Verfasst: 01.06.2002 18:47
von sed
Hallo,
Dieser untere Artikel ist, am April 2001 geschrieben worden. Interesannt gel?
Gruß
sed
Stephan Böckenförde
Militärische Gewalt als Mittel künftiger amerikanischer Außenpolitik
Militäroperationen stellen für die Vereinigten Staaten die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln dar. Sie dienen zur Durchsetzung des nationalen Interesses. Seit 1947 besteht dieses für die Vereinigten Staaten nun nicht mehr nur aus einem klassischen "genuin nationalen" Interesse, sondern ist untrennbar gepaart mit der selbstauferlegten Übernahme der Verantwortung für den Erhalt globaler Stabilität. Die Vereinigten Staaten nehmen seitdem die Rolle einer Weltordnungsmacht wahr. An dieser Aufgabe orientiert haben sie - in Abkehr von dem zuvor praktizierten weltpolitischen Isolationismus - ihr militärisches Potenzial seit den späten 40er Jahren aufgebaut. Sie haben seitdem die Verantwortung für die Sicherung der Weltordnung nicht an Dritte - andere Staaten oder internationale Organisationen - abgetreten, und eine solche Entwicklung ist auch für die Zukunft nicht zu erwarten; stattdessen verfolgen die Vereinigten Staaten konsequent die Politik eines globalen "leadership".
Sicherlich wird jede US-Regierung von ihrem militärischen Potenzial Gebrauch macht, wenn das Überleben der Nation oder zentrale Pfeiler der Weltordnung auf dem Spiel stehen. Unterhalb dieses Interesses von "höchstem vitalen Wert" aber basieren die Entscheidungen zu militärischen Einsätzen auf der Abwägung der politischen Kosten und des zu erwartenden Nutzens. So kann unter Umständen der Einsatz militärischer Mittel gerade auch in solchen Fällen opportun erscheinen, in denen offensichtlich weniger drängende Interessen durchgesetzt werden sollen. Militäreinsätze sind also nicht unbedingt immer das "letzte Mittel", sondern ein Mittel unter anderen im Katalog machtpolitischer Möglichkeiten.
Jeder Militäreinsatz steht in den Vereinigten Staaten unter einem innenpolitischen Vorbehalt. Dieser wird allerdings oft überschätzt: Zwar besitzt der Kongress über seine Haushaltskompetenzen einen großen Einfluss auf den Alltagsbetrieb des Militärs, und indem er die materiellen Voraussetzungen kontrolliert, bestimmt er auch indirekt über die militärischen Einsatzmöglichkeiten mit. Konkreten Entscheidungen über Militäreinsätze geht der Kongress aber in der Regel aus dem Weg und überlässt der Regierung die alleinige Verantwortung für Wohl und Wehe - beispielsweise im Falle der Resolutionen, mit denen der Kongress am 12.1.1991 dem Präsidenten das Recht gab, am Persischen Golf Krieg zu führen. Lediglich fünfmal kam der Kongress seiner in der Verfassung verankerten Aufgabe nach, formal selbst einen Krieg zu erklären - zum letzten Mal 1941 (davor 1812, 1846 und 1917; 1898 geschah dies sogar gegen den Willen des damaligen Präsidenten McKinley). Zum Stopp eines Einsatzes - der War Powers Act schafft dafür die rechtliche Grundlage - ist es bisher dagegen noch niemals gekommen.
So sehr sich also die Mehrheit der Kongressmitglieder im Ernstfall bei Entscheidungen zurückhält oder sogar explizit die Prärogative des Präsidenten in außen- und sicherheitspolitischen Fragen verteidigt, so gering ist letzten Endes auch der Einfluss der öffentlichen Meinung bei Entscheidungen zu Militäreinsätzen. Denn sobald US-Soldaten in einen Kampfeinsatz geschickt werden, trägt eine Bevölkerungsmehrheit - von einem patriotischen "rally-around-the-flag"-Gefühl beseelt - für einen gewissen Zeitraum eine solche Entscheidung der Regierung mit. (So war es beispielsweise für Clinton möglich, 1994 den Haiti-Einsatz selbst gegen die Ablehnung durch eine Mehrheit in der Bevölkerung anzuordnen.)
Diese weitgehende Autonomie bei Entscheidungen über Militäreinsätze besitzt die Regierungsspitze auch gegenüber einzelnen Interessengruppen. Gerade der Einfluss, den "die Wirtschaft" auf diese Entscheidungen angeblich haben soll, wird gemeinhin überschätzt. Auch hier gilt: Die Regierung entscheidet weitgehend selbstständig. Sicherlich gibt es oft deutliche Konvergenzen zwischen dem "nationalen" Interesse, das die Regierung wahrzunehmen hat, und demjenigen verschiedener gesellschaftlicher Akteure. Es ist zudem nur natürlich, dass einige dieser Akteure unmittelbar von den Folgen militärischer Einsätze profitieren. Das bedeutet aber nicht, dass Militäreinsätze nun primär zur Durchsetzung von Partikularinteressen durchgeführt würden. Nach wie vor hat Stephen Krasners Feststellung von 1978 Bestand, dass Militäreinsätze nur nachgeordnet der Wahrnehmung von Sonderinteressen dienen.
Zugleich gibt es nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes aber auch ein neues Phänomen: Den Einfluss des öffentlichen Diskurses auf Entscheidungen zu Militäreinsätzen. So kann man feststellen, dass sich Partikularinteressen dann auf diese Entscheidungen auswirken, wenn ihnen über einen längeren Zeitraum hinweg im innenpolitischen Diskurs eine besondere Prominenz verliehen worden ist und dabei die Regierung möglicherweise unter Handlungszwang geriet oder diese Interessen im Verlauf der öffentlichen Debatte äußerlich den Charakter von "nationalen" Interessen angenommen haben. In solchen Fällen sind die Operationen weniger außenpolitisch als vielmehr innenpolitisch motiviert. Dieses Phänomen hat vor allem bei den Operationen in Somalia, in Haiti, in Bosnien und im Kosovo eine maßgebliche Rolle gespielt.
Der Bedrohungskatalog: Das Nebeneinander von alten und neuen Konfliktformen
Ein wesentliches Problem für jede US-Regierung besteht darin, die (globale) Reichweite der von ihr wahrgenommenen nationalen Interessen und ihre Fähigkeiten zur Machtprojektion in Übereinstimmung zu bringen. Das betrifft zum einen die geographischen Dimensionen, zum anderen aber auch die Mittel, über die sie für denkbare Militäreinsätze rechtzeitig verfügen muss. Dem zweiten Punkt wird in der näheren Zukunft ein besonderes Gewicht zukommen: Es geht nicht mehr nur darum, wie bisher das bestehende militärische Inventar zu modernisieren und gegebenenfalls auszubauen, sondern es auch durch neue Plattformen und darauf abgestimmte Einsatzstrategien zu ergänzen. Man wird Herausforderungen in einer Umwelt begegnen müssen, die zunehmend von Kämpfen um lokale bzw. regionale Gewaltmonopole, einem Nebeneinander von nationalen und post-nationalen Strukturen sowie von nationalen und transnationalen Bedrohungen geprägt werden wird.
Auf der traditionellen nationalstaatlichen und geostrategischen Ebene wird der Brennpunkt des Weltordnungskonfliktes in Zukunft nicht mehr in Europa liegen (um zahlreiche "Stellvertreterkriege" in Afrika, Asien und Lateinamerika ergänzt), sondern in Asien. Die sich abzeichnenden Spannungen werden dabei einerseits durch die Konsequenzen von Bevölkerungswachstum und den Ressourcen- (im Wesentlichen: Energie-)Bedarf der neuen Wirtschaftszentren Ostasiens, andererseits durch die zu erwartenden Folgen der Großmachtambitionen Chinas bestimmt werden. In den Szenarien vieler "Realisten" in den Vereinigten Staaten wird in der Zukunft China als neue, expansive Weltmacht gegenüber den Vereinigten Staaten diejenige Rolle spielen, die früher die Sowjetunion eingenommen hatte. (Voraussetzung dafür ist allerdings, dass China in den kommenden Jahren im Zuge der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Öffnung an seinen inneren Widersprüchen nicht zerbricht.) Russland wiederum wird in der näheren Zukunft allenfalls durch seine Atomwaffen und seinen Beitrag bei der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen noch bedeutsam sein.
