Zur Person Claus Vogt: Autor eines Buches mit Roland Leuschel (Das Greenspan-Dossier), von seiner inneren Einstellung einer der größten Bären in der deutschen Analystenzunft.
Vll. liest er ja bei woernie mit, auf jeden Fall hat er John Hussmann auch für sich entdeckt. Vll. auch eine Kurzzusammenfasssung der inhaltlichen Thesen des Threads in den letzten Wochen.
US-Aktien sind fundamental überbewertet, Kaufsignal im Edelmetallsegment
Veröffentlich am 20.12.2006 11:28 Uhr von Claus Vogt
US-Aktien sind fundamental deutlich überbewertet, Kaufsignal für den Edelmetallsektor Eine der mir am häufigsten gestellten Fragen betrifft die fundamentale Bewertung des US-Aktienmarktes. Gerade bei der Fundamentalanalyse, die eigentlich sehr wenig Interpretationsspielraum lässt und sowohl theoretisch als auch empirisch sehr gut begründet und belegt ist, scheinen sich die Anleger über die extrem voneinander abweichenden Stellungnahmen der Analysten zu wundern - zu Recht. Schließlich sollte es bei der fundamentalen Bewertung nicht sonderlich schwierig sein, allgemein gültige Regeln aufzustellen. Dennoch herrscht ausgerechnet hier eine Vielzahl konkurrierender Darstellungen und Meinungen. Beispielsweise gehöre ich der kleinen Minderheit an, die von einer deutlichen Überbewertung spricht. Gleichzeitig können Sie zahlreiche Stimmen von Kollegen hören, die das ganz anders sehen. Wie ist das möglich?
Kurs-10-Jahresdurchschnittsgewinn-Verhältnis amerikanischer Aktien, 1880 bis 2006.
Quelle: Robert J. Shiller
(Da die Unternehmensgewinne sehr zyklisch sind, erhält man ein klareres Bild von der fundamentalen
Bewertung des Aktienmarktes, wenn man eine mehrjährigen Glättung der Gewinne verwendet.)
Die meisten Analysten und Fondsmanager minimieren ihr persönliches Karriererisiko
Wer mit dem Strom schwimmt und immer mehr oder weniger bullish ist, minimiert sein Karriererisiko in der Finanzindustrie. Es ist für die eigene Karriere kein Problem, mit Prognosen oder Kundengeldern schief zu liegen, wenn fast allen Kollegen und Konkurrenten dasselbe Schicksal widerfährt. Wer sich hingegen gegen die große Mehrheit stellt und eine Außenseiterposition bezieht, fordert das Schicksal geradezu heraus. Henry Kaufman, einst einer der einflussreichsten Analysten an der Wall Street, formulierte diese Problematik in seinen Memoiren "On Money and Markets" (Von Geld und Märkten) folgendermaßen:
"Die meisten Prognosen fallen in eine enge Bandbreite, die von der Mehrheitsmeinung der Finanzgemeinschaft nicht abweicht. Im Großen und Ganzen spiegelt das die allzu menschliche Neigung wider, Risiken zu minimieren und Isolation zu vermeiden. Schließlich ist es sehr komfortabel, mit der Herde zu laufen. Auf diese Weise kann man nicht besonders hervorgehoben werden, wenn eine Prognose sich als falsch erweist, und man geht dem Neid und den Ressentiments aus dem Weg, die jene häufig auf sich ziehen, die öfter richtig liegen als falsch."
Mit anderen Worten, die meisten Analysten und Fondsmanager haben bewusst oder unbewusst das alles andere überragende Ziel, ihr persönliches Karriererisiko zu minimieren. Wenn die Märkte steigen und die Mehrheit bullish ist, dann werden sie eben auch bullish sein. Das fällt wahrscheinlich nicht allzu schwer, da ihre Entscheidungen und Veröffentlichungen anderer Leute Geld betreffen. Allerdings entbindet sie diese Vorgehensweise nicht von der Notwendigkeit, möglichst überzeugende - oder wenigstens irgendwelche - Argumente zu liefern, mit denen sie ihre Prognosen begründen können.
Wie kann man das bewerkstelligen in Zeiten deutlicher fundmentaler Überbewertung? Zwei Methoden sind besonders beliebt:
1.) Statt absoluter Bewertungen werden relative Bewertungen verwendet.
