Interview mit Morphosys-CEO über Antikörper

Alles was "Off-Topic" ist oder die Märkte ganz allgemein betrifft. Hier findet Ihr Gelegenheit, euch in Form von Grundsatzdiskussionen, Glückwünschen, Streitereien oder Flirts auszutauschen.

Moderator: oegeat

Antworten
derSpekulant

Interview mit Morphosys-CEO über Antikörper

Beitrag von derSpekulant »

Hi Leute,

abschließend noch ein Interview mit Morphosys-CEO Prof. Andreas Plücktuhn über Antikörper und die Rolle, die Morphosys dabei spielt. Ich selber habe Morphosys ebenfalls unter Beobachtung und erwäge, mir eine erste Position aufzubauen. Bild

Gruß, Speku

08.01.2001: Biotechnologie (Teil 3/3): „Antikörper als Bestandteile aller möglichen Therapieansätze!“
Im Interview mit FinanzNachrichten.de verrät MorphoSys-Gründer Univ.-Prof. Dr. Andreas Plückthun, einer der Wegbereiter der modernen Antikörpertechnologien, ganz persönliche Standpunkte zur Branche und zur Münchner Biotechfirma.


Der 1956 geborene Wissenschafter absolvierte Studien an den Universitäten von Heidelberg, San Diego und Harvard. Nunmehr ist er Mitglied des Biochemischen Institutes der Universität Zürich und zählt zu den Wegbereitern der neuen Antikörpertechnologien. Er ist somit weltweit einer der bedeutendsten Forscher auf seinem Gebiet. 1992 gründete er mit Dr. Simon E. Moroney und Dr. Christian Schneider die MorphoSys AG mit Sitz in München. Im März 1999 schaffte das Unternehmen als erste deutsche Biotechfirma den Gang an den Frankfurter Neuen Markt. Zur Zeit steht Plückthun weiteren vier Biotechunternehmen in beratenden Funktionen zur Verfügung. Im Dezember 2000 wurden seine wissenschaftlichen Erfolge in München mit dem Karl-Heinz-Beckurts-Preis ausgezeichnet.


FinanzNachrichten.de:
Antikörper gelten als ein relativ neuer Ansatz der Therapie von diversen Krankheiten und schafften erst vor wenigen Jahren mit Präparaten wie Rituxan oder Zenapax ihren Durchbruch in der Medizin. Wo sehen Sie, als einer der weltweit führenden Forscher auf diesem Gebiet, das Potential dieser beeindruckenden Technologie?

Dr. Plückthun:
Ich glaube in der Tat, dass noch wesentlich mehr Potential in Antikörpern steckt, als bisher realisiert wurde. Es handelt sich immerhin um eine Klasse von Molekülen, die prinzipiell jedes Ziel spezifisch erkennen können, sei es die Struktur auf der Oberfläche einer Tumorzelle, um ein Gift dort abzuladen, sei es ein lösliches Protein (Botenstoffe wie Cytokine), von dem zu viel oder am falschen Ort hergestellt wird, und das abgefangen werden muss. Durch den Einsatz synthetischer Antikörperbibliotheken ist immerhin das Problem nun global gelöst, solche Moleküle herzustellen. Auch können neue von Antikörpern abgeleitete Moleküle durch molekulares "Engineering" heute erzeugt werden. Es geht jetzt also darum, für eine Krankheit die geeigneten Zielmoleküle zu identifizieren. In einigen Fällen ist das naheliegend, in anderen allerdings noch ein weiter Weg, nämlich dort, wo die molekularen Ursachen entsprechend komplex sind.


FinanzNachrichten.de:
Viele aufstrebende Biotechunternehmen, die vor allem aus den USA oder Großbritannien kommen, wollen den Krebs mit monokonalen Antikörpern bekämpfen. Sind Sie der Ansicht, dass nur hier die Schlacht gewonnen werden kann oder gibt es auch andere Therapieansätze, denen Sie größere Erfolgsaussichten einräumen?

Dr. Plückthun:
Krebs ist sicher eine der komplexesten Krankheiten, die es gibt. Das Problem ist weniger, dass man nicht beschreiben könnte, was der Defekt der Zelle ist - sie wächst, obwohl sie es nicht darf - und man kennt die molekularen Ursachen recht genau. Man kann aber das genetische Programm heutzutage nicht einfach "reparieren", jedenfalls nicht im Körper, und ich glaube, dass der Weg zu einer funktionierenden Gentherapie von Krebs noch extrem weit ist - einige Kollegen mögen in dem Punkt optimistischer sein. Im Moment sind all diese Ideen Bausteine, von der Impfung über die Gentherapie, über heutzutage angewandte Methoden wie die Chemotherapie und bessere Bestrahlungen. Alles sind Komponenten, die zu einer Behandlung beitragen können. Im Klartext: Alles funktioniert ein bisschen, aber alles nicht so ganz richtig und teilweise mit üblen Nebenwirkungen, und da die Krankheit lebensbedrohlich ist, greift man natürlich nach jedem Strohhalm.