Außerdem wird erwartet, dass auch Indien in der Zukunft einen Großmachtstatus erreicht. Daneben könnte Japan seine Bedeutung durch den Ausbau seiner Streitmacht deutlich erhöhen, sollte dazu der politische Wille (möglicherweise sogar die innenpolitische Notwendigkeit) vorhanden sein. Unklar ist noch, welche Entwicklung die beiden Koreas nehmen werden und welche Rolle ein sich zunehmend öffnender Iran spielen wird, aber auch diese Staaten können ihre Bedeutung vergrößern.
Neben der Herausbildung dieser Machtzentren werden im asiatischen Raum auf der anderen Seite auch Regionen großer Instabilität entstehen, vor allem im indonesisch-philippinischen Raum, aber auch in Pakistan/Afghanistan und schließlich im schwach besiedelten östlichen Teil Russlands. So wird es zu einem unmittelbaren, den Kontinent unter Umständen stark destabilisierenden Nebeneinander von neuen Machtzentren und ausgesprochen schwachen Regionen kommen.
Die sich anbahnenden zentralen Umwälzungen im internationalen System werden die Vereinigten Staaten fast zwangsläufig zum Eingreifen herausfordern. Denn zum einen ist es für große Teile der politischen Elite in den Vereinigten Staaten unvorstellbar, den Aufstieg einer antagonistischen Großmacht - im Klartext: vor allem den Aufstieg Chinas zu einer militärischen Weltmacht - widerstandslos hinzunehmen. Entsprechend wird man Chinas (geopolitische) Rolle so stark wie möglich einzuschränken versuchen. Zum anderen werden die Vereinigten Staaten angesichts der wachsenden Spannungen und möglichen Verwerfungen ihre Rolle als stabilitätssichernde Weltordnungsmacht an wesentlichen Brennpunkten - wenn auch nicht an allen - erfüllen wollen.
Dabei kommt es zusätzlich zwischen den Vereinigten Staaten und den aufsteigenden geostrategischen Mächten zu einer - aus dem Ost-West-Konflikt nicht bekannten - unmittelbaren Konkurrenz um Märkte und Ressourcen. Dies betrifft vor allem die Verfügung über die endlichen Weltenergiereserven und wird die Vereinigten Staaten (und ihre Konkurrenten) zu einer besonderen Beachtung aller Entwicklungen veranlassen, die sich in den erdölreichen Regionen am Persischen Golf und im Kaukasus sowie entlang der wichtigen Seewege anbahnen.
Schließlich wird auch der erdnahe Weltraum verstärkt ins Blickfeld der Geostrategen geraten. Er besitzt für die technologische Infrastruktur der industrialisierten Welt eine elementare Bedeutung, und im Weltraum stationierte Waffensysteme bieten heute schon unverzichtbare, in der Zukunft praktisch ungeahnte neue Möglichkeiten zur Kriegsführung auf der Erde. Entsprechend wird der Weltraum in Zukunft militarisiert werden und einen neuen potenziellen Kriegsschauplatz für die Technologiemächte darstellen - Militärs in den Vereinigten Staaten gehen davon aus, dass es ab 2015 zu militärischen Auseinandersetzungen im All kommen könnte.
Neben den "neuen Großmächten" und der sich ergebenden Verschiebung der Konfliktregionen werden die "Sorgenstaaten" ("states of concern" bzw. "rogue states") - z. B. der Irak, der Iran, Nordkorea oder Libyen - bis auf weiteres ihre prominente Rolle in den sicherheitspolitischen Konzeptionen der Vereinigten Staaten behalten. Ihnen traut man gemeinhin zu, durch die Drohung mit biologischen, chemischen oder sogar nuklearen Waffen die Regionen zu destabilisieren oder - mittels Raketen oder durch terroristische Akte - die US-Alliierten in Europa und in Asien, am Ende gar die Vereinigten Staaten selbst zu treffen. Darüber hinaus sind der Irak und der Iran unmittelbar in der Lage, den Zugang zu den Ölquellen des Nahen Ostens zu versperren, womit diesen beiden Staaten eine besondere Rolle zukommt.
Neben diese Bedrohungen traditioneller geopolitischer Natur - wenn auch mit neuen Akteuren und an anderen Schauplätzen - treten zunehmend "transnationale" bzw. "post-nationale" Gefahren. War es bis vor einigen Jahren in erster Linie noch die internationale Kriminalität, vor allem in der Form der Drogenkriminalität, der man in der außenpolitischen Diskussion in den Vereinigten Staaten besondere Bedeutung beimaß, so tritt seit einigen Jahren der internationale Terrorismus an diese Stelle. Mittlerweile ist eine Vielzahl von Institutionen in den Vereinigten Staaten entstanden, mit denen man auf den internationalen Terrorismus reagiert, etwa die große Gruppe staatlicher Zivilschutz-Agenturen, die in das Netz der Nationalen Sicherheitsstruktur eingebunden sind, oder der vor zwei Jahren gebildete "Senatsunterausschuss zur Behandlung entstehender Gefahren" (Senate Subcommittee on Emerging Threats), der sich bisher besonders diesen neuen Bedrohungen - von biologischen und chemischen Waffen bis zum "Cyber-Terrorismus" - widmete.
Auch wenn diese "neuen" Gefahren zum Teil noch - etwa als "asymmetrische Bedrohungen" - von ("Schurken"-)Staaten ausgehen oder zumindest von ihnen geduldet werden (z. B. von Afghanistan im Falle Osama bin Ladens), so besteht ihre neuartige Qualität doch darin, dass sie sich zunehmend der staatenweltlichen Sphäre entziehen. Entsprechend sind sie mit den herkömmlichen diplomatischen Mitteln nicht mehr in den Griff zu bekommen. Und auch die klassischen militärischen Mittel aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes sind weitgehend ungeeignet in diesen Auseinandersetzungen.
Ein wichtiger Herd für die neuen Gefahren sind neben den "Schurkenstaaten" auch die "kollabierenden Staaten" - Nationen also, in denen die staatliche Ordnung stark eingeschränkt oder bereits weitgehend zusammengebrochen ist. Als Ausgangspunkt für Bedrohungen werden diese "geschwächten" Länder in den Vereinigten Staaten als mindestens so gefährlich eingeschätzt wie die "starken" Staaten.
Zivile/politische Krisenprävention, wie sie von den Europäern seit einiger Zeit konzipiert wird, ist in den Vereinigten Staaten eher unpopulär - hier wird Krisenprävention nach wie vor vor allem als Systemumbau und Reduzierung von Waffen in "starken" Staaten verstanden (etwa in Form der Sicherung von Nuklearwaffen in der ehemaligen Sowjetunion). Entsprechend fehlt den Vereinigten Staaten weitgehend das außenpolitische Instrumentarium, um jenseits von militärischen Maßnahmen auf die Bedrohungen zu reagieren, die von kollabierenden Staaten ausgehen.
Schließlich wird auch von einigen amerikanischen Beobachtern auf die Gefahren hingewiesen, die sich langfristig aus nicht-traditionellen Krisen ergeben können. Diese Krisen resultieren vor allem aus Umweltproblemen, aus dem Fehlen von sauberem Wasser, aus Epidemien und Hungersnöten. Die entstehenden Gefahren wirken ebenfalls transnational, und schleichend können sie große Weltregionen destabilisieren. Im Vordergrund wird hier in der Zukunft sicherlich Afrika stehen. Lösen lassen sich solche Krisen nur mit großen langanhaltenden, kontinuierlichen Kraftanstrengungen, in denen das Militär allenfalls eine untergeordnete, assistierende Rolle bei der vorübergehenden Stabilisierung von Unruheregionen spielen kann. Da sich diese Regionen zugleich - bis auf Ostafrika - weit entfernt von den geopolitisch brisanten Räumen befinden, besitzen sie - wie etwa der Sudan zur Zeit - allenfalls das Potenzial, über lange Zeit die innenpolitische Diskussion in den Vereinigten Staaten zunehmend zu beeinflussen und gegebenenfalls über den Weg der Innenpolitik schließlich auch militärische Einsätze zu provozieren.