2.) Statt der Unternehmensgewinne der vergangenen 12 Monate werden Gewinnschätzungen für die kommenden Jahre verwendet und zusätzlich werden keine GAAP-Gewinne (Generalyl Accepted Accountig Principles) prognostiziert, sondern mehr oder weniger beliebig definierte operationale Gewinne.
Relative Bewertungen
Im Lauf der großen Aktienspekulation Ende der 1990er Jahre erreichte die Methode der relativen Bewertung eine hohe Popularität. Die Vorgehensweise ist sehr simpel und mag an einem Beispiel verdeutlicht werden. Die fundamentalen Kennzahlen eines Unternehmens werden mit den fundamentalen Kennzahlen anderer Unternehmen verglichen. Das Unternehmen mit den relativ günstigsten Kennzahlen wird dann als vergleichsweise unterbewertet bezeichnet. Auf diese Art und Weise konnte und kann jede noch so absurde Bewertung beispielsweise eines dot.com-Unternehmens als Kaufgelegenheit konstruiert werden, solange es Unternehmen gibt, die noch absurder bewertet sind. Mit dieser Vorgehensweise können natürlich auch Branchen und Indizes verglichen werden, selbstverständlich auch international.
Humbug, oder: das Fed-Modell
Unter Finanzmarktstrategen extrem weit verbreitet ist der Vergleich des Aktienmarkts mit dem Rentenmarkt. Diese Methode ist unter dem Begriff "FED-Modell" bekannt. In diesem Modell werden die prognostizierten (operativen) Gewinne der im S&P500 enthaltenen Unternehmen mit der Rendite zehnjähriger Staatsanleihen verglichen. Um die beiden Größen vergleichen zu können, wird der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses benutzt, also die Gewinnrendite. Sind die Rendite der zehnjährigen Staatsanleihen und die Gewinnrendite der Unternehmen gleich, dann sei der Markt fair bewertet. Ist die Gewinnrendite höher, dann sei der Aktienmarkt unterbewertet; ist die Gewinnrendite niedriger, dass sei er überbewertet. Diesem Modell zufolge sollen Aktien zurzeit um 32,4% unterbewertet sein.

Das sogenannte FED-Modell, in den USA auch IBES-Modell genannt in der
von Don Hays gewählten Variante, 1979 bis 2006. Quelle: Hays Advisory.
(Der von mir sehr geschätzte Analyst - übrigens ein Permaaktienbulle und Permagoldhasser -
vergleicht die prognostizierte Gewinnrendite)
Der Vorteil des Modells ist seine Einfachheit. Den Nachteil sehe ich darin, dass das Modell gerade heraus gesagt Humbug ist. Warum?
* Die Gewinnschätzungen der Analysten sind regelmäßig falsch und fast immer zu hoch. Insbesondere die für die Kursentwicklung von Aktien so wichtigen Wendepunkte der extrem zyklischen Unternehmensgewinne entziehen sich den Prognosen der Analysten mit unerschütterlicher Beharrlichkeit.
* Dass die sehr unsichere Gewinnrendite einer Aktienanlage ausgerechnet dem Zinssatz wenig riskanter 10-jähriger Staatsanleihen entsprechen soll, kann ich nicht nachvollziehen. Müssten nicht riskante Unternehmensanleihen, deren Zinsen natürlich höher sind als die der Staatsanleihen, zu Vergleichszwecken verwendet werden?
* Die Duration (= Kehrwert der Dividendenrendite) des US-Aktienmarktes beträgt über 50. Müsste man korrekterweise nicht identische Durationen miteinander vergleichen? Also Anleihen zum Vergleich herangezogenen werden, die nicht nur 10 Jahre laufen, sondern über 50 Jahre?
* Ein weiterer methodischer Mangel ist der Vergleich heutiger Anleiherenditen mit geschätzten zukünftigen Gewinnrenditen. Methodisch korrekt wäre ein Vergleich zukünftiger Gewinnrenditen mit zukünftigen Anleiherenditen - die sich einer korrekten Prognose allerdings genauso entziehen wie die Gewinnrenditen.
* Über die vergangenen 100 Jahre betrachtet hat das FED-Modell sehr bescheidene Prognoseerfolge zu verbuchen.
