Wie modern ist die "moderne" Portfoliotheorie?
Verfasst: 27.01.2006 12:25
Von Wolfgang Drobetz und David Rey. (Erschienen in der Neue Zürcher Zeitung unter dem Titel„Neue Ansätze der Risikoverteilung – Mosaiksteine einer altersgerechten Vermögensaufteilung“)
Wolfgang Drobetz ist Assistenzprofessor,
David Rey wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel.
"In diesen Spalten wurde bereits die „rätselhafte Abneigung“ gegen die Risikodiversifikation und die Bedeutung der „modernen Portfoliotheorie“ in der Vermögensverwaltung diskutiert (vgl. NZZ vom 29. 5. 2004, 5. 7. 2004 und 2. 8. 2004).
Die Autoren dieses Beitrags gehen einen Schritt weiter und argumentieren, dass es aus akademischer Sicht durchaus gute Gründe gibt, dass die Erkenntnisse der modernen Portfoliotheorie in der Praxis nur beschränkt umgesetzt werden.
Neben Schätzrisiken sollten in einem mehrperiodigen Modellrahmen auch Konsum- und Einkommensströme in der Bestimmung der optimalen Vermögensaufteilung berücksichtigt werden. Allerdings sind auch Modelle der „Strategischen Asset Allocation“ resp. des „Life-Cycle Investing“ (noch) kaum praxistauglich.Ein wesentlicher Bestandteil der „modernen Portfoliotheorie“ ist die Risikodiversifikation. Nobelpreisträger Harry Markowitz zeigte bereits vor fünfzig Jahren, wie durch die Mean-Variance Optimierung eine einfache und hinsichtlich Rendite und Risiko effiziente Vermögensaufteilung gefunden werden kann. Auf den ersten Blick erstaunt es, dass diese Methode in der Praxis kaum angewendet wird.Mean-Variance Optimierung und SchätzrisikenAusgangspunkt für die Mean-Variance Optimierung sind Schätzungen für die zukünftigen Renditen, Volatilitäten und Korrelationen aller relevanten Anlagen. Schätzungen erfolgen allerdings immer mit Fehlern, und die Mean-Variance Optimierung kann im schlimmsten Fall zu einer Schätzfehlermaxi-mierung führen. Die resultierenden Portfoliogewichte sind in der Praxis oft nicht umsetzbar (bspw. Leerverkäufe) und widersprechen geradezu jeglicher Risikodiversifikation (bspw. extreme Gewichte in einigen wenigen Anlagen). Bei der Optimierung berücksichtigte Limiten können zwar zu realisti-scheren Gewichten führen, doch laufen sie Gefahr, das Ergebnis willkürlich vorwegzunehmen.
„Naive“ Diversifikation
Alternativ kann ein Investor die Optimierung umgehen und alle Anlagen bspw. in gleichgewichteten Portfolios halten. Solche naiv diversifizierten Portfolios sind zwar nicht optimal, doch ist der damit verbundene Effizienzverlust vergleichsweise gering. Für die Performance eines Portfolios viel wichtiger als die Gewichtung einzelner Anlagen innerhalb einer Anlageklasse ist die Aufteilung des Vermö-gens zwischen diesen Anlageklassen. Zudem zeigen Untersuchungen, dass bereits mit weniger als 30 zufällig gewählten Anlagen eine ausreichende Risikodiversifikation erreicht wird. Dem Anleger stehen immer mehr diversifizierte Anlageinstrumente wie Fonds, Indexzertifikate und Exchange TradedFunds (ETF) vergleichsweise kostengünstig zur Verfügung.