Aus den unterschiedlichen perzipierten Bedrohungen für das geopolitische System in seiner derzeitigen Gestalt und den Gefahren für die Vereinigten Staaten sowie für ihre nationalen Interessen ergeben sich fünf unterschiedliche Formen militärischer Einsätze, zu denen sich die US-Regierungen in den kommenden Jahren veranlasst sehen könnten:
Traditionelle Kriege auf einer nationalstaatlichen Ebene, im Wesentlichen von der Luftwaffe getragen, aber möglicherweise auch als Landkrieg geführt. In den Katalog möglicher Kriegsschauplätze wird dabei in den kommenden Jahren zunehmend der Weltraum einbezogen werden. Diese militärischen Einsätze dienen den Vereinigten Staaten zum Erhalt des geopolitischen Systems und/oder dem Schutz überragender eigener Interessen. Mögliche zukünftige Gegner sind China, eventuell auch der Irak oder Nordkorea.
Der "kleine Krieg", der entweder mit dem Ziel der Wiederherstellung regionaler Stabilität geführt wird (möglicherweise in Kolumbien u. a.) oder der im Wesentlichen auf innenpolitische Faktoren in den Vereinigten Staaten zurückzuführen ist und der in diesen Fällen stark humanitär motiviert sein wird (z. B. ein mögliches Eingreifen im Sudan).
Kriege "niedriger Intensität" und Einsätze von Spezialeinheiten in Unruhezonen.
Kommandoeinsätze oder isolierte Luftschläge zur Bekämpfung von Terrorismus, Drogenhandel oder der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen; möglicherweise auch Vergeltungsschläge.
Kommando-Operationen zum Schutz von Staatsbürgern oder US-Einrichtungen im Ausland.
Insgesamt ist bemerkenswert, dass die Vereinigten Staaten auch nach dem Ende des Ost-West-Konfliktes für die "großen Kriege" am besten gerüstet bleiben, während diese Konflikte zugleich aufgrund der hohen politischen Kosten für alle Beteiligten am unwahrscheinlichsten erscheinen. Ein wesentlicher Grund für das langsame Reagieren auf die veränderte Lage liegt in der Schwerfälligkeit des militärischen Apparates und in der Fähigkeit der politischen Eliten in den Vereinigten Staaten, zum Schutz ihrer Pfründe weitgehend reformresistent die bestehenden Strukturen zu erhalten. In diesem Zusammenhang spielt der Kongress eine herausragende Rolle, dessen Mitglieder zugunsten ihrer Wahlkreise - "all politics is local" - im Verteilungskampf um die Mittel oft noch über die Forderungen der Militärs hinausgehen und so grundlegende Veränderungen, Neuausrichtungen und Umstrukturierungen behindern.
Die sicherheitspolitischen Vorstellungen in der neuen Regierung unter Präsident Bush
Der - für neue US-Regierungen durchaus normale - außen- und sicherheitspolitische Schlingerkurs der ersten Monate ist mittlerweile einem ruhigeren außenpolitischen Alltagsgeschäft gewichen, und der Alarmismus der Anfangszeit ist verklungen. Einige Überprüfungen des von Clintons Regierung Hinterlassenen sind beendet, erste konkrete Planungsstudien im Umlauf. Bei Formulierung und Umsetzung sind unterschiedliche Strömungen in der Regierungsspitze zu identifizieren. Im Weißen Haus selbst erweist sich Präsident Bush als kompromissloser Befürworter der Raketenabwehr; darüber hinaus sind seine Positionen relativ ungenau, gar widersprüchlich und damit wenig analysezugänglich geblieben. Alle Vorhaben müssen sich jedoch seiner Hauptmission - der großangelegten Steuerreform - unterordnen.
Im Übrigen weisen die personellen Konstellationen in der Regierungsspitze für die Zukunft auf ein militärisches "selective engagement" hin. Zwar gibt es in der Regierung die typische Spannung zwischen den "Falken" und "Tauben", wobei - untypisch für US-Regierungen - die "Tauben" vorwiegend im Außen- und die "Falken" eher an der Spitze des Verteidigungsministeriums zu finden sind. Aber die Differenzen zwischen beiden Seiten betreffen bislang eher die Frage, welchen Stellenwert man der internationalen Diplomatie geben und wie man den Umgang mit Verbündeten und Konkurrenten (je nach Sichtweise auch: Gegnern) gestalten soll. In der Frage militärischer Einsätze gibt es deutliche Übereinstimmungen zwischen beiden Lagern: So wenig, wie nur eben möglich.
Außenminister Colin Powell steht Militäreinsätzen grundsätzlich reserviert gegenüber, solange keine unumstößlichen Argumente für derartige Einsätze vorliegen. Man kann auch sicher sein, dass er den Grundsätzen folgen wird, die er als Generalstabschef Anfang der 1990er Jahre aufstellte und in denen er die Schwellen für militärische Operationen sehr hoch legte. Das Militär soll nicht unnötig als diplomatisches Druckmittel missbraucht werden. In dieser Haltung wird er von seinem Planungschef Richard Haass sicherlich bestärkt werden: Haass könnte zwar militärischen Einsätzen etwas weniger ablehnend gegenüberstehen als Powell, aber auch er hat in der Vergangenheit wiederholt unmissverständlich gefordert, dass militärische Operationen nur unter sehr klar definierten Umständen durchgeführt werden dürften. Damit wird sich die Führung im Außenministerium in der näheren Zukunft gegen neue Einsätze aussprechen - zumindest solange keine unmittelbare Bedrohung vitaler Interessen vorliegt. Das bedeutet, dass auch die Zeit der "humanitären Falken" vorbei ist, die in den 1990er Jahren zur Durchsetzung nobler Ziele schnell zu Waffen griffen. Gleichzeitig wird Powell - aus diplomatischen Gründen - an bestehenden Missionen, etwa auf dem Balkan, festhalten wollen, solange die Verbündeten die Vereinigten Staaten nicht aus ihrer (moralischen) Pflicht entlassen, zumindest symbolische Beiträge zu leisten.
Die Falkenfraktion besteht im Wesentlichen aus Vizepräsident Richard Cheney, Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, seinem Stellvertreter Paul Wolfowitz und zunehmend Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice. Ihre härtere Haltung äußert sich vor allem in dem konfrontativeren Auftreten gegenüber Russland und China. Mit dieser Konzentration auf "das Wesentliche" geht einher, trotz einer eigentlich interventionistischen Grundhaltung die im Ausland stationierten Truppen zunächst in die Vereinigten Staaten zurückzuverlegen und nach Möglichkeit keine neuen Einsätze mehr durchzuführen. Dies hat nicht nur mit einer neuen Schwerpunktsetzung zu tun, sondern ist zum Teil auch auf den Zustand des durch die vielen Auslandseinsätze strapazierten Militärs zurückzuführen. Zwar kann man die Streitkräfte noch nicht als "ausgehöhlt" bezeichnen (ein Zustand, der in den Anfangsjahren der Präsidentschaft Ronald Reagans immer wieder beklagt wurde). Aber vor allem, seit in Folge der guten konjunkturellen Lage der vergangenen Jahre der Arbeitsmarkt in den Vereinigten Staaten eng geworden ist und die Löhne in der freien Wirtschaft den Soldatenberuf unattraktiv gemacht haben, ist die Personaldecke dünn geworden. Häufiger Dienst in Krisengebieten macht die Rekrutierung noch schwieriger. Neben der Belastung für die Mannschaften wird kritisiert, dass das Material oft nicht erneuert werde und Modernisierungen seltener als erhofft stattfänden (die Luftwaffe klagt über Überalterung, und von der unter Reagan angepeilten 600-Schiff-Marine sind noch rund 230 Schiffe übriggeblieben). Schon vor diesem Hintergrund wird die Spitze im Verteidigungsministerium "zweitrangige" Auslandseinsätze weitgehend beenden wollen.