Und gewissermaßen als Nachtrag zu dem hier Gesagten drängt sich die Frage auf, wo die Verfechter des FED-Modells in den Jahren 1997 bis 2001 waren. In dieser Zeit zeigte das Modell mehr oder weniger deutliche Überbewertungen des US-Aktienmarkts an - und war entsprechend unpopulär.
Die fundamentale Überbewertung beträgt rund 50%
Die bekannteste Kennzahl der Fundamentalanalyse ist sicherlich das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Für diese Kennzahl liegen auch weit zurückreichende historische Daten vor. Diese bestehen aus den tatsächlich von den Unternehmen veröffentlichten Gewinnen. Die Zeitreihen zeigen also die ausgewiesenen Unternehmensgewinne der jeweils vergangenen 12 Monate. Folglich muss man zu Vergleichszwecken auch heute die ausgewiesenen Unternehmensgewinne der vergangenen 12 Monate verwenden und nicht etwa geschätzte zukünftige Gewinne oder operationale oder anderweitig schön gerechnete Gewinne.
Wenn man diese korrekte Methode verwendet, dann kommt man aktuell auf ein KGV des S&P500 Index von 18. Im historischen Vergleich ist das eine sehr hohe Zahl. Beispielsweise war das KGV in den USA im Jahr 1929 mit 19 nur unwesentlich höher. Nur ein Vergleich des aktuellen KGV mit den nie zuvor gesehenen Rekordwerten der größten Aktienblase aller Zeiten Ende der 1990er Jahre kann den Eindruck vermitteln, die Märkte seien auf dem gegenwärtigen Niveau günstig bewertet.
Die Überbewertung wird übrigens noch deutlicher, wenn Sie berücksichtigen, dass sich die Gewinnmargen der Unternehmen auf einem Rekordniveau befinden: Nie zuvor konnten die Unternehmen einen größeren Teil ihrer Umsätze als Gewinn verbuchen. Ich habe Sie bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass die Gewinnmargen "mean reverting" sind, also um einen langfristigen Mittelwert schwanken. Auf Zeiten hoher Gewinnspannen folgten Zeiten niedriger und umgekehrt.
Damit nicht genug, denn von den gängigen fundamentalen Bewertungskennzahlen zeigt das KGV zurzeit die geringste Überbewertung an. Das liegt an den ungewöhnlich hohen Gewinnspannen, da diese die Ertragskraft der Unternehmen überzeichnet. Laut Hedgefundmanager John P. Hussman betrüge das KGV des S&P500 fast 25, wenn die Gewinnmargen der Unternehmen sich auf einem durchschnittlichen Niveau befänden. Passenderweise zeigen die anderen Klassiker der Fundamentalanalyse wie Kurs-Umsatz-Verhältnis, Dividendenrendite oder Kurs-Buchwert-Verhältnis unisono eine Überbewertung von rund 50% an.

Goldpreis pro Feinunze in Euro, 2005 bis 2006. Quelle: Bloomberg
(Der Goldpreis befindet sich einer bullishen Dreickformation. Ich rechne mit einem baldigen
Ausbruch nach oben. Im US-Dollar fand der Ausbruch nach oben bereits vor sechs Wochen statt.)
Erneutes Kaufsignal für den Edelmetallsektor
Meine langjährigen Leser können sich vielleicht daran erinnern, dass ich im Februar 2001 erstmals zum Kauf von Gold- und Silberminen riet. Damit gehörte ich zu den Ersten, die den gerade erst beginnenden langfristigen Aufwärtstrend dieses Sektors erkannten bzw. prognostizierten. Seither habe ich meine damalige Kaufempfehlung immer wieder erneuert und begründet.
Neben geldpolitischen, fundamentalen und langfristigen Zyklusüberlegungen war ein von John P. Hussman entwickelter Indikator ein wichtiger Grund meiner bullishen Edelmetallaktienprognose des Jahres 2001. Und ebendieser Indikator befindet sich auch jetzt wieder in einer überaus bullishen Konstellation. Trotz der deutlichen Kursavancen des Edelmetallsektors seit meiner Erstempfehlung des Jahres 2001 signalisiert der Indikator erneut ein außerordentlich attraktives Chance-Risiko-Verhältnis der Edelmetallaktien.
