichtigsten Lebensgrundlage der indianischen Pampavölker. Die Hürden aus Stacheldraht versperrten ihnen den Weg auf ihrer winterlichen Wanderung von den Bergen zum Meer. Jungtiere, die den Sprung über die Zäune nicht schafften, verendeten elend. Außerdem wurden die immer enger gezogenen Zäune auch den Schafen zum Verhängnis- während des „weißen Erdbebens“ 1995 etwa. Früher sind die Schafe, die in Patagonien das ganze Jahr über auf der Weide bleiben, bei solch extremer Witterung einfach auf Anhöhen gezogen, wo es weniger Schnee gab. Dort hielten sie notfalls bis zu 45 Tage ohne Nahrung durch. Heute sind die einzelnen Weideflächen viel kleiner, die Wege auf die Hügel meist versperrt, und so ist in jenem Winter ein Großteil der Schafe beim Versuch, auf höhere Lagen zu kommen, an den Zäunen im Schnee erstickt.“.
Neben der zu sehr alpenländisch anmutenden Landschaft und der Zäune mißfällt mir außerdem die an manchen Orten doch inzwischen sehr weit fortgeschrittene touristische Erschliessung der Region. Zwar hält diese immer noch lange keinen Vergleich (auch was die Zahl der einheimischen Touristen angeht) mit europäischen Verhältnissen aus und ist aus Sicht der lokalen Bevölkerung natürlich legitim und verständlich, aber das alles ist nicht das, was ich mir unter „Patagonien“ als dem leeren, weiten und unwirtlichen Land vorgestellt haben. Wir sind leicht enttäuscht. So ist das nun mal. Wir reisen eben nicht mehr in den Anfängen der 1970er Jahren, sondern im 21.Jahrhundert. Ich erinnere mich noch lebhaft an unsere ersten Norwegenreisen um 1973, die zum Teil durch ähnliche Landschaften wie hier führten. Mit einem alten VW-Käfer erkundeten wir die Hochfjells zwischen den Fjorden, einsam war man damals unterwegs, auf nicht asphaltierten Wegen entdeckte man menschenleere Seen. Vor 8 Jahren dann ein Wiedersehen mit dieser Landschaft, die kaum noch wiederzuerkennen war. Vorbei war es mit der Leere, die Seen häufig bis zum letzten Fleck mit Wochenendhäusern zugebaut, die Pisten asphaltiert und ein endloser Strom von Wohnmobilisten konterkarierte den Begriff von der nordischen Leere. So weit ist es hier zum Glück noch lange nicht, aber der Wandel ist in vollem Gange.Doch das konnten wir ja bereits im Patagonien Trecking Guide nachlesen:
„Patagonien wäre bestimmt ein hervorragendes Objekt, um die Relation zwischen der Kühle des Klimas und solchen Tugenden wie Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit zu studieren. Wie dem auch sei, Patagonien ist ein dünn besiedeltes Land weitab der politischen Zentren der jeweiligen Länder. Gerade Mal knapp 3 Millionen Einwohner verteilen sich auf einer Fläche, die doppelt so gross wie Deutschland ist. Kein Wunder also, dass hier noch viel Platz ist für so manche „Verrücktheit“. Auch scheint mir, bedingt vielleicht durch die Weite des Landes und die relativ junge Geschichte (viele Menschen sind erst vor wenigen Jahren bzw. Jahrzehnten nach Patagonien gezogen) die Toleranz und Hilfsbereitschaft untereinander sehr groß ist. Dem Gast begegnet man in Patagonien normalerweise mit Respekt und auch Neugier. Bettelei, Diebstahl oder auch Raubüberfälle sind zum Glück noch Femdworte am Ende der Welt. Das man mit Touristen auch Geld verdienen möchte, ist völlig klar und legitim, aber man bekommt ja schließlich auch Einiges geboten. Augenfällig ist, dass Patagonien sich in einem tiefgreifenden Strukturwandel befindet. Die Estancien, riesige Schaffarmen, auf denen früher das weiße Gold Patagoniens weidete und die die wirtschaftliche Grundlage des Landes darstellten, verfallen nach und nach oder werden von reichen Ausländern aufgekauft. Schafwirtschaft lohnt sich in der alten Form kaum noch. Die Rolle des Gauchos als Schafhirte ist damit überflüssig geworden.Der moderne Schafhirte prescht mit dem Motorrad über die Pampa, Schilder mit dem Hinweisschild „Propiedad privada“ künden davon, dass unangemeldete Besucher unerwünscht sind. Welch großer Unterschied zu früher. Im Moment kann man die Zeitenwende parallel zueinander erleben. Sinnbild ist auf chilenischer Seite die neu ausgebaute PanAmericana zwischen Puerto Montt und Temuco. Auf dieser wie eine Autobahn ausgebauten Strasse zahlt man alle 50 KM an Mautstationen nach französischem Vorbild die fällige Gebühr. Alles erinnert an Europa, es sieht aus wie in Bayern, selbst schwarzweiße Kühe stehen auf der Weide.“
Was unseren Besuch dieser Gegend dann schliesslich doch lohnenswert macht, sind die andernorts sehr selten gewordenen wunderschönen Araukarien-Bäume, die hier immer noch teilweise in Waldstärke das Landschaftsbild prägen. Wir befinden in „Araukarien“, dem uralten Siedlungsgebiet der Mapuche-Indianer.