Allenfalls Operationen der Spezialeinheiten oder isolierte Luftschläge wie 1998 gegen den Sudan und Afghanistan oder die wiederholten Angriffe auf die irakischen Luftabwehranlagen im Zusammenhang mit dem "stillen Krieg" gegen den Irak könnte man bewusst verfolgen. Gerade für solche Operationen bestehen relativ geringe Risiken, während der vordergründige Nutzen dagegen unter Umständen als hoch angesehen werden kann. Ein Indiz könnte in diesem Zusammenhang sein, dass man unter Präsident Bush im Weißen Haus die Abteilungen für die Kontrolle der Nicht-Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Non-Proliferation) und für die aktive Bekämpfung dieser Waffen (Counterproliferation) zusammengelegt hat.
Möglicherweise will man also in Zukunft die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen verstärkt mit militärischen Mitteln durchsetzen. Beispiele für ein solches Vorgehen sind der unter Clinton durchgeführte Angriff auf eine pharmazeutische Fabrik im Sudan 1998, in der möglicherweise chemische Kampfstoffe produziert worden waren, oder die offenbar ebenfalls angedachten Bombardierungen von Nuklearanlagen in Nordkorea 1994. Eine solche Politik würde zudem einer neueren Tendenz in der amerikanischen Sicherheitspolitik entsprechen, der klassischen Rüstungskontrolle aus den Zeiten des Kalten Krieges zunehmend weniger Wert beizumessen und statt dessen militärische Wege zu beschreiten. Isolierte Luftschläge könnten auch eine Rolle bei möglichen Vergeltungsmaßnahmen (wie im April 1986 gegen Libyen) spielen. Ziele wären in diesen Fällen vor allem Staaten, die im Verdacht stehen, Stützpunkte für den internationalen Terrorismus zu sein (etwa Afghanistan, wie bereits im Jahr 1998).
Ein besonderes, in seiner Bedeutung noch nicht einzuschätzendes Element bringt Präsident Bush mit seiner Betonung weltweiter Religionsfreiheit - natürlich de facto die Öffnung der "Religionsmärkte" für christliche Gruppen aus den Vereinigten Staaten - in den außenpolitischen Diskurs ein. Bereits kurz nach der Amtsübernahme hatte er im Weißen Haus eine "Regierungskommission zur Internationalen Religionsfreiheit" einrichten lassen, die zunächst Reagans ehemaliger Staatssekretär für inter-amerikanische Angelegenheiten, Elliott Abrams, leitete, bevor dieser Anfang Juli zum Direktor des "Büros für Demokratie, Menschenrechte und internationale Operationen" des Nationalen Sicherheitsrates ernannt wurde. Abrams Einflussmöglichkeiten sind bislang schwer zu bestimmen, ist doch die gesamte Frage der Rolle religiöser Gruppen bislang eher nebulös geblieben. Aber Abrams ist durchaus als ein Interventionist einzuschätzen, für den Religionsfreiheit im Katalog der Menschenrechte einen besonderen Rang einnimmt. Daher kann man davon ausgehen, dass die neue Konstellation sich vor allem in den Fällen sicherheitspolitisch auswirken wird, in denen Konfliktlinien in Unruhegebieten vordergründig entlang von Religionszugehörigkeiten verlaufen. In diesen Fällen könnte der Präsident - unterstützt von Abrams und religiösen Gruppen - eine aktive Rolle für die Vereinigten Staaten suchen wollen und möglicherweise auch an den Einsatz von Militär denken - nicht unbedingt in Form von Kampfeinsätzen, aber beispielsweise durch die militärische Absicherung international durchgeführter Maßnahmen.
Im Übrigen wird die neue Regierung vor allem bemüht sein, während der Phase der Einsatzreduzierung die großen Weichen zu stellen. Dieses betrifft die Erneuerung des bestehenden Materials, vor allem aber den Einstieg in die Militarisierung des Weltraums, als deren wichtigster Fürsprecher Verteidigungsminister Rumsfeld gelten kann. Der Aufbau einer Raketenabwehr, die unter Clinton als "begrenzte" Raketenabwehr ins Leben gerufen wurde und deren Pläne mittlerweile ausgewachsene Abwehrsysteme auf unterschiedlichen Ebenen vorsehen, die aber letztlich eine Wiedergeburt (wenn auch mit vollkommenen anderen geostrategischen Voraussetzungen) von Reagans Strategic Defense Initiative und Bushs Brilliant Pebbles ist, stellt dabei nur den Anfang der angestrebten Neuorientierung dar.
Hinter dieser Neuorientierung steht neben Rumsfeld vor allem das Team um Andrew Marshall, Chef des Office of Net Assessment (ONA). Marshall wird von den Militärs nicht sehr geschätzt, denn er hatte in der Vergangenheit - als vehementer Befürworter von High-Tech-Bewaffnung und Anhänger der "Revolution in militärischen Angelegenheiten" - immer wieder teure Prestigeobjekte der Militärs kritisiert. So gibt es einen deutlichen Konflikt zwischen dem Rumsfeld/Marshall-Flügel und dessen Gegnern aus Militär und Kongress, an dessen Ende ein Kompromiss steht: Auf der einen Seite setzt sich Marshall mit wesentlichen Elementen seines Konzeptes durch - Verlagerung der Aufmerksamkeit von Europa nach Asien, vor allem auf China und Südostasien, Kriegsführung aus der Distanz, Entwicklung von High-Tech-Waffen, Einstieg in die Raketenabwehr und allmähliche Militarisierung des Weltraums. Auf der anderen Seite bleibt viel von dem Alten bestehen (Finanzierung des F-22-Kampfflugzeugs, Erhalt von Auslandsbasen u. a.).
Dennoch bekommt die Regierung Bush insgesamt genug Ressourcen, um den militärtechnischen Vorsprung der Vereinigten Staaten vor dem Rest der Welt immer größer werden zu lassen. Keine andere Nation wird sie bremsen können. Entsprechend erklärt Verteidigungsminister Rumsfeld, dass man schon mittelfristig seine militärischen Strategien nicht mehr an möglichen Bedrohungen (also externen Faktoren), sondern vor allem an den eigenen Fähigkeiten (damit internen Faktoren) ausrichten wird.
Die Anpassung des Militärs an die neuen Bedingungen
Unabhängig von den konkreten politischen Entscheidungen zu militärischen Einsätzen geht es im Augenblick vor allem darum, das Militär auf die Bedingungen der Zukunft vorzubereiten. So befindet sich das Militär derzeit - neben dem bereits lange laufenden Versuch, die klassische Konkurrenz zwischen den vier Diensten Heer, Marine, Luftwaffe und Marines zu beenden und eine weitgehende Interoperabilität herzustellen - im Prozess, die globalen Interessen der Vereinigten Staaten und die Machtprojektionsmöglichkeiten wieder in Übereinstimmung zu bringen. Neben den klassischen Abnutzungskrieg, wie er die Planungen während des Ost-West-Konfliktes bestimmte, sind neue Formen getreten: Zunächst die asymmetrische Kriegsführung, bei der ein technologisch und/oder zahlenmäßig unterlegener Gegner seine Schwäche beispielsweise durch den Einsatz von Massenvernichtungswaffen auszugleichen versucht. Dies macht einen passiven und aktiven Schutz für die US-Soldaten erforderlich. Dazu kommen Bedrohungen durch transnational agierende Gruppen. Unterhalb von staatlichen Strukturen häufen sich die Kämpfe um das lokale oder regionale Gewaltmonopol; als besondere militärische Problematik wird in diesem Zusammenhang immer wieder auf das Szenario möglicher Kriegsführung im städtischen Raum der künftigen Mega-Städte Asiens, Ostafrikas oder Lateinamerikas hingewiesen. Auf diese neuen Herausforderungen, denen sich das Militär zusätzlich zu den traditionellen Bedrohungen stellen muss, hat die Militärführung reagiert und strebt nun eine "Überlegenheit auf der ganzen Linie" an ("full spectrum dominance"): Der Katalog der Joint Vision 2020 umfasst Einsätze, die von Hilfsoperationen nach Naturkatastrophen über humanitär motivierte Einsätze, die Übernahme von Polizeiaufgaben, "friedensschaffende" Operationen bis zu atomar geführten Kriegen reichen.