Der Indikator setzt sich aus folgenden vier Bedingungen zusammen, die gleichzeitig erfüllt sein müssen:
* 1. Die US-Inflationsrate muss höher sein als vor sechs Monaten.
* 2. Die Zinsen amerikanischer Staatsanleihen müssen niedriger sein als vor sechs Monaten.
* 3. Der ISM-Einkaufsmanagerindex muss unter 50 stehen.
* 4. Der Goldpreis geteilt durch den XAU-Goldminenindex muss ein Ergebnis größer vier ergeben.
Wenn diese Bedingungen erfüllt waren, erzielte der Edelmetallsektor anschließend deutliche Kursgewinne. Laut Hussman beliefen diese sich im Durchschnitt auf annualisiert 124%.
Zurzeit sind alle vier Bedingungen erfüllt, da der Einkaufsmanagerindex kürzlich erstmals seit 2003 wieder unter 50 gefallen ist. Die charttechnische Situation des Goldpreises und der Goldminenindizes halte ich derzeit übrigens für sehr vielversprechend. Beide haben ihre im Mai begonnenen Korrekturen mit einem charttechnischen Kaufsignal beendet und versprechen spektakuläre Kursgewinne.

AMEX Goldbugs Index, 2000 bis 2006. Quelle: Bloomberg
(Im Februar 2002 unterrichtete ich Sie in der Performance über das damals gegeben Kaufsignal.
Derselbe fundamentale Indikator gibt jetzt erneut ein Kaufsignal.)
Rezession in den USA?
Lassen Sie mich mit folgenden Schlagzeilen amerikanischer Medien beginnen, die alle am 1. Dezember auf einer Übersichtsseite für Wirtschaftsnachrichten im Internet zu lesen waren:
* Chicago-Index der Einkaufsmanager auf 49,9 gefallen
* Erstanträge auf Arbeitslosenhilfe deutlich angestiegen
* Einzelhandelsumsätze steigen weniger als erwartet
* Inflation bleibt hartnäckig hoch
* Wal-Mart sagt schwache Dezember-Umsätze vorher
* Verlust von H&R Block fast verdoppelt aufgrund schwacher Hypotheken
* 38.000 Arbeiter werden Ford verlassen
Außerdem wurde beim Auftragseingang langlebiger Güter der stärkste Rückgang seit sechs Jahren gemeldet. Und der Absatz neu erstellter Einfamilienhäuser lag im Oktober 26,7% unter dem Vorjahresniveau. Die Absatzzahlen für die Monate Juli bis September wurden deutlich nach unten revidiert. Schließlich fiel der ISM-Manufacturing Index unter 50. Er signalisiert damit eine Kontraktion des verarbeitenden Gewerbes. Damit gibt ein weiterer wichtiger Frühindikator eine Rezessionswarnung.
Alle diese Meldungen passen perfekt zu einer sich entwickelnden Rezession.

US-Zinsstrukturkurve. Quelle: Bloomberg
(Die Grafik zeigt die Höhe der Zinsen in Abhängigkeit von der Restlaufzeit. Die Zeitachse beginnt bei drei Monaten
und endet bei zehn Jahren. Die obere Linie zeigt die Zinsstruktur vom 13.12.2006, die untere die vom 13.12.05. In der
Vergangenheit signalisierte eine inverse Zinsstrukturkurve verlässlich bevorstehende Rezessionen.)
Eine positive Meldung gab es diese Woche auch: Die zweite Schätzung des US-Wirtschaftswachstums im dritten Quartal 2006 wurde von ursprünglich 1,6% auf 2,2% angehoben. Nun ist das Wirtschaftswachstum bekanntlich kein Frühindikator, sondern ein nachlaufender, der keine Prognosekraft besitzt. Er gleicht also einem Blick in den Rückspiegel und sagt uns lediglich, was hinter uns liegt, aber nicht, was uns erwartet. Folglich ist diese Revision für die zukünftige Wirtschaftsentwicklung bedeutungslos.
Die Inversion der US-Zinsstrukturkurve hat sich aufgrund der Rallye am Rentenmarkt weiter verstärkt. Und auch die EU-Zinsstrukturkurve zeigt in Teilbereichen eine leichte Inversion. Dabei ließ die Europäische Zentralbank wissen, dass die Anfang Dezember erfolgte Zinserhöhung wahrscheinlich nicht die letzte war. Die US-Zinsstrukturkurve war in der Vergangenheit ein extrem zuverlässiger Frühindikator der Wirtschaftsentwicklung. Er signalisiert weiterhin eine bevorstehende Rezession.