Nun, wo ist die Rolle der maßgeschneiderten Antikörper? Die "traditionellen" Antikörper (Rituxan, Herceptin) gehören in die gleiche Kategorie wie alle anderen Methoden, sie sind Komponenten einer Behandlung, aber noch lange nicht der Weisheit letzter Schluss. Bedenken Sie aber, dass diese Antikörper ursprünglich aus einer sehr klassischen Hybridoma Technologie erhalten wurden, und modernes "Engineering" dort noch gar nicht zum Zuge kam. Immerhin gibt es jetzt eine ungeheure Zahl von Optionen, Moleküle maßzuschneidern, um die Krankheit rational anzugehen. Sicher fehlen uns immer noch viele Einsichten, aber ich glaube, dass die Fähigkeit der Zielerkennung, was die Antikörper eben vermitteln, eine wichtige Rolle in vielen Therapieansätzen spielen wird.

Einfach ausgedrückt: Die Frage ist nicht, Antikörper ODER andere Therapieansätze. Ich glaube eigentlich, dass Antikörper (oder Derivate davon) als BESTANDTEIL aller möglichen Therapieansätze zum Tragen kommen werden - immer wenn man eine spezifische Erkennung ausnützen will.


FinanzNachrichten.de:
Gibt es neben Krebs weitere Krankheiten, denen man am aussichtsreichsten mit therapeutischen Antikörpern begegnen kann?

Dr. Plückthun:
Bei einer ganzen Reihe von Krankheiten sind derzeit Antikörper in der klinischen Erprobung. Eine wichtige Gruppe ist, wenn man es mal so zusammenfassen will, Störungen des Immunsystems, wie Arthritis (Rheuma), Entzündungen, Lupus, schwere Allergien und Asthma. Auch die Verhinderung von Transplantationsabstoßungen gehören dazu. Eine andere Gruppe sind schwere Infektionskrankheiten bei geschwächten Patienten oder solche ohne zureichendes Immunsystem (z.B. Neugeborenen) - für die Bekämpfung von Infektionen werden Antikörper ja eigentlich vom Körper selbst gemacht. Erkrankungen im Herz- und Kreislaufsektor (Restenosis, Infarkt) werden auch erforscht. Die meisten Volkskrankheiten (selbst Karies) werden derzeit in irgendeiner Form mit therapeutischen Antikörpern untersucht.

Man sollte sehen, dass das erste Schritte sind. Erstens sind, wie schon gesagt, wegen der langen Vorlaufzeit dies fast alles Kandidaten, die mit einer herkömmlichen Technologie hergestellt wurden. Die Möglichkeiten der neuen Technologien sind meist noch gar nicht eingeflossen. Zweitens sind die optimalen Zielmoleküle in vielen Fällen noch gar nicht klar, hier gibt es eine enorme Synergie mit der Genomforschung, und diese Erkenntnisse werden von direktem Nutzen sein. Insofern glaube ich, dass die "Trefferquote", also der Prozentsatz, der eine klinische Prüfung erfolgreich besteht, in der Zukunft ansteigen wird, weil man einfach bessere Moleküle in die Klinik bringen wird.


FinanzNachrichten.de:
In einer im März 2000 veröffentlichten Schätzung sprach die amerikanische Wirtschaftszeitung "Business Week" für das Jahr 2010 von mehr als 100 Antikörperpräparaten, die einen Jahresumsatz von zusammengenommen mehr als 50 Mrd. USD auf dem Weltpharmamarkt erzielen könnten. Sind solche Schätzungen Ihrer Meinung nach realistisch?

Dr. Plückthun:
Diese Zahlen sind eine mehr oder weniger lineare Extrapolation von dem, was bisher gemacht wurde. Ich halte die Größenordnung grundsätzlich für realistisch, aber das Jahr 2010 ist vielleicht etwas zu optimistisch, das kann länger dauern. Wir müssen einfach die sehr langen klinischen Erprobungsphasen bei diesen Präparaten berücksichtigen, und natürlich davon ausgehen, dass nicht alles funktionieren wird, was heutzutage in die Klinik zum Testen gebracht wird. Man wird aber daraus lernen und die Kurve wird in der Zukunft dann schneller ansteigen.


FinanzNachrichten.de:
In Ihrer Funktion als Mitbegründer der wohl bekanntesten deutschen Biotechfirma, der MorphoSys AG, wollen wir Ihnen gerne folgende Fragen stellen: Mit welchen Produkten und Partnern verdient die Firma MorphoSys in diesem rasant wachsenden Markt ihr Geld?

Dr. Plückthun:
Derzeit hat MorphoSys zwei Strategien zur Generierung von Einnahmen durch die Kommerzialisierung unserer HuCAL-Technologie:

Kurzfristige Einnahmen kommen durch Forschungskooperationen. Im Einzelnen bedeutet das, dass Unternehmen wie DuPont Pharmaceuticals eine Lizenz auf unsere Technologie erwerben, von den Mitarbeitern der Firma im Einsatz von HuCAL geschult werden und die Technologie für den Zeitraum der Dauer des Lizenzerwerbs in ihren internen Forschungsprogrammen anwenden.