Mit seinem graden Stamm, der schrumpeligen Rinde und den geschuppten und stacheligen Blättern sieht sie fast aus wie ein mystisches Überbleibsel aus der Vorzeit. Und tatsächlich existiert die Araukarie schon seit rund 200 Millionen Jahren auf unserem Planeten und ist somit ein lebendes Fossil. Wenn man sich dann noch vergegenwärtigt, dass diese Pflanze bzw. deren Zapfen eine der Hauptnahrungsquellen der hier siedelnden Mapuche-Indianer sind, dann ist es wenig verwunderlich, das die Araukarie ein von Legenden umrankter Baum ist. Eine davon lautet:
Es war einmal vor langer Zeit, da hatte der Mond eine Tochter, die Araukarie. Sie war so wunderschön, dass selbst der eigene Vater sich in sie verliebte und sooft wie möglich zur Erde hinabkam, um sich mit ihr zu treffen. Die beiden verbrachten eine wunderschöne Zeit, bis eines Tages die Verwandten dem heimlichen Liebespaar auf die Schiche kamen und es verfluchten: Während es dem Mond verboten wurde, jemals wieder auf die Erde zurückzukehren, wurde die Araukarie verdammt, sich an den höchsten Hängen der Anden niederzulassen. Dort steht sie auch heute noch, die Arme sehnsüchtig zu ihrem Vater erhoben, aber ohne eine Möglichkeit, ihn jemals wieder zu sehen...
Die Araukarie ist zweigeschlechtlich, ein männlicher Baum steht jeweils inmitten mehrerer weiblicher Bäume. Die Indios der Gegend bezeichnen diese Bäume als die Ehefrauen der männlichen. Das Besondere der Araukarien sind ihre Zapfen, die die Grösse einer Ananas erreichen können. Die Samen fallen im Herbst und erhalten unter der winterlichen Schneedecke wie in einem Kühlhaus ihre Keimfähigkeit. Sie werden im Frühjahr und Herbst gesammelt, auf verschiedene Weise konserviert und können so jahrelang gelagert werden. Frisch gekocht schmecken sie wie junge Kartoffeln mit einem nussigen Beigeschmack. Im 19. Jh. War das Holz der sehr langsam wachsenden Araukarie zudem sehr beliebt als Bauholz in der Schifffahrt und wurde für Segelmasten verwendet.
In diesem „Araukarien“ spielt übrigens eine der absonderlichsten und abenteuerlichsten wahren Geschichten, die ich jemals gelesen habe. Sie handelt vom „Konig von Araukarien“ und wurde köstlich von Bruce Chatwin nacherzählt:
Im Frühling 1859 schloss der Advokat Orelie-Antoine de Tounens die grauen Fensterläden seines Büros in der Rue Hieras in Perigueux, warf einen letzten Blick auf das byzantinische Profil der städtischen Kathedrale und machte sich auf den Weg nach England. Er hielt einen Koffer umklammert, der die 25000 Francs enthielt, die er vom gemeinsamen Bankkonto der Familie abgehoben hatte, womit er den finanziellen Ruin der Seinen beschleunigte.
Er ware der achte Sohn einer Familie von Kleinbauern, die auf einem heruntergewirtschafteten Herrensitz in dem Dörfchen La Cheze in der Nähe des Dörfchens Las Fount lebten. Er war 33 Jahre alt (das Alter, in dem Genies sterben), Junggeselle und Freimaurer und hatte mit ein bißchen Nachhilfe seine Abstammung von einem galloromanischen Senator abgeleitet und seinem Namen ein de hinzugefügt. Er hatte einen träumerischen Blick und wallendes schwarzes Kopf- und Barthaar. Er kleidete sich wie ein Dandy, hielt sich betont aufrecht und seine Handlungen zeichneten sich durch den besonnenen Mut des Visionärs aus.
Er hatte Homer gelesen und war durch ihn auf die hölzernen Strophen von Ercillas Versepos gestossen. Zum erstenmal hörte er von dem unbezwungenen Stamm im Süden Chiles:
Robust und bartlos,
Gestalten, sanft und muskulös,
die Glieder hart, stählern die Nerven,
wendig, ehern, fröhlich,
beseelt, heldenhaft und wagemutig,
abgehärtet durch die Arbeit, geduldig
bei tödlicher Kälte, bei Hunger und Hitze.