Diese umfangreiche Erweiterung des Einsatzspektrums geht einher mit der Abkehr von der alten "Zwei-Kriege"-Doktrin. Danach sollten die US-Streitkräfte in der Lage sein, zwei regionale Kriege praktisch simultan zu führen und nacheinander zu gewinnen ("Win-Hold-Win"-Modell). Als mögliches Szenario galt ein Parallelkrieg am Persischen Golf und auf der koreanischen Halbinsel. Dieses Szenario war aber bereits seit längerem von vielen Seiten als unwahrscheinlich kritisiert worden; statt dessen wurde die Vorstellung mehrerer unterschiedlich großer Einsätze mit divergierenden Zielen als zeitgemäßer propagiert - beispielsweise ein großer Landkrieg mit der zeitgleichen Eindämmung eines Gegners und dem Einsatz weiterer Truppenkontingente in einem lokalen Konflikt. Diese Neuorientierung hat man an der Spitze des Verteidigungsministeriums nun vollzogen. Der Paradigmenwechsel geht einher mit dem wahrscheinlichen Verzicht auf zahlreiche teure Großprojekte: Der Bau neuer Flugzeugträger, die Entwicklung einer neuen Generation von Kampfflugzeugen und anderes werden in Zukunft noch umstrittener sein als bisher, auch wenn der Kongress gerade ein (allerdings gegenüber den ursprünglichen Planungen deutlich reduziertes) Programm zur Beschaffung der neuen F-22-Kampfflugzeuge beschlossen hat und die Entscheidungen zum Joint-Strike Fighter bevorstehen.
Neben der grundsätzlichen Modernisierung dieser im Grunde "alten Waffen" betreibt man verstärkt die Entwicklung neuartiger Plattformen. Der Grundstein dafür wurde in den 1990er Jahren mit der "Revolution in Military Affairs" gelegt: Begünstigt durch die Firmenzusammenlegungen in der Rüstungsindustrie wurden neue, auf Hochtechnologie basierende Waffen konzipiert, die eine bis dahin unerreichte datentechnische Vernetzung und gleichzeitige Autonomie der Kampfeinheiten erlauben. Diese Neuerungen machen tiefgreifende Veränderungen in der Einsatzstrategie erforderlich, will man die sich bietenden Vorteile vollständig ausnutzen. Am Ende werden kleine, hochmobile Kampfeinheiten stehen, die - gegenüber ihren Gegnern mit einem Informationsvorsprung versehen und über Datenaustausch miteinander vernetzt - in der Form von "Expeditionsstreitkräften" in allen Umgebungen und unter allen Bedingungen eingesetzt werden können. Gleichzeitig müssen sich die US-Truppen aufgrund der Abhängigkeit von Hochtechnologie vor dann möglichen "Cyber-War"-Attacken schützen können, außerdem müssen die unverzichtbaren Satellitensysteme gesichert werden, um die notwendige Datenübertragung zu garantieren. Andernfalls droht eine "Blendung".
Um die geforderte Beweglichkeit der Truppen zu erreichen, werden neue Transportmittel wie der V-22 Osprey entwickelt, der mit seinen Schwenkrotoren die Transportkapazität und Schnelligkeit eines Flugzeugs mit den vertikalen Start- und Landeeigenschaften eines Hubschraubers verbindet. Selbst wenn der Osprey nach Pannen und Abstürzen in den vergangenen zwei Jahren in Verruf geraten ist, wird die Entwicklung weiter in diese Richtung gehen. Schweres Gerät wie der Kampfpanzer Abrams, das sich (ursprünglich für den Landkrieg in Europa entwickelt) zwar im Wüstenterrain des Irak bewährt hat, aber beispielsweise in den Bergen des Kosovo nur eingeschränkt einsetzbar gewesen wäre, wird durch die verstärkte Einführung leichter Fahrzeuge ergänzt werden. Die technologische Entwicklung wird dahin gehen, später auch unbemannte Fahrzeuge einzusetzen.
Luftangriffe werden in Zukunft aus großer Höhe und von weit entfernt liegenden Basen ausgeführt werden. Solche Angriffe bieten die Chance, die Zahl der eigenen Opfer gering zu halten und so die innenpolitische Akzeptanz für militärische Operationen über einen langen Zeitraum zu gewährleisten. Ein Beispiel dafür war der Einsatz der B-2-Bomber während des Kosovo-Krieges, die - über dem Atlantik betankt - aus den Vereinigten Staaten heraus operierten und ihre Bomben außerhalb der Reichweite der serbischen Luftabwehr abwarfen. Ein solches Konzept wird gerade für den pazifischen Raum von Bedeutung sein, in dem die Entfernungen weit und die Basen politisch umstritten und zusätzlich ein leichtes Ziel für politische Gegner sind. Der nächste Schritt wird im Einsatz von unbemannten Flugzeugen bestehen. Diese werden derzeit in erster Linie für Aufklärungszwecke entwickelt, aber geplant ist auch der Bau unbemannter Kampfflugzeuge, die (dank Informationsübertragung in Echtzeit) aus der Ferne und vom Boden navigiert werden.
Zugleich wird man versuchen, die eigenen Truppen am Boden und die eigene Bevölkerung (sowie die der Alliierten) durch Raketenabwehrsysteme zu schützen. Dabei wird das Spektrum von Gefechtsfeldwaffen (wie dem Patriotsystem) bis hin zu Kontinente überspannenden Systemen reichen. Dahinter steht die strategische Überlegung, dass die weitgehende Stabilität aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes, die für die Kernregionen der Blöcke im Wesentlichen durch Abschreckungspolitik in Form gegenseitig gesicherter Zerstörung aufrechterhalten wurde, seit längerem durch die enorme Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Raketen in Frage gestellt wird. Ohne einen Schutz vor raketengestützten Massenvernichtungswaffen würden sich die großen Mächte zur Tatenlosigkeit verdammt sehen. Raketenabwehrsysteme sollen den Vereinigten Staaten eine Handlungsfähigkeit auch gegenüber denjenigen Staaten erhalten, die auf eine asymmetrische Kriegsführung setzen. Dieses betrifft im Augenblick vor allem die "Sorgenstaaten" Nordkorea, Irak, Iran, aber auch Syrien und Libyen. Darüber hinaus werden diese Waffen langfristig eine wesentliche Rolle in Konflikten zwischen den Großmächten selbst spielen, beispielsweise in einem künftigen Konflikt mit China über Taiwan.
Die Entwicklung der Raketenabwehr ist aber nur ein erster Schritt in der umfassenden Militarisierung des Weltraums. Auf der einen Seite befindet sich hier die gewaltige Achillesferse der zivilen und der militärischen Informationsinfrastruktur der Vereinigten Staaten (und der westlichen Welt). Ein Ausfall ziviler Satelliten hätte unabsehbare Folgen für die modernen, auf Informationsübertragung angewiesenen Gesellschaften. Ein erfolgreicher Angriff auf Militärsatelliten der Vereinigten Staaten würde weite Teile ihres militärischen Apparates lahmlegen - entsprechend warnte Verteidigungsminister Rumsfeld, der maßgeblich hinter der Weltraummilitarisierung steht, vor einem "space Pearl Harbor". Satelliten - militärische wie zivile - gelte es zu schützen. Auf der anderen Seite bietet der Weltraum auch militärische Potenziale: Praktisch lückenlose Bodenaufklärung wird möglich, Tarnungsversuche des Gegners weitgehend nutzlos. Satellitensteuerung erlaubt es, Geschosse exakt ins Ziel lenken. Schaltet man gleichzeitig die gegnerischen Satellitensysteme aus, ist der Gegner selbst "geblendet". Darüber hinaus erlaubt der Weltraum die Stationierung von Waffensystemen.
