Seite 1 von 1

"Hindenburg-Omen" nennt sich der unheilvoll ...

Verfasst: 21.07.2006 18:33
von cattywampus
... klingende technische Indikator, der derzeit über das Parkett und diverse Internet-Foren geistert.

Bild

21. Juli 2006 Es war der Stolz der deutschen Luftfahrt - bis es an einem Frühlingsabend im Mai in Lakehurst in Flammen aufging und das Ende der deutschen Luftschiffahrt-Ära besiegelte: das deutsche Luftschiff "Hindenburg". Seit jenem Abend in Lakehurst, als die legendäre Reportage über das Ende des 245 Meter großen Luftschiffes um die Welt ging, gilt die Hindenburg als ein Synonym für Katastrophen und Unglücke.

Da wundert es wenig, daß der an den deutschen Reichspräsidenten gemahnende Name auch heute wieder herhalten muß, um Angst und Schrecken zu verbreiten - diesmal an der Börse. "Hindenburg-Omen" nennt sich der unheilvoll klingende technische Indikator, der derzeit über das Parkett und diverse Internet-Foren geistert.

Hindenburg-Omen - vor allen Aktienkursstürzen der vergangenen 21 Jahre eingetreten

Woher das düster klingende Omen kommt, läßt sich nur schwer rekonstruieren. Vor allem Robert McHugh vom amerikanischen Investmentberater Main Line Investors propagiert das Omen auf seiner Homepage und schreibt seinem Berufskollegen Jim Miekka das Verdienst zu, das Omen als solches entdeckt zu haben. McHughs Botschaft: Trifft das Hindenburg-Omen - das ein Sammelsurium technischer Indikatoren bezeichnet - ein, dann muß man mit einer Wahrscheinlichkeit von rund 25 Prozent damit rechnen, daß in den kommenden vier Monaten ein veritabler Kurssturz von mindestens 15 Prozent eintritt - da kann man schon mal das Wort "Katastrophe" in den Mund nehmen. Das Omen, so schreibt McHugh, sei vor allen Aktienkursstürzen der vergangenen 21 Jahre eingetreten, insgesamt 22 solcher Omen hat er gezählt.

Der Grundgedanke des Hindenburg-Omens besteht darin, daß immer dann etwas an den Märkten faul ist, wenn an einem Handelstag viele Aktien ein neues Hoch und viele Aktien ein neues Tief erreichen - ein Zeichen für die Zerrissenheit des Marktes, so lautet die Idee. Zuerst wird also ausgerechnet, wieviel Prozent aller Aktien an der New Yorker Börse an einem Handelstag ein neues 52-Wochen-Hoch oder ein neues 52-Wochen-Tief erreichen. Der kleinere der beiden Werte sollte mindestens die Zwei-Prozent-Marke überschreiten, dann kann man davon sprechen, daß - gemessen am Handelsvolumen - der Markt sehr uneinheitlich ist. Doch dieser Indikator alleine reicht noch nicht aus, um Aktienkurse hindenburgesk abstürzen zu lassen: Zusätzlich, so die Idee des Omens, muß der gleitende 10-Wochen-Durchschnitt der Börsenkurse an der New Yorker Börse steigen und der sogenannte McClellan-Oszillator - der sich aus der Differenz zwischen der Zahl der täglich steigenden und fallenden Aktien ableitet - negativ sein. Teilweise wird noch eine vierte Bedingung - die Zahl der neuen 52-Wochen-Hochs darf die der neuen 52-Wochen-Tiefs nicht um mehr als das Doppelte überschreiten - hinzugefügt. Um dann aber ganz sicherzugehen, daß aus den Kursen die Luft respektive das Helium abgelassen wird, muß das Omen zudem "bestätigt" werden, also sich innerhalb einer Periode von 30 Tagen mindestens einmal wiederholt haben.

„Data Mining” - man quält die Daten solange bis sie gestehen

"Der Grundgedanke - daß viele neue Hochs und Tiefs zugleich etwas über die Marktverfassung aussagen - ist interessant", sagt Andreas Sauer von Union Panagora, der sich mit quantitativen Modellen beschäftigt. Allerdings müsse man in einem nächsten Schritt fragen, warum dies so sei. "Ohne einen einleuchtenden Kausalzusammenhang können Sie keine Aussage darüber machen, ob dieser Zusammenhang denn auch in Zukunft so bestehen wird", meint Sauer. In der Tat: Ohne eine erklärende Komponente verkommt ein solcher Indikatoren-Mix rasch zu einer statistischen Fleißarbeit: Man untersucht einfach das Verhalten von Hunderten Indikatoren in Krisenzeiten und stellt sich dann einen Cocktail an Variablen zusammen, die sich - möglicherweise nur zufällig - in Krisenzeiten immer gleichförmig verhalten haben. Im Fachjargon nennt man das dann "Data Mining" - man quält die Daten solange bis sie gestehen. "Nachträglich können Sie einen solchen Indikator leicht konstruieren - aber das muß dann nicht immer sinnvoll sein", sagt Joachim Goldberg von Cognitrend, der den Kapitalmärkten mit Hilfe der Psychologie auf den Leib rückt. Und angesichts der wenigen Beispielfälle, in denen das Omen zu einem veritablen Kursrutsch geführt habe, müsse man sich zudem fragen, ob der von den Hindenburg-Apologeten so postulierte Zusammenhang wirklich zuverlässig sei.

Daß Anlagespezialisten und Anlegerbriefe mit derartigen Börsengeschichten dennoch gerne hausieren gehen, liegt vermutlich an der Illusion der Beherrschbarkeit des Unbeherrschbaren, die ein solches Börsenomen gibt. Wer sich dieser Illusion hingeben will, kann auch auf sein persönliches Börsenomen vertrauen - Walter Krämer, Statistik-Professor an der Universität Dortmund, verrät, wie man sein eigenes, persönliches Omen konstruiert: "Sie nehmen beispielsweise die letzten 10 Kursstürze, und schauen dann in Ihrem Tagebuch nach, was Sie in der Zeit vor den Kursverlusten so gemacht haben. Die Chance ist recht hoch, daß Sie einen Zusammenhang zwischen Ihrem Tagebuch und den Börsenkursen konstruieren können", sagt Krämer. Der einzige Haken dabei: Das "Müller-Omen" oder "Ranke-Heinemann-Omen" klingt vermutlich nicht so spektakulär. So ist das eben: Nichts fügt einer Geschichte mehr Realität hinzu als ein guter Name.
Text: hbe., F.A.Z., 22.07.2006, Nr. 168 / Seite 19
Bildmaterial: picture-alliance / dpa