Andy Xie: Die Ölpreis-Spekulation bricht zusammen!
Verfasst: 01.08.2005 11:16
DER MARKT FÜR ROHÖL SCHEINT HEIß ZU LAUFEN. BÄREN WIE DER ASIEN-CHEFÖKONOM ANDY XIE VON MORGAN STANLEY WARNEN BEREITS VOR EINEM PREISVERFALL - AUSGELÖST DURCH EINE FALLENDE NACHFRAGE IN ASIEN.
Mitten im Rummel hält Raymond Carbone, ein Rohstoff-Händler auf dem Parkett der New Yorker Mercantile Exchange (Nymex) einen Moment lang inne: Gerade erhielt er die Order, Optionen zu erwerben, die seinen Kunden berechtigen, Erdöl für 70 Dollar das Barrel zu kaufen - irgendwann vor 2010. Ist diese Entwicklung noch rational?
Nicht allein der Ausübungspreis rund 13 Dollar über dem aktuell schon hohen Ölpreis erscheint sehr hoch, auch die Laufzeit über fünf Jahre ist eine Ausnahme am sonst so kurzlebigen Terminmarkt.
Die Öl-Futures an der Nymex stiegen allein in diesem Jahr um 39 Prozent.
Inflationsbereinigt ist zwar das Rekordhoch der Ölkrise von 1980, in heutigen Preisen 95 Dollar, noch lange nicht erreicht - doch die derzeitige Rally sucht ihresgleichen.
Gerade in diesem Jahr, wo die amerikanischen Aktien- und Anleihenmärkte zumeist seitwärts laufen, sind Hedgefondsmanager, die nur in volatilen Märkten verdienen können, dankbare Spekulanten. Öl und Öl-Aktien sind "in", die meisten Marktteilnehmer erwarten stetig weiter steigende Preise. Goldman Sachs' Ölexperte Arjun Murti prophezeite unlängst eine obere Spannweite für den Ölpreis von 105 Dollar.
Doch Skeptiker erinnert das an die Tage des Internet-Wahnsinns: "Heute Öl zu kaufen, ist wie 2000 in Technologie- Aktien einzusteigen", warnt Andy Xie, Chefökonom für Asien bei Morgan Stanley. "Chinas wirtschaftliche Überhitzung und die Spekulation von Finanzinvestoren ließen eine Blase im Ölpreis entstehen." Xie glaubt, dass die Tage der Rally gezählt sind. Er erwartet für 2006 drastisch niedrigere Ölpreise.
Eine Reihe von Indizien unterstützt Xies These: Inzwischen haben sich Öl- Aktien in den Vereinigten Staaten, Asien und Europa zu den Schwergewichten in den Indizes entwickelt - wie seinerzeit die Tech-Aktien. Seit Juni hat sich die Zahl der bullischen Kontrakte von Finanzspekulatoren - die allein auf Geldgewinne aus sind und nicht wie andere Akteure Futures als Absicherung für ihre Ölposition kaufen - an der Nymex um das 14fache auf 20 000 erhöht. Insgesamt entfallen auf Finanzanleger bereits elf Prozent der 772000 offenen Kontrakte - damit decken sie Spekulationen über immerhin 46 Milliarden Dollar ab. Langfristige Kontrakte erzielen jetzt höhere Preise als Verträge mit kurzer Laufzeit - ein seltenes Phänomen, das den überschwänglichen Optimismus für den Ölpreis auch auf lange Sicht reflektiert. Eine andere Schlüsselkorrelation bietet ebenfalls Anlass zur Besorgnis:
Heizöl wird momentan höher gehandelt als Benzin - ein Missverhältnis im Sommer, wenn die Heizungen abgestellt sind. Des Rätsels Lösung: Mit Heizöl- kontrakten spekulieren Hedgefondsmanager derzeit auf eine mögliche Verknappung von Diesel in den USA.
Die Mehrheit der Händler setzt wegen eines strukturellen Wandels auf weiterhin steigende Ölpreise: Die Welt verbraucht fast alles Öl, das sie produziert. Sobald ein Lieferengpass auch nur befürchtet wird - wie bespielsweise jüngst wegen des Hurrikans Emily vor der an Ölvorkommen reichen Karibikküste Mexikos - wirkt sich das unmittelbar auf die Preise aus. Ein weiteres wichtiges Argument der Bullen ist die Knappheit der Raffinerie-Kapazität für "Heavy Crude" - schwefelreiches Rohöl, wie es etwa in Saudi-Arabien gefördert wird. Fast alle Raffinerien können ausschließlich das knappere "Sweet Crude" verarbeiten. Deshalb gehen die Notierungen in die Höhe.