Im Januar 2001 fand ein erstes "Weltraum-Manöver" statt: Dabei wurde der Versuch einer feindlichen Macht (mit deutlichen Parallelen zu China) simuliert, als Vorstufe zu einem Bodenkrieg US-Satelliten auszuschalten. Bis 2015 - so die Vorhersage der Planer - könnten sich die Vereinigten Staaten mit einer rivalisierenden Macht tatsächlich in einer kriegerischen Auseinandersetzung im Weltraum befinden.
Jenseits der Vorbereitung auf solch - im weitesten Sinne noch - traditionelle Einsätze im Rahmen der Staatenwelt sieht sich das US-Militär mit der Frage konfrontiert, wie man in Zukunft in "post-nationale" Konflikte eingreifen kann, die in ihrer Form der ungelösten Krise auf dem Balkan, der Intifada in Israel/Palästina, dem Krieg in Kolumbien oder den unübersichtlichen Gewaltausbrüchen in einigen Teilen Afrikas gleichen werden. Bislang fehlt dem US-Militär das nötige Instrumentarium, um mit diesen Konflikten angemessen umzugehen. Da Mittel und Strategien sich bislang im Rahmen der staatenweltlichen Kriege bewegen, sind allenfalls die Sondereinheiten (Special Operation Forces) für solche Einsätze geeignet.
Diese Kräfte - in den 60er Jahren für Operationen in der Dritten Welt aufgestellt - sind heute trotz ihrer geringen zahlenmäßigen Größe und ihres begrenzten Haushalts in über einhundert Staaten der Welt im Einsatz. Offiziell bilden sie in den meisten Fällen lokale Partner in der Bekämpfung von Drogenproduktion und -handel aus. Tatsächlich aber geht ihr Einsatz viel weiter: In zahlreichen Staaten sind die Grenzen zwischen dem Drogensektor - und der Kriminalität im allgemeinen - und dem "politischen Untergrund" so fließend, dass die Ausbildung durch die Special Operation Forces in der Regel auf die Vermittlung von Techniken der Unterdrückung politischer Unruhen und damit sehr stark auf ein Eingreifen in die inneren Auseinandersetzungen der jeweiligen Staaten hinausläuft. Gleichzeitig haben die USA nach 1990 das diplomatische Personal in vielen Regionen der Welt so drastisch reduziert, dass häufig die örtlichen Kommandeure der Special Operation Forces die unmittelbaren Ansprechpartner für ihre Gastgeberregierungen darstellen. Im Ergebnis kommt es vielfach zu einer Paralleldiplomatie, in der die Special Operation Forces - der Kontrolle durch den Kongress weitgehend entzogen - Aufgaben des Außenministeriums wahrnehmen (vor allen in Lateinamerika und in Zentralafrika) und zu einer schleichenden Militarisierung der US-Außenpolitik beitragen.
Darüber hinaus bedient sich die US-Regierung zur Durchführung "semi"-militärischer Aufgaben in diesen Ländern zunehmend privater Unternehmen. Deren Mitarbeiter sind vielfach ehemalige Militärs, die nach dem Erreichen des niedrigen Pensionsalters ihre Kenntnisse, Fähigkeiten und nicht zuletzt Kontakte auf dem Arbeitsmarkt anbieten. Durch das Einschalten dieser Unternehmen kann die US-Regierung als notwendig betrachtete politisch-militärische Aufgaben auslagern und wird zugleich nicht mehr unmittelbar mit Auslandsoperationen in Verbindung gebracht. Vor allem aber: Damit kann die US-Regierung dem Kongress die Kontrolle ihrer Auslandsaktivitäten erschweren - eine Lehre, die sie vor allem aus der innenpolitischen Krise nach dem Bekanntwerden der Iran-Contra-Verwicklungen gezogen hat. Die Einsatzbereiche der privaten Unternehmen sind relativ weit gefächert und reichen von Bau und Wartung elektronischer Anlagen (z. B. durch ACS Defense, Inc. aus Burlington, Massachusetts) über das Besprühen von Coca-Plantagen in Kolumbien mit Pflanzengiften (durch DynCorp aus Reston, Virginia) bis hin zur Ausbildung von Soldaten in Entwicklungsländern (etwa durch Military Professional Resources, Inc. MPRI aus Alexandria, Virginia, in West- und Zentralafrika). Damit nehmen die Vereinigten Staaten unterhalb der Schwelle militärischer Einsätze Einfluss in lokale und regionale Konflikte.
Regionale Konfliktszenarien
In den Vereinigten Staaten kursiert unter den Planern und Strategen eine Vielzahl von Konfliktszenarien. Auch wenn die USA - zumindest vorläufig - militärischen Einsätzen aus dem Weg gehen wollen, müssen sie auf Bedrohungen reagieren. Einige Probleme - der Umgang mit dem Irak beispielsweise - sind drängend. Andere weitreichende krisenhafte Veränderungen werden in aller Wahrscheinlichkeit nicht mehr die Amtszeit von George W. Bush betreffen, aber sie bestimmen das Denken der Planer und Strategen, was die Frage von Militäreinsätzen betrifft. Im Überblick besitzen folgende Entwicklungen eine relativ große Wahrscheinlichkeit für die unterschiedlichen Weltregionen:
Europa
Europa wird in den Planungen der amerikanischen Militärstrategen eine zunehmend untergeordnete Rolle spielen. Es wird den Europäern überlassen, für die Sicherheit und Stabilität in Europa und in den angrenzenden Gebieten selbst zu sorgen. In der Spannung zwischen dem amerikanischen Kontroll- und Dominanzbedürfnis gegenüber den Alliierten einerseits und dem geostrategischen Prioritätenwechsel andererseits könnte am Ende angesichts der auch für die USA - gerade nach den Steuersenkungen - knappen Ressourcen der weitgehende Rückzug aus Europa stehen. Zwar wird oft, gerade im Kongress, auf die Wichtigkeit der europäischen Alliierten und die Pflege dieser Beziehungen hingewiesen, doch zumindest unter der Regierung von George W. Bush werden diese Argumente wenig gelten. Wirtschaftlich sind die Westeuropäer ohnedies schon lange zu Konkurrenten der USA geworden, so dass die Übernahme militärischer Aufgaben für das "wohlhabende" Europa für die jeweilige amerikanische Regierung schon seit längerem innenpolitisch immer schwerer zu vertreten gewesen ist. Mit der Verlagerung der Schwerpunkte in den asiatisch-pazifischen Raum und der Entwicklung von Langstrecken- und Weltraumwaffen wird Europa darüber hinaus viel von seiner Bedeutung als Drehscheibe und Standort für Militärbasen einbüßen. Konflikte wie der auf dem Balkan spielen für die Vereinigten Staaten allenfalls noch deshalb eine Rolle, weil die Verbündeten weitgehend unvorbereitet davon getroffen wurden und es zugleich einen starken innenpolitischen Druck zugunsten eines Einschreitens gegeben hatte. Im weltweiten Vergleich und mit Blick auf die mittelfristig erwarteten Konflikte im asiatischen Raum kann der Balkankonflikt für die Vereinigten Staaten aber nur ein Nebenschauplatz sein. Entsprechend werden sie ihre Kräfte in Europa nicht mehr unnötig binden; vor allem Sicherheitsberaterin Rice und Minister Rumsfeld drängen in diesem Zusammenhang schon lange offen auf den weitgehenden Rückzug.
Asien
Für die Entwicklung in Asien existiert eine große Zahl unterschiedlicher Szenarien. Im Vordergrund steht meist China, mit dem sich die Vereinigten Staaten schon kurzfristig in einem regionalen Konflikt befinden könnten.