Murat war Stalljunge gewesen und wurde König von Neapel, Bernadotte war ein Schreiber aus Paris und wurde König von Schweden. Orelie-Antoine hatte es sich in den Kopf gesetzt, sich von den Araukanern zum König ihrer jungen und kräftigen Nation wählen zu lassen.
Er ging an Bord eines englischen Handelsschiffes, umfuhr mitten im Winter Kap Hoorn und landete in Coquimbo, einem Ort an der verlassenen chilenischen Küste, wo er bei einem anderen Freimaurer Logis fand. Bald darauf vernahm er, dass die Araukanier sich zum letzten Widerstand gegen die Republik versammelten. Er schrieb ermutigende Briefe an ihren Kaziken Manil und im Oktober überquerte er den Bio-Bio-Fluß, die Grenze seines künftigen Königreichs.
In seiner Begleitung befanden sich ein Dolmetscher und zwei Franzosen, die Herren Lachaise und Desfontaines, sein Aussen- und Justizminister – Phantombeamte, die er nach den Dörfern La Cheze und Las Fount benannt hatte und die in der Person Seiner Majestät verkörpert waren.
Orelie-Antoine kämpfte sich in Begleitung seiner beiden unsichtbaren Minister durch ein Unterholz voller scharlachroter Blumen, und er verliebte sich in einen jungen Reiter. Der Junge klärte ihn darüber auf, dass Manil tot sei und führte ihn zu dessen Nachfolger Quilapan. Der Franzose war entzückt, als er hörte, dass dem Indianer das Wort „Republik“ ebenso verhasst war wie ihm. Aber es gab einen neuen Tatbestand, von dem er nichts gewusst hatte: Kurz vor seinem Tod hatte der Kazike Manil den Seinen die ewige Illusion des Indianers als Prophezeiung hinterlassen: das Ende des Krieges und der Sklaverei werde mit der Ankunft eines bärtigen weißen Fremden zusammentreffen.
Die triumphale Begrüßung durch die Araukanier ermutigte Orelie-Antoine, eine konstitutionelle Monarchie auszurufen. Als Thronfolger sollten Mitglieder seiner eigenen Familie eingesetzt werden. Er unterzeichnete das Dokument mit seiner spinnwebartigen königlichen Unterschrift, setzte die kühnere Handschrift von Desfontaines darunter und sandte Durchschriften an den chilenischen Präsidenten und die Zeitungen von Santiago. Drei Tage später brachte ein durch das zweimalige Überqueren der Kordilleren völlig erschöpfter Reiter neue Nachrichten: auch die Patagonier akzeptierten das Königeich. Orelie-Antoine unterzeichnete ein weiteres Dokument, in dem er ganz Südamerika vom 42. Breitengrad bis nach Kap Hoorn annektierte.
Berauscht von der Größe seiner Geste zog sich der König in eine Pension in Valparaiso zurück und beschäftigte sich mit der Verfassung, der Armee, der Schiffahrtslinie nach Bordeaux und der Nationalhymne (die von einem Senior Guillermo Frick aus Valdivia komponiert wurde). Er schrieb einen offenen Brief an seine Heimatzeitung Le Perigord, in dem er das „La Nouvelle France“ als ein fruchtbares Land pries, das von Mineralien berste und die Verluste von Louisiana und Kanada wettmache, jedoch nicht erwähnte, dass es von kriegerischen Indianern nur so wimmelte. Eine andere Zeitung, Le Temps, höhnte, das „La Nouvelle France“ ebenso viel Vertrauen einflöße wie Monsieur de Tounen seinen früheren Klienten.
Neun Monate später kehrte der König ohne einen Pfennig und verletzt durch die Gleichgültigkeit mit einem Pferd, einem Esel und einem Diener namens Rosales nach Araukanien zurück. (Als er dieses Individuum in seine Dienste nahm, beging er den üblichen Irrtum aller Touristen, indem er 15 mit 50 Pesos verwechselte). Im ersten Dorf fand er seine Untertanen betrunken vor, aber sie waren schnell wieder bei klarem Verstand und leiteten den Befehl an die anderen Stämme weiter, sich zu versammeln. Der König sprach zu ihnen von „Natürlichem und internationelem Recht“ , und die Indianer liessen ihn hochleben. Er stand in einem Kreis von nackten Indianern, trug einen braunen Poncho und ein weißes Stirnband und salutierte mit steifen napoleonischen Gesten. Er rollte die Trikolore aus und rief unter Tränen: „Lang lebe die Einheit der Stämme! Unter einem einzigen Häuptling! Unter einer einzigen Fahne!“
Jetzt träumte der König von einer Armee von 30.000 Kriegern und wollte seiner Grenze mit Gewalt Anerkennung verschaffen. Kriegsgeschrei hallte durch die Wälder, und die ambulanten Schnapsschmuggler traten den Rückzug in die Zivilisation an. Die weißen Kolonisten auf der anderen Seite des Flusses bemerkten die Rauchzeichen und signalisierten den Militärs ihre eigenen Befürchtungen. In der Zwischenzeit kritzelte der Diener Rosales eine Nachricht an seine Frau (die nur sie allein entziffern konnte) und berichtete ihr von seinem Plan, den französischen Abenteurer zu entführen. Orelie-Antoine begab sich ohne Leibwache von einer Siedlung zur anderen. Als er eines Mittags Rast machte und gedankenverloren am Ufer des Flusses dasaß, achtete er nicht weiter auf eine Gruppe bewaffneter Männer, die er zwischen den Bäumen mit Rosales reden sah. Seine Schultern wurden von einem schweren Gewicht zu Boden gedrückt, und andere Hände nahmen ihm seine Habseligkeiten ab.