EU-Zinsstrukturkurve. Quelle: Bloomberg
(In Europa ist die Zinsstrukturkurve ab einem Jahr Restlaufzeit leicht inve)
Ich sehe mich aufgrund der aktuellen Entwicklungen in meiner Rezessionsprognose bestätigt. Folglich betrachte ich die Diskrepanz zwischen der realwirtschaftlichen Entwicklung auf der einen Seite und dem Börsengeschehen auf der anderen als ebenso augenfällig und brisant wie im Jahr 2000. Entsprechend hoch beurteile ich die Risiken an den Aktienmärkten weltweit.
Die Bedeutung von Rezessionswahrscheinlichkeiten
Laut John P. Hussman habe James Montier von Dresdner Kleinwort in London kürzlich geschrieben, die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den kommenden 12 Monaten betrage derzeit rund 50%. Dabei stütze Montier sich auf ein von der US-Notenbank entworfenes Modell, das nicht nur die inverse Zinsstrukturkurve berücksichtigt, sondern auch das Niveau der kurzfristigen Zinsen. Hussman selbst verwendet ein Modell, das nicht nur diese beiden, sondern einige weitere Indikatoren beinhaltet, die in der Vergangenheit eine gute Prognosequalität aufwiesen wie Zinsdifferenzen verschiedener Risikoklassen, Baubeginne und den ISM-Einkaufsmanagerindex. Diese Modellversion kommt zu Ergebnissen, die sich mit meinen Erwartungen decken: Die Wahrscheinlichkeit einer in den kommenden sechs Monaten beginnenden Rezession in den USA betrage 79 %; und die Wahrscheinlichkeit einer in den kommenden 12 Monaten beginnenden Rezession stolze 92%.

Ganz sicher ist eine Rezession in den kommenden 12 Monaten also nicht. Mit einer Wahrscheinlichkeit von immerhin 8% wird es zu der allgemein erwarteten sanften Landung kommen.
Der von John P. Hussman entwickelte Rezessionsindikator, 1968 bis 2006. Quelle:
www.hussmanfunds.com
(Er gibt die Wahrscheinlichkeit einer Rezession in den kommenden sechs Monaten mit 79% an.
Derselbe Indikator gibt einer Rezession in den kommenden 12 Monaten eine Wahrscheinlichkeit von 92%.)
Sollten Sie bei einer Wahrscheinlichkeit von 8% per Aktienkäufe auf eine sanfte Landung wetten? Die Antwort auf diese Frage ist nicht so einfach wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn selbst bei einer so geringen Wahrscheinlichkeit kann diese Wette sinnvoll sein. Allerdings nur dann, wenn eine ausreichende Sicherheitsmarge im Sinne der fundamentalen Unternehmensbewertung vorhanden ist, was derzeit eindeutig nicht der Fall ist. Diese Sicherheitsmarge wäre dann gegeben, wenn Aktien fundamental günstig bewertet wären, wenn also beispielsweise das Kurs-Gewinn-Verhältnis kleiner als 10 wäre bei gleichzeitig niedrigen oder wenigstens durchschnittlichen Gewinnmargen der Unternehmen. In diesem Fall würde eine normale Rezession nämlich kaum zu verheerenden Kursverlusten an den Aktienmärkten führen, und die langfristigen Erfolgsaussichten des Investments wären extrem attraktiv. In dieser Konstellation würde ich zu einem massiven Einstieg an den Aktienmärkten raten und wäre bereit, die mit einer Rezession einhergehenden Kursverluste auszusitzen.
Aufgrund der aktuellen und oben besprochenen sehr hohen fundamentalen Aktienmarktbewertung ist das Chance-Risiko-Verhältnis des Aktienmarkts überaus unattraktiv. Selbst wenn die unwahrscheinliche sanfte Landung gelingen sollte, würde das nicht automatisch zu attraktiven Kursgewinnen führen. Schließlich ist die sanfte Landung bereits in den Kursen berücksichtigt. Kommt hingegen die sehr wahrscheinliche Rezession, dann dürfte der Markt ähnlich wie in den Jahren 2000 bis 2002 eine heftige Kursanpassung an diese derzeit nicht eingepreiste Entwicklung erfahren.