Die größte unmittelbare Gefahr geht zunächst von einer möglichen Taiwankrise aus. Zwar wird China auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, Taiwan militärisch zu erobern. Denkbar ist aber, dass China versuchen könnte, die "abtrünnige Provinz" durch einen massiven Beschuss mit Kurzstreckenraketen in Verbindung mit einer Seeblockade zu einem Anschluss zu zwingen. Es wird weder für die gegenwärtige noch für die kommenden chinesischen Führungen möglich sein, ihren Anspruch auf Taiwan aufzugeben. Ein solcher Schritt würde zu einer innenpolitischen Krise nicht mehr kalkulierbaren Ausmaßes führen, das durch die Folgen der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Öffnung zusätzlich verstärkt würde. Darüber hinaus wäre eine Aufgabe Taiwans ein mögliches Signal an andere Problemregionen in China (Tibet, Xinjiang), dass der Griff der Zentralregierung schwächer werden könnte. Diesen Eindruck wird die Regierung in Peking vermeiden müssen, um keine Sezessionskrisen zu provozieren. Auf der anderen Seite fühlen sich die USA verpflichtet, eine durch militärische Mittel herbeigeführte Veränderung von Taiwans Status auf keinen Fall hinzunehmen. So dürfte jede Verschärfung der Situation in der Straße von Taiwan - wie bei den Spannungen im Jahr 1996 - mit der Entsendung von Marineeinheiten beantwortet werden. Bei einem tatsächlichen Ausbruch von Feindseligkeiten würden die Vereinigten Staaten damit unweigerlich in den Konflikt hineingezogen.
Am Verhalten der USA gegenüber China wird ihre Glaubwürdigkeit als globale Ordnungsmacht gemessen werden. Es ist beispielsweise vorstellbar, dass bei etwaigen Zweifeln (so in dem Fall, dass die Vereinigten Staaten zögerten, Taiwan vor einem militärischen Zugriff Chinas zu schützen) die Regierung in Tokio angesichts der sino-japanischen Rivalitäten dazu verleitet werden könnte, ihre eigenen militärischen Kapazitäten dramatisch auszubauen (bis zu einem Aufbau von Atomstreitkräften) - eine Entwicklung, die angesichts der Geschichte Japans die gesamte Region in zusätzliche Unruhe versetzen müsste.
Ungeachtet der speziellen Taiwanproblematik gibt es eine generelle Skepsis in den Vereinigten Staaten gegenüber China, die in der Vergangenheit ständig gewachsen ist: Im letzten Jahr wurde Chinas Regierung im Cox-Bericht (an dessen Entstehen Cheneys Stabschef und Sicherheitsberater I. Lewis Libby maßgeblich beteiligt war) beschuldigt, umfangreiche Militärspionage in den Vereinigten Staaten vor allem auf dem Gebiet der Nuklear- und Raketentechnologie betrieben zu haben. Der Umgang mit den Anhängern des Falun-Gong-Kultes, die Verhaftungen chinesischer Wissenschafter, die ihren ersten Wohnsitz in den Vereinigten Staaten besitzen, und die Vorgänge um das amerikanische EP-3-Aufklärungsflugzeug haben das Misstrauen der Amerikaner nur gesteigert und in der Öffentlichkeit eine anti-chinesische Stimmung erzeugt. Trotz ihrer Verhandlungsbereitschaft über den Beitritt Chinas zur Welthandelsorganisation ist die US-Regierung sicherheitspolitisch kompromisslos.
Das hat Auswirkungen auf die Entwicklung des Verhältnisses. Denn es wird angenommen, dass China langfristig - sofern es nicht vorher an seinen inneren Widersprüchen im Rahmen der wirtschaftlichen Öffnung zerbrochen ist - über einen Anschluss Taiwans hinaus die Stellung als die entscheidende Großmacht Asiens anstreben wird. Das beträfe zunächst den Raum des Südchinesischen Meeres, der mit seinen Seewegen für die Energieversorgung des gesamten pazifischen Wirtschaftsraumes von größter Bedeutung ist. Es beträfe auch die alte Konkurrenz mit Indien. Möglicherweise könnte China sogar in die schwach bevölkerten Regionen des ostsibirischen Teils Russlands vorzudringen versuchen. Eine derartige Entwicklung, zu der es im Laufe der bevorstehenden zehn bis zwanzig Jahre kommen könnte, müsste zwangsläufig massive Gegenreaktionen der USA provozieren.
Eine andere Frage ist die nach der Zukunft der beiden Koreas: Nordkorea steht im Verdacht, bereits jetzt über Massenvernichtungswaffen und geeignete Trägersysteme zu verfügen. Sollte es zu einer Vereinigung Nord- und Südkoreas und damit zu einem Zusammenführen der wirtschaftlichen und der militärischen Kapazitäten bei einer gleichzeitigen Schließung der US-Basen im Süden kommen, hätte auch dieses weitreichende Folgen für das strategische Machtverhältnis in Ostasien.
Um ihre militärische Präsenz in der Region langfristig zu sichern, werden die USA daher vor allem ihre bewährten Koalitionen (mit Japan, Südkorea und Australien) aufrechterhalten - Versuche einer innerkoreanischen Annäherung, die die dortige Existenz der US-Basen gefährdet, werden aus Teilen der Regierung behindert werden. Gleichzeitig wird man sich aber auch nach möglichen neuen Standorten für etwaige weitere Basen umsehen (sofern man nicht vollkommen auf Abstandswaffen vertrauen wollte - eine Vorstellung, die einigen "traditionellen" Militärs sehr unsympathisch ist). Eine Rückkehr auf die Philippinen wäre eine Option, eine mögliche Öffnung Vietnams eine andere.
Vor allem aber böte sich Indonesien an. Bereits heute ist die ganze Region eine Unruhezone: Die Straße von Malakka, die für die Energieversorgung des gesamten pazifischen Raums von enormer Bedeutung ist, ist zu einem Zentrum der Piraterie geworden; Indonesien als Anrainerstaat - immerhin die viertgrößte Nation der Welt und der bevölkerungsreichste muslimische Staat - kommt seit dem Sturz von Suharto nicht zur Ruhe. Ein weiterer Zerfall der staatlichen Ordnung in Indonesien könnte die Vereinigten Staaten zu einem Eingreifen bewegen, um die Lage zu stabilisieren und die eigene Position in der Region zu stärken (gleiches gilt für die Philippinen). Entsprechend haben die Vereinigten Staaten die Veränderungen, die sich mit der Amtsübernahme von Megawati Sukarnoputri ergaben, genutzt, um ihre Verbindungen zum indonesischen Militär aufzufrischen.
Neben China wird Indien zu einer nuklearen Großmacht aufsteigen, während anzunehmen ist, dass die innenpolitische Stabilität des benachbarten Nuklearstaates Pakistan weiter abnehmen wird. Denkbar wäre ein Krieg zwischen den beiden Nationen um die umkämpfte Kaschmirregion, vorstellbar in der mittelfristigen Perspektive aber auch ein Absinken des gesamten pakistanisch-afghanischen Raumes in Chaos. Davon wären die Nachbarstaaten Indien und Iran, aber auch China und die südlichen GUS-Republiken sowie - aufgrund der Nähe dieses Krisenherdes zu den Ölquellen des arabisch/kaspischen Raumes - alle in der Region aktiven Ordnungsmächte betroffen. Das militärische Eingreifen einer oder mehrerer Parteien wäre in diesem Fall praktisch unvermeidlich, zumal die Notwendigkeit bestünde, die pakistanischen Atomwaffen vor dem Zugriff Dritter zu sichern.
Der Nahe und Mittlere Osten
Neben der Ungewissheit, welche Rolle langfristig der Iran in der Region spielen wird, muss man sich vor allem mit der Frage des Palästinakonfliktes und des Umganges mit dem Irak auseinandersetzen. Es ist anzunehmen, dass die US-Regierung sich diplomatisch im Palästinakonflikt engagieren wird, um sowohl eine geographische Ausweitung als auch eine weitere Eskalation zu verhindern. Ein militärisches Eingreifen von außen, wie es Präsident Reagan 1982 im Falle des Libanon versuchte, ist dagegen sehr unwahrscheinlich - die Bindungen an eine der beiden Seiten sind nicht so stark, dass man sich militärisch in einem praktisch unlösbaren bürgerkriegsähnlichen Konflikt aufreiben und verausgaben wird.