Die chilenischen Soldaten zwangen den König, mit ihnen in die Provinzhauptstadt Los Angeles zu reiten, wo sie ihn vor den Gouverneur schleppten, den Großgrundbesitzer Don Cornelio Saavedra.
„Sprechen Sie Französisch?“ fragte der Gefangene. Am Anfang machte er königliche Rechte geltend, und am Ende bot er an, in den Schoß seiner Familie zurückzukehren. Saavedra wusste durchaus, dass Orelie-Antoine sich nichts Besseres wünschen konnte. „Aber leider, erklärte er, „muß ich Sie als gewöhnlichen Verbrecher aburteilen lassen, um andere, die Ihrem Beispiel folgen könnten, abzuschrecken“.
Das Gefängnis in Los Angeles war ein finsteres, feuchtes Loch. Seine Wärter leuchteten ihm mit Laternen ins Gesicht, wenn er schlief. Er bekam die Ruhr. Er krümmte und wand sich auf einer durchweichten Matraze, ständig das Gespenst der Garotte vor Augen. In einem lichten Augenblick setzte er die Erbfolge fest: „Wir, Oreilie-Antoine I., Junggeselle, durch die Gnade Gottes und den nationalen Willen zum Herrscher gemacht etc. etc.....“ Der Thron würde auf seinen alten Vater übergehen, der in dieser Jahreszeit Walnüsse erntete, und danach auf seine Brüder und deren Nachkommen. Und dann fiel ihm das Haar aus, und mit ihm veflüchtigte sich auch der Wille zur Macht.
Orelie-Antoine verzichtete auf den Thron (unter Druck), und der französische Konsul, Monsieur Cazotte, erreichte seine Freilassung aus dem Gefängnis und ließ ihn an Bord eines französischen Kriegsschiffes nach Hause bringen. Er wurde auf knappe Rationen gesetzt, aber die Offiziersanwärter baten ihn zum Abendessen an ihren Tisch.
Im Pariser Exil wuchsen seine Haare kräftiger und schwärzer denn je, und sein Hunger nach Regentschaft nahm größenwahnsinnige Ausmaße an. „Louis XI. war nach Peronne und Francois I. war nach Pavia nicht weniger König von Frankreich als zuvor“, schrieb er am Schluß seiner Memoiren. Und doch nahm seine Karriere den gleichen Verlauf wie die so vieler gestürzter Monarchen: abenteuerliche Versuche, die Macht zurückzuerobern, feierliche Zeremonien in schäbigen Hotels, die Verleihung eines Titels im Austausch gegen eine Mahlzeit (zu einen gewissen Zeitpunkt war sein Königlicher Kammerherr ein Antoine Jiminez de la Rosa, Herzog von Saint-Valentin, Mitglied der Universität von Smyrna und anderer wissenschaftlicher Institutionen etc.), ein gewisser Erfolg bei neureichen Finanzmännern und alten Kriegsveteranen – und die unerschütterliche Überzeugung, dass das hierarchische Prinzip Gottes in einem König verkörpert ist.
Dreimal versuchte er zurückzukehren. Dreimal erschien er am Rio Negro und wanderte stromaufwärts in der Absicht, die Kordilleren zu überqueren. Jedesmal durchkreuzte man seine Pläne und beförderte ihn ohne Umstände nach Frankreich zurück. Beim erstenmal wurde er von einem Indianer verraten, das zweite Mal wurde er Opfer der Wachamkeit eines argentinischen Gouverneurs (der ihn trotz seiner Maske – kurzes Haar, Sonnenbrille und das Pseudonym Monsieur Jean Prat – erkannte). Der dritte Versuch erlaubt unterschiedliche Interpretationen: Entweder hat die ausschließlich aus Fleisch bestehende Ernährung der Gauchos eine Darmsperre bei ihm ausgelöst oder aber er wurde von Freimaurern vergiftet, weil er sein Gelübde gebrochen hatte. Tatsache ist, dass er 1877 halbtot auf dem Operationstisch eines Krankenhauses in Buenos-Aires landete. Ein Schiff der Messageries-Maritimes-Linie brachte ihn nach Bordeaux. Er suchte in Tourtoiac, im Haus seines Neffen Jean, eines Schlachters, Zuflucht. Ein quälendes Jahr lang zündete er die Laternen der Ortschaft an, bis er am 19.9.1878 starb.