Andy Xie von Morgan Stanley glaubt, dass in erster Linie die weltweit äußerst geringe freie Ölförderkapazität so anfällig für übertriebene Preisanstiege macht: "Weil Angebot und Nachfrage ausgesprochen unelastisch sind, treibt schon die Spekulation die Notierungen in die Höhe." "Die Blase platzt, wenn die echte Nachfrage gerade genügend abflacht, um ein leichtes Überangebot an Öl zu schaffen." Dann werden die Spekulanten die Nerven verlieren, glaubt Xie: "Und die spekulativen Käufe brechen zusammen." Eine Blase bläht sich normalerweise selbst auf, weil sie auf dem Papier Reichtum kreiert und die Konsumnachfrage anheizt - wie zum Beispiel derzeit im USImmobilienmarkt.
Eine "Bubble" am Ölmarkt müsste den gegenteiligen Effekt haben und die Wirtschaft dämpfen: "Sie kann eigentlich nicht lange dauern, weil sie den Konsum dämpft", sagt Xie.
Dass die rasant steigenden Ölpreise das weltweite Wirtschaftswachstum bisher nicht gebremst haben, begründet er mit dem expansiven Vermögenseffekt der in vielen Ländern parallel existierenden Immobilienblase: "Doch überall außer in den USA stagnieren die Immoblilienpreise bereits oder haben sogar begonnen zu fallen. Die negative Wirkung der Ölblase wird sichtbarer." Insbesondere in Asien: Auf diesen Wirtschaftsraum entfallen 29 Prozent des Weltölkonsums, doch die Konjunktur kühlt sich dort allmählich ab. Chinas Ölnachfrage verlangsame sich. "Die Ölimporte sind in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 1,2 Prozent gefallen", sagt Xie, der glaubt, dass sie weiter zurückgehen werden. "China wird wieder mehr Kohle für die Stromerzeugung einsetzen." Im Jahr 2004 war der Ölverbrauch um 15,8 Prozent nach oben geschnellt - gegenüber einer Wachstumrate von 7,7 Prozent in 2003 - weil häufige Stromausfälle viele Fabriken dazu zwangen, Dieselgeneratoren laufen zu lassen.
Auf ein Niveau von 40 Dollar wird der Preis für den begehrten Rohstoff Öl wieder fallen, erwartet David Powers, Portfoliomanager bei der US-Fondsgesellschaft Federated. Es gebe genug Öl, wie etwa im kanadischen Ölsand, der allerdings teurer zu pumpen und zu raffinieren sei. "Selbst beim Preis von 40 Dollar lohnt es sich noch, das schwierigere Terrain zu erschließen." Wann der Ölpreis sinken wird, wagt Powers aber nicht zu sagen - zu viele Auguren hätten sich bei der Prognose schon eine blutige Nase geholt: "Wahrscheinlich liegt er in ein paar Jahren deutlich unterhalb von 60 Dollar"
Fallende Preise Überhitzung Der Markt ist heiß gelaufen - Sowohl Ölaktien als auch Ölfutures gelten derzeit in Zockerkreisen als sichere Performancebringer. Eine Blase entsteht.
Nachfrage Chinas Ölimporte sind in den ersten fünf Monaten dieses Jahres bereits leicht zurückgegangen. Kühlt sich die Wirtschaft sichtlich ab, fällt der Ölpreis rasant. Ölfelder Deren Erschließung lohnt sich ab 35 Dollar je Barrel. Das schafft mittelfristig mehr Angebot. Auch davon profitieren Spekulanten:
Aktien, die Sandboden Öl entziehen - wie Opti Canada - verdoppelten sich seit Jahresbeginn.
Von Anfang bis Herbst 2004 profitierte der Aktienmarkt - hier der Index S&P 500 - von den sinkenden Ölpreisen.
Als diese dann anzogen, sackten die Börsenkurse ab. Mit Beginn des Jahres 2005 kehrten sich die Trends erneut um. Zuletzt setzte sich jedoch - trotz steigender Ölnotierungen - eine positive Börsentendenz durch.
