Islands Absturz-Böses Omen für den Rest der Welt

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tibesti
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Islands Absturz-Böses Omen für den Rest der Welt

Beitrag von tibesti »

SPIEGEL ONLINE - 14. April 2006, 10:55
URL: http://www.spiegel.de/wirtschaft/0,1518,411477,00.html
Islands Absturz

Böses Omen für den Rest der Welt

Bisher boomte und kriselte Island weitgehend unbemerkt von der Weltöffentlichkeit - doch jetzt haben Finanzexperten ein sehr waches Auge auf den Ministaat. Sie beobachten entsetzt die aktuellen Krisensymptome. Denn der Absturz Islands steht beispielhaft für die Probleme vieler Staaten.


Paris/Reykjavik - Island brodelt. Nach Jahren des Booms ächzt Reykjavik unter konjunktureller Überhitzung. Inflation und Handelsdefizit laufen aus dem Ruder, die isländische Krone und die Aktienkurse sind schon steil gefallen. Der Inselstaat im Nordatlantik ist mit knapp 300.000 Einwohner kleiner als Bonn - seine Probleme wären normalerweise für die Weltwirtschaftsgeschichte eher eine Randnotiz. Nur ist Island aus Sicht der Fachleute ein Paradebeispiel für das, was bald auch deutlich größeren Volkswirtschaften bevorstehen und dann weitaus heftigere Wellen schlagen könnte. So ist das kleine Land im Norden Europas zum Sorgenkind vieler Finanz-Experten geworden.

Island sitzt auf einer wirtschaftlichen Blase - allen Beteiligten ist das seit langem klar. In der Art tropischer Steuerparadiese zog Island seit den neunziger Jahren fremdes Kapital an, um ehrgeizige Projekte an Land zu ziehen. Wie etwa den Bau einer riesigen Aluminium-Schmelze und der zu deren Betrieb erforderlichen Kraftwerke. Zahlreiche Investoren ließen sich von hohen Renditen locken. Die Isländer wiederum wurden wohlhabender und kauften zunehmend Immobilien und andere teure Güter - und immer öfter auf Pump. Ihre privaten Schulden sind inzwischen doppelt so hoch wie das - schon kräftig gestiegene - verfügbare Einkommen. Immobilienpreise und Auslandsschulden stiegen drastisch.

Ende Februar wurde das der internationale Rating-Agentur Fitch zu heiß: Sie setzte die Kreditwürdigkeit des Landes von "stabil" auf "negativ" herunter. Die wesentlichen Indikatoren verschlechterten sich rasant, so dass dass der Boom bald ein jähres Ende nehmen könnte, erklärte Fitch. Auch Länder mit "scheinbar gesunden Finanzen" dürften Ungleichgewichte im privaten Sektor nicht ignorieren, das sei "eine der wichtigsten Lektionen der Asienkrise".

Nun kämpfen die Isländer um das Vertrauen der internationalen Geldgeber. Die Krone büßte seit Mitte Januar ein Viertel ihres Wertes ein, Reykjaviks Leitindex ICEX 15 stürzte von fast 7000 Zählern auf zuletzt noch gut 5600 Punkte. Nur die Regierung gibt sich unverdrossen optimistisch: "Ich bin in der glücklichen Lage, Finanzminister in Island zu sein, einer kleinen, aber äußerst prosperierenden Nation", warb Árni Mathiesen erst Ende März in Frankfurt am Main.

Polen und Australien könnte es bald ähnlich gehen

Tatsächlich könnten etwa Islands Wirtschaftswachsum von durchschnittlich 4,5 Prozent in den vergangenen zehn Jahren oder die Arbeitslosenquote von zuletzt gut 1,5 Prozent vor allem bei deutschen Politikern Neid erregen. Eine Inflationsrate von 4,5 Prozent oder ein zentraler Leitzins von jetzt 11,5 Prozent zeigen aber die Schattenseiten des Booms. Für Stirnrunzeln sorgen vor allem Islands Auslandsschulden: Sie liegen mehr als vier Mal höher als die laufenden Einnahmen aus Exporten, die traditionell vor allem Fisch und Aluminium umfassen.

Und mit diesen Problemen steht Island nicht allein. Australien etwa oder Neuseeland wiesen "ähnliche, wenn auch weniger extreme äußere Finanzzwänge" auf, heißt es bei Fitch. Nicolas Bouzou vom Pariser Forschungsinstitut Xerfi nennt Ungarn, Polen und die Tschechische Republik oder Neuseeland als Wackelkandidaten der Weltwirtschaft. Die Volkswirte von Frankreichs Genossenschaftsbank Crédit Agricole blicken neben Osteuropa auch auf Südafrika oder die Türkei, wo bereits erste "Ansteckungseffekte" zu beobachten seien. Vielerorts würden länderspezifische Risiken neu bewertet. Insgesamt verbessere sich die Lage der Schwellenländer aber, notiert Crédit Agricole und warnt vor "übereilten Verallgemeinerungen".

Reinolf Reis und Paul Nikolov, AFP




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