Die spätere Geschichte des Königreichs von Araukanen und Patagonien gehört eher in den Bereich der Zwangsvorstellungen des bürgerlichen Frankreich als zur Politik Südamerikas. Mangels eines Thronfolgers aus der Familie Tounen warf sich ein gewisser Gustave Achille Laviarde zum König auf und regierte als Achille I. Er stammte aus Reims, wo seine Mutter eine Wäscherei hatte, die im Volksmund „Das Schloß der grünen Frösche“ hieß. Er war Bonapartist, Freimaurer, Aktionär von Moet et Chandon, Experte für Sperrballons (mit denen er eine gewisse Ähnlichkeit hatte). Er finanzierte seine Empfänge mit seinem Unternehmen, das als „Königliche Gesellschaft der Konstellation des Südens“ bekannt war, entfernte sich nie von seinem Hof in Paris, eröffnete jedoch Konsulate in Mauritius, Haiti, Nicaragua
und Port-Vendres. Als er beim Vatikan vorstellig wurde, erklärte ein chilenischer Prälat : « Dieses Königreich existiert nur in den Köpfen betrunkener Idioten ».
Der dritte König, Dr. Antoine Cros (Antoine II.) war Leibarzt des Kaisers Dom Pedro von Brasilien und starb nach eineinhalbjähriger Regentschaft in Asnieres. Er war Amatuerlithograph im Stil von Hieronymus Bosch und Bruder von Charles Cros, dem Erfinder des Paleophone und Verfasser des Gedichtbandes „Das Sandelholzkästchen“.
Dr. Cros Tochter trat die Erbfolge an und gab den Titel an ihren Sohn Jaques Bernard weiter. Zum zweitenmal wanderte ein Monarch von Araukanien hinter Gitter, dieser wegen der Dienste, die er der Vichy-Regierung Marschall Petains erwiesen hatte. Sein Nachfolger Monsieur Philippe Boiry, regierte bescheiden mit dem Titel eines Erbprinzen und hat das Haus in La Chez als Wochendhaus wiederhergerichtet...........“
Auf der Suche nach dem Patagonienbild unserer Vorstellungen beschliessen wir eine weitere West-Ost-Querung des an dieser südlichen Stelle doch schon recht schmal gewordenen Kontinents.
Wir verlassen die Anden und machen uns auf den langen Weg zum Atlantik. Von den wenigen existierenden Querverbindungen suchen wir uns eine nicht asphaltierte Nebenroute aus, die uns mit einigen Schlenkern über so fantasievolle Ortsnamen wie Ingeniero Jaccobacci oder Gan Gan nach etwa 850 KM nach Puerto Madryn an der Küste führen soll.
Und tatsächlich: Hier finden wir die imaginären Bilder wieder, die wir mit dem Begriff Patagonien verknüpfen.
Wir durchqueren wir den sog. „patagonischen Schild“, eine zum Urkontinent Gondwana (vor der Trennung des amerikanischen und afrikanischen Kontinents) gehörende Landmasse. Als ehemaliges Bruchschollengebirge präsentiert sich die Landschaft überraschend hügelig bis gebirgig und geht erst im zweiten Teil der Fahrt in die weiten patagonischen Steppenebenen über.