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Risikodiversifiaktion ist also ein brauchbares und notwendiges Investitionskriterium, dennoch ist es nicht erstaunlich, dass die Mean-Variance Optimierung in der Praxis kaum angewendet wird. Separation und MarktgleichgewichtDie moderne Portfoliotheorie geht noch einen Schritt weiter. Falls eine risikolose (Geldmarkt-) Anlage existiert, halten alle Anleger – abhängig von der Risikoneigung – je einen Teil ihrer Vermögenswerte im Geldmarkt und im Marktportfolio. Letzteres umfasst das aggregierte Volksvermögen und damit alle risikobehafteten Anlagen, vereinfacht aber oft nur Aktien und Obligationen. Wichtiger als die genaue Definition des Marktportfolios ist, dass dessen Zusammensetzung universell sein sollte: Ein risikoaverser Anleger wird zwar im Vergleich zu einem risikofreudigeren Anleger einen höheren Anteil seines Vermögens im risikolosen Geldmarkt investieren, jedoch müsste die Zusammensetzung des verbleibenden Anteils für beide Anleger identisch sein: unabhängig von der Risikoneigung sollte das Verhältnis zwischen Aktien und Obligationen konstant sein. In der Praxis beobachtet man jedoch um-gekehrt, dass mit zunehmender Risikoaversion das Verhältnis zwischen Obligationen und Aktien zu-nimmt, der Geldmarktanteil hingegen konstant bleibt.Was ist die risikolose Anlage? Dieses „Asset Allocation Puzzle“ kann im Rahmen der modernen Portfoliotheorie, die den Anlageho-rizontes auf eine einzige, in ihrer Länge gar unbestimmte Zeitperiode beschränkt, nicht erklärt werden. Beirelativ kurzem Anlagehorizont ist zwar eine kurzfristige Geldmarktanlage risikolos, über mehrere Zeitperioden hinweg ist diese aber einem Wiederanlagerisiko ausgesetzt: der zukünftige Zinssatz ist heute unbekannt. Im Gegensatz dazu können die Kurse von Obligationen mit einer langen Laufzeit in der kurzen Frist stark schwanken und die Anleger unterliegen einem Anlagerisiko. Über die gesamte Laufzeit ist das Risiko hingegen geringer: alle zukünftigen Zahlungsströme sind zum Zeitpunkt des Kaufes bekannt (unter Vernachlässigung des Kredit- und Inflationsrisikos). Bei einem langen Anlage-horizont macht es also Sinn, dass ein risikoaverser Anleger einen höheren Anteil in nunmehr ver-gleichsweise wenig riskante Obligationen investiert als ein risikofreudiger Investor.
Strategische Asset Allocation
Die moderne Portfoliotheorie vernachlässigt neben den Wiederanlagerisiken auch zwischenzeitliche Konsum- und Einkommensströme. Gerade letztere sind für den jungen Privatinvestor von grösster Wichtigkeit: Sein Humankapital (als heutiger Wert zukünftiger Einkommensströme) ist mitunter sehr viel höher als sein Finanzvermögen. So kann ein junger Staatsangestellter, der noch über viele Jahre hinweg ein vergleichsweise sicheres Arbeitseinkommen erwarten kann, das zudem kaum mit dem Aktienmarkt korreliert ist, sein kleines Finanzvermögen aggressiv in Aktien investieren. Umgekehrt sollte ein älterer Investment-Banker, dessen Humankapital im Vergleich zum Finanzvermögen klein ist und erst noch mit dem Aktienmarkt hoch korreliert ist, sein Finanzvermögen weitgehend in festverzinsliche Anlagen investieren. In einer Mehrperiodenbetrachtung sollten ferner auch Immobilien, Steuern, Familienplanung, Unternehmensbeteiligungen und Vorsorgeguthaben einfliessen. Umfassende Modelle einer solchen intertemporalen Finanzplanung, die unter dem Titel „Strategische Asset Allocation“ resp. „Life-Cycle Investing“ diskutiert werden, sind leider anspruchsvoll und (noch) kaum praxistauglich.Insgesamt gibt es aus akademischer Sicht also durchaus gute Gründe, weshalb die Erkenntnis-se der „modernen“ Portfoliotheorie in der Praxis nur beschränkt umgesetzt werden.