Spielen Sie Poker oder Skat oder an der Börse?
An dieser Stelle lohnt sich wieder einmal ein Hinweis auf den Umgang mit Wahrscheinlichkeiten. Beispielsweise weiß jeder bessere Poker- oder Skatspieler, dass er sein Blatt den Wahrscheinlichkeiten entsprechend spielen muss, wenn sein Spiel langfristig erfolgreich sein soll. Er muss also zunächst die Wahrscheinlichkeiten kennen, die sich aus einem bestimmten Blatt ergeben. Dann muss er sein Spiel diesen Wahrscheinlichkeiten entsprechend aufziehen. Diese Vorgehensweise führt dazu, dass der Spieler ein Blatt mit schlechter Gewinnwahrscheinlichkeit nicht spielt, beim Poker also frühzeitig passt und beim Skat das Blatt nicht ausreizt. Anfänger verstehen diese Vorgehensweise oft nicht. Sie reizen das Blatt voll aus und fühlen sich dann auch noch bestätigt, falls sie die Partie gewinnen. Dabei übersehen sie, dass sie mit genau diesem Blatt sagen wir in acht von zehn Fällen verlieren und nur in zwei gewinnen. Selbst wenn sie diese eine konkrete Partie gewinnen, müssen sie sich doch sagen lassen, falsch gespielt zu haben.
Genauso verhält es sich an der Börse. Wer hier Wetten abschließt, die ein schlechtes Chance-Risiko-Verhältnis aufweisen, handelt falsch. Daran ändert sich selbstverständlich auch dann nichts, wenn er die Wette gewinnen sollte.
Neues von der Immobilienblase: Die Preise fallen landesweit
Erinnern Sie sich noch an die Beteuerungen zahlreicher Strategen, es gebe keine US-Immobilienblase? Der damalige US-Notenbankpräsident Alan Greenspan versicherte vor dem Kongress sogar, es könne gar keine Immobilienblasen geben, weil die Transaktionskosten - auch emotionaler Art - zu hoch seien, die Verkäufer ausziehen müssten, weniger als zehn Prozent des Marktvolumens pro Jahr umgesetzt würden und kaum Arbitrage-Möglichkeiten bestünden. Etwas später erklärte er in einer Rede, dass die US-Immobilienpreise nicht landesweit fallen könnten, weil es keinen nationalen Immobilienmarkt gebe, sondern nur viele voneinander unabhängige Regionalmärkte.
Wie so oft hat sich auch diese Lageeinschätzung des unverantwortlich agierenden Opportunisten Greenspan, den viele als den größten Notenbanker aller Zeiten bezeichnet haben, als falsch herausgestellt. Seit August dieses Jahres ist der durchschnittliche (Median) Einfamilienhauspreis im Jahresvergleich rückläufig, und zwar landesweit. Im Oktober betrug der Kursrückgang immerhin bereits 3,45%. Ist es da nicht beruhigend zu wissen, dass der Pensionär Greenspan kürzlich verlauten ließ, das Schlimmste am US-Immobilienmarkt sei bereits vorüber?
Es wird Sie vermutlich nicht überraschen, dass ich Greenspans Lagebeurteilung einmal mehr nicht teilen kann. Zu vieles deutet darauf hin, dass wir erst am Beginn eines schmerzhaften Bereinigungsprozesses stehen, der typisch ist für geplatzte Spekulationsblasen.
Der für seine interessanten Veröffentlichungen geschätzte US-Ökonom Paul Kasriel von Northern Trust wirft in diesem Zusammenhang einen sehr instruktiven Blick in die Immobilienmarktgeschichte. Dazu verwendet er die in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verwendete Größe "real residential investment" (reale Investitionen im Wohnungsbau), da diese Zeitreihe für die gesamte Nachkriegszeit vorhanden ist. In den vergangenen Immobilienzyklen betrug der durchschnittliche Rückgang der Investitionen im Wohnungsbau von Hoch zu Tief gerechnet 24,6%. Aktuell beläuft sich der Rückgang auf 7,9%. Sollten wir - wie Greenspan offensichtlich unterstellt - ausgerechnet im Anschluss an eine gewaltige Immobilienblase einen extrem unterdurchschnittlichen Rückgang der Investitionstätigkeit erleben? Wohl kaum.