Die zweite Einnahmequelle sind Kooperationen zu therapeutischen Antikörpern, also HuCAL-basierten Medikamenten. Diese Verträge beinhalten Einmalzahlungen für den Technologiezugang zu Beginn der Zusammenarbeit, Zahlungen für die wissenschaftliche Arbeit bei MorphoSys, Meilensteinzahlungen für im Vertrag definierte Zwischenziele und bei Vermarktung eines Produkts auch Lizenzzahlungen (Umsatzbeteiligung). Hier ist MorphoSys also über die gesamte Wertschöpfungskette des Medikaments beteiligt.

Das Unternehmen hat Partnerschaften mit internationalen pharmazeutischen Unternehmen wie Bayer (Berkeley, Kalifornien/USA), Roche AG (Basel/Schweiz), DuPont Pharmaceuticals (Wilmington, Delaware/USA), Millennium Pharmaceuticals Inc. (Cambridge, Mass./USA), Centocor (Malvern, Phildadelphia/USA) Chiron Corporation (Emeryville, Kalifornien/USA), GPC Biotech AG (Martinsried/ Deutschland), ProChon (Revohot/Israel), Eos Biotechnology (South San Francisco, Kalifornien/USA), ImmunoGen (Cambridge, Massachusetts/USA) und BioGen (Cambridge, Massachusetts/USA). Die meisten sind Kooperationen zu therapeutischen Antikörpern.


FinanzNachrichten.de:
Was unterscheidet die Technologie der MorphoSys gegenüber der von anderen Mitbewerbern? Welche Firmen schätzen Sie grundsätzlich als Widersacher in Ihrem Markt ein?

Dr. Plückthun:
Antikörper Technologien können grundsätzlich in zwei "Welten" eingeteilt werden: Erstens die auf Tieren basierende Technologie, wo Antikörper durch die Immunisierung der Tiere gewonnen werden. Zweitens die Antikörper-Bibliotheken, wo es neben HuCAL auch sogenannte PCR Bibliotheken gibt. Hier werden Antikörper indirekt aus den Genen von Probandenblut gewonnen. Die MorphoSys HuCAL Technologie bietet viel weitergehende Perspektiven.

Die HuCAL Technologie ist die einzige Technologie zur synthetischen Generierung von Antikörpern. Dies hat deutliche Vorteile gegenüber allen anderen am Markt erhältlichen Antikörper Technologien. Durch den modularen Aufbau von HuCAL können wir generierte HuCAL-Antikörper in den gewünschten Eigenschaften gezielt optimieren, d.h., wir können "maßgeschneiderte" Antikörper für eine gewünschte Anwendung liefern. Außerdem ist es das einzige System, in dem die neuesten Erkenntnisse der Wissenschaft über die Details der Konstruktion der Antikörper ständig einfließen können, weil alles eben synthetisch ist, und deshalb wie Software ständig weiterentwickelt werden kann.

Der zweite wichtige Vorteil ist der hohe Automatisierungsgrad der Technologie durch das firmeneigene AutoCAL System. Mit AutoCAL ist es möglich, im Hochdurchsatz zu arbeiten und so den wachsenden Anforderungen der funktionalen Genomik gerecht zu werden. Ich sehe einfach nicht, wie zur Erforschung der Eiweiße des Menschen (mindestens 100.000 verschiedene) für jedes einzelne Eiweiß eine Reihe von Mäusen immunisiert werden soll. Mir scheinen die synthetischen Antikörper und die Roboter doch der vernünftigere Ansatz.


FinanzNachrichten.de:
MorphoSys wurde praktisch über Nacht zu einem Begriff für jeden deutschen Börsenanleger, als ein Kursziel von 1.000 Euro in die Diskussion gebracht wurde. Würden Sie auf dem aktuellen Niveau Aktien der MorphoSys kaufen und wären die etwa 3,8 Mrd. Euro Marktkapitalisierung, die sich aus einem Kurs pro Anteilsschein von 1.000 Euro ergäben, in ein paar Jahren durch entsprechende Unternehmensgewinne zu rechtfertigen? Bei einem aktuellen Kurs von 170 Euro hat die Firma eine Bewertung von rund 650 Mio. Euro.

Dr. Plückthun:
Diese Frage ist am besten mit einem Vergleich der Marktkapitalisierungen der Antikörperunternehmen zu beantworten. Die Maus-basierten Firmen Abgenix und Medarex haben eine 4 bzw. 6 Milliarden US Dollar Börsenkapitalisierung. Ein gewisser Discount der Bewertung von MorphoSys ist sicher durch die Tatsache gerechtfertigt, dass noch kein HuCAL-Präparat in der klinischen Erprobung ist. Dem steht aber gegenüber, dass unsere Technologie bereits jetzt, und langfristig noch viel mehr, ganz neue Möglichkeiten bietet. Deshalb denken wir, dass hier in jedem Fall viel Raum in Richtung einer deutlich besseren Bewertung unserer Aktie gegeben ist, nicht zuletzt da MorphoSys gute Fortschritte in Richtung auf eine eigene Pipeline macht.


FinanzNachrichten.de:
Herr Professor, ich darf mich im Namen unserer Leser für dieses sehr aufschlussreiche Interview bedanken.
Antworten