Die Kunst der Vermögensverwaltung besteht nach wie vor darin, ein pragmatisches Vorgehen zu wählen, welches neuere Erkenntnisse der Finanzmarkttheorie bestmöglich berücksichtigt.
Wolfgang Drobetz ist Assistenzprofessor,
David Rey wissenschaftlicher Mitarbeiter am Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrum (WWZ) der Universität Basel.
"In diesen Spalten wurde bereits die „rätselhafte Abneigung“ gegen die Risikodiversifikation und die Bedeutung der „modernen Portfoliotheorie“ in der Vermögensverwaltung diskutiert (vgl. NZZ vom 29. 5. 2004, 5. 7. 2004 und 2. 8. 2004).
Die Autoren dieses Beitrags gehen einen Schritt weiter und argumentieren, dass es aus akademischer Sicht durchaus gute Gründe gibt, dass die Erkenntnisse der modernen Portfoliotheorie in der Praxis nur beschränkt umgesetzt werden.
Neben Schätzrisiken sollten in einem mehrperiodigen Modellrahmen auch Konsum- und Einkommensströme in der Bestimmung der optimalen Vermögensaufteilung berücksichtigt werden. Allerdings sind auch Modelle der „Strategischen Asset Allocation“ resp. des „Life-Cycle Investing“ (noch) kaum praxistauglich.Ein wesentlicher Bestandteil der „modernen Portfoliotheorie“ ist die Risikodiversifikation. Nobelpreisträger Harry Markowitz zeigte bereits vor fünfzig Jahren, wie durch die Mean-Variance Optimierung eine einfache und hinsichtlich Rendite und Risiko effiziente Vermögensaufteilung gefunden werden kann. Auf den ersten Blick erstaunt es, dass diese Methode in der Praxis kaum angewendet wird.Mean-Variance Optimierung und SchätzrisikenAusgangspunkt für die Mean-Variance Optimierung sind Schätzungen für die zukünftigen Renditen, Volatilitäten und Korrelationen aller relevanten Anlagen. Schätzungen erfolgen allerdings immer mit Fehlern, und die Mean-Variance Optimierung kann im schlimmsten Fall zu einer Schätzfehlermaxi-mierung führen. Die resultierenden Portfoliogewichte sind in der Praxis oft nicht umsetzbar (bspw. Leerverkäufe) und widersprechen geradezu jeglicher Risikodiversifikation (bspw. extreme Gewichte in einigen wenigen Anlagen). Bei der Optimierung berücksichtigte Limiten können zwar zu realisti-scheren Gewichten führen, doch laufen sie Gefahr, das Ergebnis willkürlich vorwegzunehmen.
„Naive“ Diversifikation
Alternativ kann ein Investor die Optimierung umgehen und alle Anlagen bspw. in gleichgewichteten Portfolios halten. Solche naiv diversifizierten Portfolios sind zwar nicht optimal, doch ist der damit verbundene Effizienzverlust vergleichsweise gering. Für die Performance eines Portfolios viel wichtiger als die Gewichtung einzelner Anlagen innerhalb einer Anlageklasse ist die Aufteilung des Vermö-gens zwischen diesen Anlageklassen. Zudem zeigen Untersuchungen, dass bereits mit weniger als 30 zufällig gewählten Anlagen eine ausreichende Risikodiversifikation erreicht wird. Dem Anleger stehen immer mehr diversifizierte Anlageinstrumente wie Fonds, Indexzertifikate und Exchange TradedFunds (ETF) vergleichsweise kostengünstig zur Verfügung.