"Der jüngste Anstieg des Ölpreises war die letzte Zuckung." Andy Xie, Chefökonom Asien bei Morgan Stanley
"Der hohe Ölpreis erledigt sich durch erhöhte Förderung von selbst." David Powers, Fondsmanager Federated
Quelle: Börse-Online 31/05
Mitten im Rummel hält Raymond Carbone, ein Rohstoff-Händler auf dem Parkett der New Yorker Mercantile Exchange (Nymex) einen Moment lang inne: Gerade erhielt er die Order, Optionen zu erwerben, die seinen Kunden berechtigen, Erdöl für 70 Dollar das Barrel zu kaufen - irgendwann vor 2010. Ist diese Entwicklung noch rational?
Nicht allein der Ausübungspreis rund 13 Dollar über dem aktuell schon hohen Ölpreis erscheint sehr hoch, auch die Laufzeit über fünf Jahre ist eine Ausnahme am sonst so kurzlebigen Terminmarkt.
Die Öl-Futures an der Nymex stiegen allein in diesem Jahr um 39 Prozent.
Inflationsbereinigt ist zwar das Rekordhoch der Ölkrise von 1980, in heutigen Preisen 95 Dollar, noch lange nicht erreicht - doch die derzeitige Rally sucht ihresgleichen.
Gerade in diesem Jahr, wo die amerikanischen Aktien- und Anleihenmärkte zumeist seitwärts laufen, sind Hedgefondsmanager, die nur in volatilen Märkten verdienen können, dankbare Spekulanten. Öl und Öl-Aktien sind "in", die meisten Marktteilnehmer erwarten stetig weiter steigende Preise. Goldman Sachs' Ölexperte Arjun Murti prophezeite unlängst eine obere Spannweite für den Ölpreis von 105 Dollar.
Doch Skeptiker erinnert das an die Tage des Internet-Wahnsinns: "Heute Öl zu kaufen, ist wie 2000 in Technologie- Aktien einzusteigen", warnt Andy Xie, Chefökonom für Asien bei Morgan Stanley. "Chinas wirtschaftliche Überhitzung und die Spekulation von Finanzinvestoren ließen eine Blase im Ölpreis entstehen." Xie glaubt, dass die Tage der Rally gezählt sind. Er erwartet für 2006 drastisch niedrigere Ölpreise.
Eine Reihe von Indizien unterstützt Xies These: Inzwischen haben sich Öl- Aktien in den Vereinigten Staaten, Asien und Europa zu den Schwergewichten in den Indizes entwickelt - wie seinerzeit die Tech-Aktien. Seit Juni hat sich die Zahl der bullischen Kontrakte von Finanzspekulatoren - die allein auf Geldgewinne aus sind und nicht wie andere Akteure Futures als Absicherung für ihre Ölposition kaufen - an der Nymex um das 14fache auf 20 000 erhöht. Insgesamt entfallen auf Finanzanleger bereits elf Prozent der 772000 offenen Kontrakte - damit decken sie Spekulationen über immerhin 46 Milliarden Dollar ab. Langfristige Kontrakte erzielen jetzt höhere Preise als Verträge mit kurzer Laufzeit - ein seltenes Phänomen, das den überschwänglichen Optimismus für den Ölpreis auch auf lange Sicht reflektiert. Eine andere Schlüsselkorrelation bietet ebenfalls Anlass zur Besorgnis:
Heizöl wird momentan höher gehandelt als Benzin - ein Missverhältnis im Sommer, wenn die Heizungen abgestellt sind. Des Rätsels Lösung: Mit Heizöl- kontrakten spekulieren Hedgefondsmanager derzeit auf eine mögliche Verknappung von Diesel in den USA.
Die Mehrheit der Händler setzt wegen eines strukturellen Wandels auf weiterhin steigende Ölpreise: Die Welt verbraucht fast alles Öl, das sie produziert. Sobald ein Lieferengpass auch nur befürchtet wird - wie bespielsweise jüngst wegen des Hurrikans Emily vor der an Ölvorkommen reichen Karibikküste Mexikos - wirkt sich das unmittelbar auf die Preise aus. Ein weiteres wichtiges Argument der Bullen ist die Knappheit der Raffinerie-Kapazität für "Heavy Crude" - schwefelreiches Rohöl, wie es etwa in Saudi-Arabien gefördert wird. Fast alle Raffinerien können ausschließlich das knappere "Sweet Crude" verarbeiten. Deshalb gehen die Notierungen in die Höhe.