Die Fahrt gestaltet sich einsam. Die Strecke wird von keinem überregionalem Durchgangsverkehr benutzt, allenfalls existiert lokaler Verkehr zwischen den einzelnen Siedlungsflecken. 4 Tage sind wir unterwegs und auf der ganzen Fahrt begegnen uns vielleicht maximal 20 Fahrzeuge. Die eingezeichneten Orte entpuppen sich als weit auseinanderliegende einsam gelegene Estancias, lediglich 3 Siedlungspunkte in der Karte kann man als „Ortschaften“ im eigentlichen Sinne bezeichnen und bieten so etwas wie eine minimale Infrastruktur mit Tankstelle, Telefon, Bäckerei, Miniladen und Reifenreparaturmöglichkeit (Gomeria). So sehen wir auf dieser langen Fahrt statt Menschen eher Raubvögel, die majestätisch am Himmel über uns kreisen, Nandus, Guanakos, Hasen sowie ein paar Schafe und Pferde. Stunde um Stunde fahren wir durch diese grosse Leere. Die mit Gräsern und niedrigen Büschen bestehende Vegetation lässt sich am ehesten mit Loriots Eheberatungs-Sketch und der Frage an den Ehemann nach seiner Lieblingsfarbe beschreiben: Sie präsentiert sich......grau, doch nein, warten Sie, es muss etwas grün dazu...also grau-grün.....nein,nein, das stimmt nicht ganz, es geht doch auch leicht ins bräunliche über, also eher ein Grau-Grün-Braun- aber mit gelben Farbtupfern!! Aaah ja! Dabei ist diese Vegetation durchaus nicht so monoton, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag:
Auch hier bestätigt sich, das die patagonische Pampa....alles andere als öde ist. Besonders ins Auge fällt eine riesige hellgelb glänzende Fläche, die wie ein Teppich aussieht. Es ist eine Viehkoppel, auf der dicht an dicht Tausende Butterblumen wachsen. Von ihnen soll es in Patagonien nicht weniger als 15 verschiedene Arten geben. Wir machen aber auch Vergissmeinnicht aus, Löwenmäulchen, Jungfrauenschuh, Gänseblümchen, Fingerhut, Hahnenfuß, Anemonen und kleine Rosengewächse.....Alles in allem haben die Biologen in Patagonien mehr als 500 blühende Pflanzenarten entdeckt, darunter 12 verschiedene Edelweiß- und Orchideenarten. Wenngleich die Landschaft nicht überall so üppig ist.....,karg und eintönig, das werden wir immer wieder feststellen, ist die Pampa nirgendwo. Man muss sich nur die Mühe machen und genau hinschauen.“
Natürlich wird diese Art der Vegetation von den besonderen klimatischen Bedingungen Patagoniens geprägt. Denn: Obwohl Patagonien auf derselben geographischen Breite liegt wie Mitteleuropa, unterscheidet sich das Klima grundlegend.Einmal spielt hierbei die Lage Patagoniens als einzige Landmasse im südlichen Ozean eine Rolle, zweitens sind die Nähe zur Antarktis und drittens die Ausrichtung der Anden in Nord-Süd-Richtung maßgebende Faktoren.
Südlich des 30. Breitenkreises liegt der Kontinent im Bereich der Westwindzone. Der Wind treibt die über dem Pazifik angereicherten Luftmassen auf die Andenkordillere auf chilenischer Seite zu. Hier sind sie gezwungen aufzusteigen und kühlen sich dabei ab. Da kältere Luft weniger Feuchtigkeit speichern kann als warme, fängt es an zu regnen bzw. in den höheren Lagen an zu schneien. Dabei gehören die an den Westhängen der Anden gemessenen Niederschlagsmengen mit bis zu 8000 mm/qm zu den absoluten Spitzenwerten auf unserem Planeten. Auf der Rückseite des Gebirges sinkt die nun trockene Luft ab und es entstehen die berühmten Fallwinde. Vestärkt wird dieser Effekt durch die starke sommerliche Sonneneinstrahlung über der patagonischen Steppe. Dort erwärmt sich die Luft und steigt auf. Dadurch wird wie beim einem Staubsauger die herabsinkende Luft von der Kordillere angesaugt. Beherrschendes Element des patagonischen Wettergeschehens vor allem ganz im Süden ist deshalb der Wind. Er kommt fast immer aus Westen und weht insbesondere im Sommer nahezu ununterbrochen in Sturmstärke. Die Niederschäge werden gemäß der Andenausrichtung von West nach Ost Richtung Atlantik ab. Sind es an den Andenwesthängen 2000-8000 mm Niederschlag, so sind es an den Osthängen der Anden noch 400-600 mm , während die weiten Trockensteppen auf der argentinischen Seite Patagoniens nahezu leer ausgehen. Die patagonischen Anden bilden damit eine der schärfsten Klimascheiden der Welt.