Reale private US-Wohnungsbauinvestitionen, 1947 bis 2006. Quelle: Paul L. Kasriel, Northern Trust.
(In der Vergangenheit ging die Investitionstätigkeit im privaten Wohnungsbau in der Abwärtsphase
des Zyklus um durchschnittlich 24,6% zurück. Bisher beträgt der Rückgang erst 7,9%. Das Ende der
Immobilienbaisse in den USA erscheint noch in weiter Ferne zu liegen.)
John Mauldin zitiert in seiner wöchentlich erscheinenden Publikation "Thoughts from the Frontline" den mir bisher unbekannten Analysedienst Guerite Advisors mit einer anderen interessanten Beobachtung. In den sieben Immobilienzyklen seit 1959 sind die Baubeginne gemessen von Hoch zu Tief im Durchschnitt um 50,7% zurückgegangen. Wann immer sie um mehr als 25% gefallen sind, gab es anschließend eine Rezession - mit der Ausnahme des Zyklus von 1966/67. Damals verfehlte die US-Wirtschaft die Kriterien einer offiziellen Rezession um Haaresbreite. Eine Baisse an der Börse gab es allerdings.
Aktuell beträgt der Rückgang der Baugenehmigungen seit ihrem zyklischen Hoch vom Januar dieses Jahres 34%. Auch dieser Indikator spricht also gegen Greenspans Prognose - und signalisiert eine bevorstehende Rezession.
Ich könnte Ihnen noch zahlreiche weitere Erkenntnisse über den US-Immobilienmarkt vorstellen und den Zusammenhang von Immobilienzyklen und Rezessionen. Sie alle kommen zu demselben Ergebnis: Wir stehen erst am Anfang der Korrektur und müssen mit einer Rezession rechnen.
Das Gesamtmodell
Die fundamentale Bewertung des US-Aktienmarkts ist sehr hoch. Hier scheint das unwahrscheinliche Szenario einer sanften Landung eingepreist zu sein. Entsprechend hoch ist das Enttäuschungspotenzial, wenn dieses Szenario sich als Wunschdenken herausstellen sollte.
Die monetären Rahmenbedingungen sind sehr bearish für die Aktienmärkte. Das gilt insbesondere für die inverse Zinsstrukturkurve. Aber auch das Geldmengenwachstum ist für unsere auf maßloser Inflationierung basierenden Zeiten relativ gering. Die Geldmenge MZM wurde im Jahresvergleich um 4,3% ausgeweitet, M-2 um 4,7% und M-1 fiel um 0,7%. Die annualisierten Dreimonatszahlen zeigen noch keine signifikante geldpolitische Veränderung: MZM plus 7%, M-2 plus 4,9% und M-1 minus 2,8%. Das breit gefasste Geldmengenaggregat M-3 wird von der US-Notenbank nicht mehr erhoben.
Die Sentimentindikatoren zeigen ein relativ gemischtes Bild Die langfristigen sind überwiegend sehr bearish. Beispielsweise ist die Cashquote der US-Investmentfonds deutlich niedriger als am Top des Jahres 2000. Die Wertpapierkredite erreichten kürzlich 1,6% der gesamten Akteinmarktkapitalisierung. In März 2000 stieg diese Maßzahl auf 1,7%. Im Lauf der anschließenden Baisse halbierte sich diese Zahl. Auch der Volatilitätsindex befindet sich in der Nähe historischer Tiefstände und zeigt damit große Sorglosigkeit der Marktteilnehmer an.
Ein nicht ganz unbedeutender und mit den Finanzmärkten sehr vertrauter Mann teilt diese Sorglosigkeit offensichtlich nicht: US-Finanzminister Henry Paulson, der von Goldman Sachs zur US-Regierung kam. Medienberichten zufolge habe Paulson die nach dem Börsenkrach von 1987 vom US-Präsidenten ins Leben gerufene Arbeitsgruppe Finanzmärkte mit einer interessanten Aufgabe betraut. Sie solle eine Kommandozentrale aufbauen, damit die Regierung im Fall einer Finanzkrise zügig handeln könne - was immer das bedeuten mag.