Andy Xie von Morgan Stanley glaubt, dass in erster Linie die weltweit äußerst geringe freie Ölförderkapazität so anfällig für übertriebene Preisanstiege macht: "Weil Angebot und Nachfrage ausgesprochen unelastisch sind, treibt schon die Spekulation die Notierungen in die Höhe." "Die Blase platzt, wenn die echte Nachfrage gerade genügend abflacht, um ein leichtes Überangebot an Öl zu schaffen." Dann werden die Spekulanten die Nerven verlieren, glaubt Xie: "Und die spekulativen Käufe brechen zusammen." Eine Blase bläht sich normalerweise selbst auf, weil sie auf dem Papier Reichtum kreiert und die Konsumnachfrage anheizt - wie zum Beispiel derzeit im USImmobilienmarkt.
Eine "Bubble" am Ölmarkt müsste den gegenteiligen Effekt haben und die Wirtschaft dämpfen: "Sie kann eigentlich nicht lange dauern, weil sie den Konsum dämpft", sagt Xie.
Dass die rasant steigenden Ölpreise das weltweite Wirtschaftswachstum bisher nicht gebremst haben, begründet er mit dem expansiven Vermögenseffekt der in vielen Ländern parallel existierenden Immobilienblase: "Doch überall außer in den USA stagnieren die Immoblilienpreise bereits oder haben sogar begonnen zu fallen. Die negative Wirkung der Ölblase wird sichtbarer." Insbesondere in Asien: Auf diesen Wirtschaftsraum entfallen 29 Prozent des Weltölkonsums, doch die Konjunktur kühlt sich dort allmählich ab. Chinas Ölnachfrage verlangsame sich. "Die Ölimporte sind in den ersten fünf Monaten dieses Jahres um 1,2 Prozent gefallen", sagt Xie, der glaubt, dass sie weiter zurückgehen werden. "China wird wieder mehr Kohle für die Stromerzeugung einsetzen." Im Jahr 2004 war der Ölverbrauch um 15,8 Prozent nach oben geschnellt - gegenüber einer Wachstumrate von 7,7 Prozent in 2003 - weil häufige Stromausfälle viele Fabriken dazu zwangen, Dieselgeneratoren laufen zu lassen.
Auf ein Niveau von 40 Dollar wird der Preis für den begehrten Rohstoff Öl wieder fallen, erwartet David Powers, Portfoliomanager bei der US-Fondsgesellschaft Federated. Es gebe genug Öl, wie etwa im kanadischen Ölsand, der allerdings teurer zu pumpen und zu raffinieren sei. "Selbst beim Preis von 40 Dollar lohnt es sich noch, das schwierigere Terrain zu erschließen." Wann der Ölpreis sinken wird, wagt Powers aber nicht zu sagen - zu viele Auguren hätten sich bei der Prognose schon eine blutige Nase geholt: "Wahrscheinlich liegt er in ein paar Jahren deutlich unterhalb von 60 Dollar"
Fallende Preise Überhitzung Der Markt ist heiß gelaufen - Sowohl Ölaktien als auch Ölfutures gelten derzeit in Zockerkreisen als sichere Performancebringer. Eine Blase entsteht.
Nachfrage Chinas Ölimporte sind in den ersten fünf Monaten dieses Jahres bereits leicht zurückgegangen. Kühlt sich die Wirtschaft sichtlich ab, fällt der Ölpreis rasant. Ölfelder Deren Erschließung lohnt sich ab 35 Dollar je Barrel. Das schafft mittelfristig mehr Angebot. Auch davon profitieren Spekulanten:
Aktien, die Sandboden Öl entziehen - wie Opti Canada - verdoppelten sich seit Jahresbeginn.
Von Anfang bis Herbst 2004 profitierte der Aktienmarkt - hier der Index S&P 500 - von den sinkenden Ölpreisen.
Als diese dann anzogen, sackten die Börsenkurse ab. Mit Beginn des Jahres 2005 kehrten sich die Trends erneut um. Zuletzt setzte sich jedoch - trotz steigender Ölnotierungen - eine positive Börsentendenz durch.
"Der jüngste Anstieg des Ölpreises war die letzte Zuckung." Andy Xie, Chefökonom Asien bei Morgan Stanley
"Der hohe Ölpreis erledigt sich durch erhöhte Förderung von selbst." David Powers, Fondsmanager Federated
Quelle: Börse-Online 31/05