Wir geniessen die Fahrt durch die Leere und Stille. Man ist allein mit sich und seinen Sinnen und Gedanken. Überall ist die Landschaft zu dieser Jahreszeit mit – zumeist gelben - Farbtupfern gesprenkelt- die Steppe blüht. Überraschenderweise fehlen hier größtenteils die die Straße begrenzenden Zäune. Vielmehr verläuft die Schotterpiste zumeist quer durch den Grundbesitz grosser Estancias, deren karge Weideflächen zum Teil riesig sind. Bis zu 30 bis 40 KM erstrecken sie sich von einem Ende zum anderen: Statt Zäunen links und rechts der Schotterstraße ist vielmehr der Besitz als Ganzes eingezäunt. Ein Zaun mit einem Gitterrost über der Straße als Durchlaß sowie ein Hinweisschild markieren das Ende der einen und den Beginn einer neuen Estancia. Ab und an erfährt man von der Existenz weiterer Estancias durch ein kärgliches Hinweisschild und eine winzige Fahrspur, die von der Hauptpiste abzweigt und sich irgendwo in der Ferne verliert. Fällt es mir schon schwer, mir ein dauerhaftes Leben in den winzigen Siedlungen vorzustellen, die wir durchqueren – hier in dieser totalen Einsamkeit, wo der nächste Nachbar dutzende von KM entfernt wohnt und die nächste wirkliche Stadt bis zu 300 KM entfernt und nur über Schotterpisten zu erreichen ist, übersteigt es meine Vorstellungskraft. Ich erinnere mich daran, was ich über die Geschichte Patagoniens gelesen habe:
Die Geschichte Patagoniens als Eldorado der Schafzüchter begann um das Jahr 1880. Schottische Einwanderer von den britischen Falkland-Inseln hatten herusgefunden, dass sich in dem unendlichen, weitgehend baumlosen Grasland zwischen Kordilleren und Atlantik, das die Spanier Pampa nannten, Schafe besonders gut vermehren. Wie beim Goldrausch in Kalifornien und Alaska verbreitete sich diese Nachricht in Windeseile um die Welt. Die Aussicht auf enorme herrenlose Flächen und die Hoffnung auf schnellen Reichtum durch das weiße Gold der Wolle, ließen immer mehr Dampfschiffe aus Europa Kurs auf Südamerika nehmen., mit Menschen an Bord, die in Patagonien, am Ende der Welt, ihr Glück machen wollten. Anteilsscheine für eilends gegründete Viehzuchtgesellschaften wurden verkauft, wer über grössere Ersparnisse verfügte, erstand ein eigenes Stück Pampa.
Clevere Geschäftsleute wie der aus Spanien stammende Kaufmann Jose Menendez, der vor Judenprogromen in Litauen geflüchtete Moritz Braun und der portugisiesche Wal-und Robbenjäger Jose Nogueira, brachten es mit Geschick und einer gehörigen Portion krimineller Energie zu Ländereien, deren Größe nicht selten die europäischer Staaten übertraf. Und die Zäune, die die neuen Herren des Landes, die Viehbarone, bauten, setzten eine Spirale blutiger Gewalt in Gang. Ihrer traditionellen Lebensgrundlagen beraubt, hielten die Indianer sich an den Weißen schadlos,deren Schafe in ihren Augen eine kleinere, zahme Guanako-Rasse waren. Die Viehdiebstähle wiederum, obwohl für die nach Hunderttausenden zählenden Herden der eingewanderten Großgrundbesitzer kein ernstlicher Schaden, dienten als Vorwand für die Ausrottung der Indianer. Sie wurden als Schädlinge auf eine Stufe mit Pumas und Füchsen gestellt und wie diese, im wörtlichen Sinne, zum „Abschuss“ freigegeben. Ein Pfund Sterling zahlten die Herren der Ländereien ihren Verwaltern, Landarbeitern, Gauchos und professionellen Killern für jeden getöteten Indianer. Fällig wurde das Kopfgeld beim Vorzeigen der abgeschnittenen Ohren. Als gute Geschäftsleute führten die Großgrundbesitzer hierüber sogar Buch. Genau 412 Pfund sterling zahlte laut Kassenbericht Jose Menendez, der „König von Patagonien“ seinem Verwalter Alexander McLennan, einem der berüchtigsten Indianermörder. Als „Red pig“ ist der rothaarige Schotte, Whiskytrinker und ehemalige Söldner in die blutige Geschichte Südamerikas eingegangen...
Unsere Fahrt Richtung Atlantik verläuft ohne Zwischenfälle, lediglich unterbrochen durch eine kleine Hilfsaktion, als wir die Frau und das 2-jährige Kind eines mit Reifenplatten (und ohne Reserverad) liegengebliebenen und auf Hilfe wartenden Autofahrers aus ihrer trostlosen Situation befreien und sie 60 Km in ihren Heimatort Gan Gan mitnehmen. Spontan wird mir mal wieder (wie schon so häufig auf den von uns gewählten Reiserouten) bewusst, zu welchem Geduldsspiel hier eine ernsthafte Panne zwangsläufig führen muss, wenn man möglicherweise Stunden, wenn nicht sogar einen ganzen Tag auf das nächste Auto warten muß und Hilfe erst aus einem weit entfernt liegenden Ort angefordert werden kann. Doch wir wollen das ja so, reisen absichtlich allein und nach Möglichkeit auf Spannung versprechenden Wegen – also müssen wir möglicherweise gewisse Unannehmlichkeiten und Risiken auch in Kauf nehmen...