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Risikodiversifiaktion ist also ein brauchbares und notwendiges Investitionskriterium, dennoch ist es nicht erstaunlich, dass die Mean-Variance Optimierung in der Praxis kaum angewendet wird. Separation und MarktgleichgewichtDie moderne Portfoliotheorie geht noch einen Schritt weiter. Falls eine risikolose (Geldmarkt-) Anlage existiert, halten alle Anleger – abhängig von der Risikoneigung – je einen Teil ihrer Vermögenswerte im Geldmarkt und im Marktportfolio. Letzteres umfasst das aggregierte Volksvermögen und damit alle risikobehafteten Anlagen, vereinfacht aber oft nur Aktien und Obligationen. Wichtiger als die genaue Definition des Marktportfolios ist, dass dessen Zusammensetzung universell sein sollte: Ein risikoaverser Anleger wird zwar im Vergleich zu einem risikofreudigeren Anleger einen höheren Anteil seines Vermögens im risikolosen Geldmarkt investieren, jedoch müsste die Zusammensetzung des verbleibenden Anteils für beide Anleger identisch sein: unabhängig von der Risikoneigung sollte das Verhältnis zwischen Aktien und Obligationen konstant sein. In der Praxis beobachtet man jedoch um-gekehrt, dass mit zunehmender Risikoaversion das Verhältnis zwischen Obligationen und Aktien zu-nimmt, der Geldmarktanteil hingegen konstant bleibt.Was ist die risikolose Anlage? Dieses „Asset Allocation Puzzle“ kann im Rahmen der modernen Portfoliotheorie, die den Anlageho-rizontes auf eine einzige, in ihrer Länge gar unbestimmte Zeitperiode beschränkt, nicht erklärt werden. Beirelativ kurzem Anlagehorizont ist zwar eine kurzfristige Geldmarktanlage risikolos, über mehrere Zeitperioden hinweg ist diese aber einem Wiederanlagerisiko ausgesetzt: der zukünftige Zinssatz ist heute unbekannt. Im Gegensatz dazu können die Kurse von Obligationen mit einer langen Laufzeit in der kurzen Frist stark schwanken und die Anleger unterliegen einem Anlagerisiko. Über die gesamte Laufzeit ist das Risiko hingegen geringer: alle zukünftigen Zahlungsströme sind zum Zeitpunkt des Kaufes bekannt (unter Vernachlässigung des Kredit- und Inflationsrisikos). Bei einem langen Anlage-horizont macht es also Sinn, dass ein risikoaverser Anleger einen höheren Anteil in nunmehr ver-gleichsweise wenig riskante Obligationen investiert als ein risikofreudiger Investor.
Strategische Asset Allocation
Die moderne Portfoliotheorie vernachlässigt neben den Wiederanlagerisiken auch zwischenzeitliche Konsum- und Einkommensströme. Gerade letztere sind für den jungen Privatinvestor von grösster Wichtigkeit: Sein Humankapital (als heutiger Wert zukünftiger Einkommensströme) ist mitunter sehr viel höher als sein Finanzvermögen. So kann ein junger Staatsangestellter, der noch über viele Jahre hinweg ein vergleichsweise sicheres Arbeitseinkommen erwarten kann, das zudem kaum mit dem Aktienmarkt korreliert ist, sein kleines Finanzvermögen aggressiv in Aktien investieren. Umgekehrt sollte ein älterer Investment-Banker, dessen Humankapital im Vergleich zum Finanzvermögen klein ist und erst noch mit dem Aktienmarkt hoch korreliert ist, sein Finanzvermögen weitgehend in festverzinsliche Anlagen investieren. In einer Mehrperiodenbetrachtung sollten ferner auch Immobilien, Steuern, Familienplanung, Unternehmensbeteiligungen und Vorsorgeguthaben einfliessen. Umfassende Modelle einer solchen intertemporalen Finanzplanung, die unter dem Titel „Strategische Asset Allocation“ resp. „Life-Cycle Investing“ diskutiert werden, sind leider anspruchsvoll und (noch) kaum praxistauglich.Insgesamt gibt es aus akademischer Sicht also durchaus gute Gründe, weshalb die Erkenntnis-se der „modernen“ Portfoliotheorie in der Praxis nur beschränkt umgesetzt werden.
Die Kunst der Vermögensverwaltung besteht nach wie vor darin, ein pragmatisches Vorgehen zu wählen, welches neuere Erkenntnisse der Finanzmarkttheorie bestmöglich berücksichtigt.