Auch zahlreiche Manager (Insider) amerikanischer Unternehmen zeigen durch Ihre Handlungen eine deutliche Skepsis hinsichtlich der zukünftigen Aktienmarktentwicklung. Die Insider-Aktienverkäufe haben in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen. Das Verhältnis des Insider-Kaufvolumens (Anzahl der Stücke mal Preis) zum Verkaufvolumen ist unter den bisherigen Rekord des Jahres 2001 gefallen. Wenn ausgerechnet die Personen die ihre Unternehmen mit Sicherheit besser kennen als Sie oder ich, massiv Aktien verkaufen, sollten Sie dann kaufen?

Der Sentimentindikator von Investors Intelligence in den vergangenen 12 Monaten. Quelle:
www.decisionpoint.com
(Dieser Kontraindikator wertet die US-Börsenbriefe aus. In den vergangenen Wochen ist
die Anzahl der Bullen auf knapp 60% gestiegen, die der Bären beträgt nur 20.)
Ein widersprüchliches Bild zeigen die eher kurzfristig orientierten Sentimentindikatoren. Der von Investors Intelligence ermittelte Sentimentindikator, der die US-Börsenbriefe auswertet, weist wieder eine sehr hohe Anzahl von Bullen und eine sehr geringe Anzahl von Bären aus. Bereits seit fünf Wochen liegt das Verhältnis von Bullen zu Bären über 2,5. Der Sentimentindikator der American Association of Individual Investors bestätigt diese große Zuversicht allerdings nicht. Dieser Indikator basiert auf einer nicht repräsentativen Umfrage unter Kleinanlegern per Internet.
In Deutschland erreichte der Ifo-Geschäftsklimaindex mit 106,8 Punkten einen sehr hohen Stand. Werte über 100 Punkte fielen in der Vergangenheit mit wichtigen oberen Wendepunkten an der Börse zusammen. Der Index steht bereits seit Februar dieses Jahres über dieser wichtigen Marke. In der März-Ausgabe der Performance habe ich diesen Kontraindikator etwas ausführlicher besprochen. Da es sich um einen mittelfristigen Indikator handelt, gilt das damals Gesagte unverändert auch heute noch. Interessierte Leser können den Artikel in unserem Archiv nachlesen (
www.effektenbank.de).
Fazit
Das Szenario einer sanften Landung der US-Wirtschaft wird immer unwahrscheinlicher. In der Vergangenheit ging jede Rezession mit einer Baisse am Aktienmarkt einher. Folglich sollten sie sich und ihr Wertpapierdepot auf eine Rezession und eine Baisse einstellen. Die durchschnittliche Baisse an der Wall Street dauerte 19,2 Monate und bescherte Kursverluste von 36,1%. Gold, Goldminenaktien und Staatsanleihen halte ich vor diesem Hintergrund für attraktive Investments auf Sicht der nächsten 12 bis 24 Monate, Aktien hingegen für überaus riskant.
In der Juli-Ausgabe der "Perfomance" schrieb ich im Fazit: "Der hohe Grad an Vorsicht, der sich in den Sentimentindikatoren zeigt, sollte in den kommenden Wochen abgebaut werden. Eine Fortsetzung der gerade erst begonnenen Sommerrallye würde sicherlich dafür sorgen. Wenn einige Indizes ihre Mai-Hochs überbieten könnten und der Dow vielleicht sogar ein neues Allzeithoch erreichte, würde sich die Stimmung der Marktteilnehmer sicherlich wieder drastisch verbessern. Dann wäre aus technischer Sicht auf fast perfekte Weise der Boden bereitet für den nächsten großen Abwärtsschub."
Der erste Teil der im Sommer begonnenen Kursrallye an den internationalen Aktienmärkten überraschte mich also nicht. Die Fortsetzung dieser Rallye bis zum heutigen Tag hat mich allerdings voll auf dem falschen Fuß erwischt. Und dennoch muss ich mit dem Hinweis auf den obigen Abschnitt "Spielen Sie Poker oder Skat oder an der Börse?" eingestehen, dass ich auch aus heutiger Sicht nicht zu einem anderen Ergebnis hätte kommen können.
Meine Prognosen sind immer Wahrscheinlichkeitsaussagen. Folglich muss ich damit leben können, dass auch die weniger wahrscheinlichen Szenarien eintreten können.
© Claus Vogt
Leiter Research der Berliner Effektenbank