Nach insgesamt 4 Reisetagen erreichen schließlich wir den Atlantik bei Puerto Madryn, wo die Zivilisation uns wieder einholt. Die Stadt ist zugleich ein Badeort der Argentinier und jetzt, in der Hauptreisezeit Januar, voller Touristen. In einer lokalen Tageszeitung lese ich einen Artikel, wo voller Stolz darüber berichtet wird, dass die Besucherzahlen in dieser Sommersaison bis jetzt um 9% auf 45.000 gesteigert werden konnten, wobei allein die 3. Januarwoche einen neuen Rekord mit 19.000 Besuchern erbrachte. Wir stören uns nicht an dem Rummel, zumal es trotz allem doch recht beschaulich zu geht. Endlich können wir mal wieder richtig essen gehen, schlemmen zweimal in einem Grillrestaurant für den Festpreis von 5,5 Euro nach dem Motto „all you can eat“ und fahren zum Übernachten einfach raus in die Steppe, die unmittelbar am Stadtrand beginnt. Der nette Kellner im Restaurant (typischer junger Argentininier mit langen Haaren, die hier noch weit verbreitet sind) spricht perfekt englisch; er hat sich das selbst beigebracht und ist stolz drauf. Er träumt von einer Reise nach Europa, vor allem nach Spanien; doch der Zusammenbruch der Währung während der LaPlata-Krise macht dieses Vorhaben für ihn unerschwinglich. Ist für uns Argentinien nach der Aufhebung der Dollaranbindung des Peso ein sehr preiswertes Reiseland, ist Europa für den normalen Argentinier ein sündhaft teures Pflaster geworden. Könnte er gar eine Arbeitsmöglichkeit in Spanien finden, ja dann wäre er wohl schnell ein gemachter Mann, wenn er nach Argentinien zurückkäme, schwärmt er uns träumerisch vor.......
Wir bleiben 2 Tage in der Stadt, besichtigen in der unmittelbaren Umgebung der Stadt eine Kolonie von Seelöwen, die an der Steilküste ihr Zuhause haben und brechen dann Richtung Süden auf. Über Rawson und Trelew steuern wir auf einer Küstenpiste einen der absoluten Höhepunkte in dieser Gegend an: 120 KM südlich von Trelew befindet sich die weltweit größte Kolonie von Megallan-Pinguinen. Bis zu 175.000 dieser putzig-kleinen Tiere brüten hier in den Sommermonaten Dezember/Januar ihre Jungen aus und ziehen sie auf, bevor im April die gesamte Kolonie sich auf die 6000 KM lange Reise an die brasilianische Küste aufmacht. Das Gebiet rund um die Kolonie ist ein geschütztes Naturreservat, auf vorgegebenen Wegen kann man mitten durch die Tiere wandern, bekommt hautnahen Kontakt zu ihnen. Wir wählen als Besichtigungstermin den späten Nachmittag, dann ist Schichtwechsel bei Familie Pinguin. Die Elternteile, die sich bei der Aufzucht des Nachwuchses bei der Nahrungssuche und der Beaufsichtigung der Kinder abwechseln, tauschen zu dieser Zeit ihre Rollen. Die einen kommen von der Nahrungssuche zurück, bei der sie laut Beschreibung bis zu 600 KM!! im Meer zurücklegen, und watscheln dann unbeholfen zu ihren bis zu 800 m von Meer enternten Wohnplätzen, um die schon schreienden Blagen zu füttern; die Anderen wiederum begeben sich nun zur Arbeit im Meer. Ein faszinierender Anblick ist es, der sich uns bietet: Über eine riesige Fläche erstreckt sich die Kolonie, überall ist ein Kommen und Gehen, die Blagen schreien und balgen sich um den Schnabel des fütternden Elternteils, der das gefangene Essen erst mühsam wieder hochwürgen muß. Völlig zutraulich stehen die Tiere in der Landschaft rum und überqueren die angelegten Wege.
Es ist ein einmaliges Erlebnis..............
Weiter geht es anschliessend Richtung Süden über den winzigen Küstenort Camarones und eine weitere Pinguin-Nistkolonie am Cabo Dos Bahias Richtung Comodore Rivadavia. Statt der 50 KM im Hinterland verlaufenden Asphaltstraße wählen wir die einsame Küstenpiste. Wieder sind wir 300 KM nahezu allein unterwegs. Die Landschaft weitet sich zur grandiosen Leere, begrenzt vom Atlantik auf der einen Seite erstreckt sich die Steppe endlos bis zum Horizont, nichts lenkt den Blick ab. Wieder spüren wir ein Gefühl tiefer innerer Zufriedenheit, wir sind eins in unserem Tun und unserem Wollen.....
Fortsetzung folgt..............
Die Zitate stammen aus:
a) Klaus Bednarz Am Ende der Welt. Eine Reise durch Patagonien und Feuerland.
b) Bruce Chatwin In Patagonien
c) Bruckmann Patagonien Trecking Guide
d) Dumont-Reiseführer Argentinien
e) Ortrun Hörtreiter Chile Iwanowskis Reiseführer
Hier gehts zu den Fotos:
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die-Geschichte-in-Bildern
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Und hier ist die Musik zur Geschichte und den Bildern, 100% argentinisch, voll herber Kraft und Schoenheit:
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Lied 1
Lied 2