Aus dem Blog von Guy Wagner, Banque de Luxembourg; 18.08.2011
http://www.guywagnerblog.com/ger/entry/markte
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Günstige Bewertungen?
Wie sind die aktuellen Bewertungen daher einzustufen? Diese Frage beantworten wir in der Regel mithilfe des Shiller-KGV (Kurs-Gewinn-Verhältnis). Diese Kennzahl bietet den Vorteil, dass sich der Nenner aus dem durchschnittlichen Gewinn der letzten zehn Jahre zusammensetzt. Wir betonen dies immer wieder, denn so lässt sich vermeiden, dass ein besonders gutes oder schlechtes Jahr (d.h. ein besonderes niedriges bzw. hohes KGV) als Basis herangezogen wird. In der aktuellen Situation drängt sich das Shiller-KGV umso mehr auf, weil die Gewinnmargen der Unternehmen weit über ihrem langfristigen Mittelwert liegen und langsam unter Druck geraten. Auf dieser Basis gelangen wir zu folgenden Schlussfolgerungen:
Der US-Markt wird derzeit mit einem Shiller-KGV von etwa 20 gehandelt. Der langfristige Durchschnitt liegt bei 16 – dieser Wert ergäbe für den S&P 500 in etwa 950 Punkte, gegenüber dem aktuellen Stand von 1190. In Rezessionsphasen sinkt das Shiller-KGV zudem im Schnitt auf 13,6.
Der europäische Markt wird mit einem Shiller-KGV von etwa 11,5 gehandelt. Dieser Wert liegt zwar etwas unter dem langfristigen Durchschnitt, allerdings deutlich über den in vergangenen Baissemärkten erreichten Niveaus. Im Baissemarkt 2008/2009 markierte das Shiller-KGV bei 9,7 die Talsohle.
Insgesamt lässt sich feststellen, dass der US-Markt weiterhin relativ teuer bleibt und der europäische Markt deutlich interessantere Bewertungen bietet. Allerdings ist diese Feststellung dahingehend zu relativieren, dass Finanzwerte innerhalb der europäischen Indizes eine hohe Gewichtung haben. Heute erscheinen diese Werte sehr günstig, doch sollte es künftig zu Rekapitalisierungen kommen, könnten diese für Aktionäre erhebliche Verwässerungseffekte haben.
Zwei weitere Anmerkungen zu den Bewertungen: Zunächst ergibt sich aus allen zinsbasierten Bewertungsmodellen eine außergewöhnliche Unterbewertung bei Aktien. Das Beispiel Japans zeigt jedoch, dass diese Art von Modellen in einem Umfeld, das von erheblicher Überschuldung, schwachem Wachstum und Deflationsgefahren geprägt ist, keinerlei Sinn ergibt. Außerdem: Vergleiche mit durchschnittlichen Aktienbewertungen mögen langfristig interessant sein, allerdings werden Aktien sehr selten tatsächlich zu diesem durchschnitten KGV gehandelt. Der Mittelwert dient eher dazu abzuschätzen, ob Aktien im Vergleich zur Vergangenheit tendenziell teuer oder günstig sind. Anleger sollten jedoch auch wissen, ob das jeweilige Umfeld eine Steigerung oder einen Rückgang der Bewertungen favorisiert. Das aktuelle Umfeld spricht für eine deutliche höhere Risikoprämie für Aktien und somit für niedrigere Aktienbewertungen.
Die aktuelle Börsenkorrektur stellt also keine Kaufgelegenheit dar.Die Talfahrt der Kurse bedeutet im Wesentlichen, dass die Anleger eine realistischere Neubewertung des Wirtschaftsausblicks vorgenommen haben. Die Voraussetzungen für eine nachhaltige Erholung der Märkte sind jedoch nicht gegeben: Die fundamentalen Probleme sind weiterhin groß und die Aktienmärkte nicht billig. ...."