Gegenüber dem Irak ist die Entwicklung der amerikanischen Politik uneindeutig. Im irakischen Luftraum sind die USA gemeinsam mit Großbritannien seit zehn Jahren präsent und führen in den Flugverbotszonen nach wie vor ihren "stillen Krieg", der nur in seltenen Ausnahmefällen der letzten Zeit in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt. Einige der heute führenden Regierungsmitglieder hatten sich vor der Amtsübernahme von George W. Bush für einen - notfalls auch militärisch herbeigeführten - Sturz von Saddam Hussein ausgesprochen. Seitdem ist man zurückhaltender geworden und hat sich mit der - vor allem von Powell befürworteten - Strategie abgefunden, über gezielte Sanktionen zumindest die irakische Militärmacht schwach zu halten. Immerhin ist der Irak bereits heute über das "Food-for-Oil"-Programm der Vereinten Nationen zum sechstwichtigsten Öllieferanten der Vereinigten Staaten geworden, und seine Bedeutung für die Weltenergieversorgung wird in den kommenden Jahren angesichts der vorhersehbaren Mehrnachfrage noch weiter wachsen. Eine Verschärfung der Krise um den Irak ist nicht im amerikanischen Interesse, eine endlose Fortsetzung ebenfalls nicht. In dieser vorläufigen Schwebesituation unterstützen die Vereinigten Staaten vor allem die - wenngleich nur wenig geschätzte - irakische Exilopposition finanziell, und es gibt immer noch Regierungsmitglieder (etwa Paul Wolfowitz), die sich - hinter vorgehaltener Hand - für eine gewaltsame Beseitigung des irakischen Regimes aussprechen.
Sehr viel wird in der näheren Zukunft davon abhängen, auf welche Modifizierungen des Sanktionsregimes sich die fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates einigen und wie Saddam Hussein und die öffentliche Weltmeinung auf diese neuen Entwicklungen reagieren werden. Auf der einen Seite ist es kaum vorstellbar, dass eine US-Regierung unter George W. Bush, Richard Cheney und Colin Powell die irakische Führung unter Saddam Hussein noch lange gewähren lassen wird. Andererseits hat seit dem Frühjahr 2001 der öffentliche Druck zugunsten einer Lockerung oder gar Aufhebung der Sanktionen wieder spürbar nachgelassen, so dass im Augenblick kein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht und die Vereinigten Staaten noch eine Weile an den Sanktionen und den sporadischen Luftangriffen (formal als Reaktion auf Attacken der Iraker gegen US-amerikanische und britische Flugzeuge dargestellt) festhalten können in der Hoffnung, dass Saddam Hussein in absehbarer Zeit seine Macht verlieren möge.
Afrika
Auch wenn Außenminister Powell Afrika eine große Bedeutung beimisst und im Frühjahr eine längere Reise in die Region unternommen hat, während Präsident Bush Erklärungen zugunsten einer aktiven Afrika-Politik abgibt, ist Afrika doch für die Vereinigten Staaten nach den politisch-wirtschaftlichen Bemühungen durch die Clinton-Regierung eher wieder zu einem "sterbenden Kontinent" geworden.
Eine mögliche Ausnahme stellt der Sudan dar - allerdings vor allem aus innen-, nicht aus außenpolitischen Überlegungen. Denn Bürgerkrieg, Hungersnot und Sklavenhandel haben eine sehr heterogene amerikanische Koalition aus verschiedenen Interessensgruppen entstehen lassen. Die Liste reicht vom ultrakonservativen Family Research Center über diverse ausgesprochen prominente und einflussreiche christliche Organisationen bis zu afro-amerikanischen Bewegungen - allesamt Gruppen, die hochpolitisiert und einflussreich sind und die seit langem eine aktivere amerikanische Rolle im Sudan fordern. Mitglieder einer überparteilichen Kongressarbeitsgruppe zum Sudan besetzen wichtige Positionen in mehreren Ausschüssen. Im Nationalen Sicherheitsrat der Regierung spricht sich auch der Beauftragte für Menschenrechte und Religionsfreiheit, Elliott Abrams, für ein aktiveres amerikanisches Vorgehen aus.
Bislang ist es der Regierungsspitze - wie Clinton zuvor in Bezug auf Ruanda und den Kongo - offenbar gelungen, durch kleinere diplomatische Erfolge den innenpolitischen Gruppen in den Vereinigten Staaten vorerst den Wind aus den Segeln zu nehmen und damit den unmittelbaren Handlungsdruck zu reduzieren. Sollte der Druck wieder zunehmen, wird die Regierung ein eigenes Einschreiten zu vermeiden suchen und nur widerstrebend aktiv werden. Dazu wird sie wahrscheinlich versuchen, zunächst die in der Region bereits aktiven Norweger, Briten und Italiener zu einem Eingreifen zu bewegen, sich selbst im Hintergrund halten, allenfalls Transportkapazitäten zur Verfügung stellen und die Aufklärung aus der Luft übernehmen. Im extremsten Fall wäre aber auch die Einrichtung von Flugverbotszonen über dem Sudan denkbar. Die Alternative, die offenbar von einigen Kongressmitgliedern bevorzugt wird, bestünde in der Bewaffnung der christlichen Milizen im Süden. In jedem Fall werden sich die Vereinigten Staaten aus innenpolitischen Gründen - zumindest diplomatisch - im Sudan engagieren, aber bemüht sein, nicht in den Konflikt hineingezogen zu werden.
Lateinamerika
Ein regional bedeutsamer Dauerkonflikt schließlich, in den die Vereinigten Staaten bereits jetzt tief verwickelt sind, existiert in Kolumbien. Der dort herrschende Bürgerkrieg zwischen den Rebellen der FARC, der ELN, dem paramilitärischen AUC und der Regierung unter Präsident Pastrana ist für die USA von besonderer Wichtigkeit, weil der Krieg zu großen Teilen aus dem Drogenhandel in die Vereinigten Staaten finanziert wird. Außerdem führen die Drogentransporte zu einer Destabilisierung der Lage in Mexiko. Die Gewalthandlungen in Kolumbien haben in den letzten Jahren eine Massenauswanderung von Kolumbianern vor allem in die Ballungsräume der USA verursacht. Außerdem berühren die Unruhen die gesamte Region, vor allem Peru, aber auch das wegen seiner Ölexporte für die Vereinigten Staaten immens wichtige Venezuela, dessen politische Entwicklung ebenfalls einen problematischen Verlauf nehmen könnte.
Seit Jahren sind die Vereinigten Staaten in dieser Region präsent - 1986 beteiligten sie sich federführend mit der Operation Blast Furnace in Bolivien an militärischen Maßnahmen zur Drogenbekämpfung. Die Intervention in Panama 1989 galt zum Teil ebenfalls der Unterbindung des dortigen Drogenumschlags. Im vergangenen Jahr sagte die Regierung Clinton Präsident Pastrana zu, sich mit 1,3 Milliarden Dollar an dem sieben Milliarden Dollar teuren "Plan Colombia" zur Bekämpfung der Drogenproduktion zu beteiligen. Zunächst wird die Hilfe zu großen Teilen aus der Lieferung von militärischem Material, aber auch in der Ausbildung kolumbianischer Militärs durch US-Berater bestehen, die in der gesamten Andenregion aktiv sind. Dazu kommt das Engagement von Privatfirmen wie DynCorp und ACS Defense, die im Auftrag des Verteidigungsministeriums ebenfalls das kolumbianische Militär unterstützen.
Sollte die Regierung Pastrana im Kampf gegen die FARC weitere Rückschläge erleiden, gerät die US-Regierung in eine schwierige Lage: Im Kongress haben die Menschenrechtsverletzungen durch das kolumbianische Militär grundsätzliche Skepsis an der amerikanischen Beteiligung am Plan Colombia geweckt. Auf der anderen Seite muss die US-Regierung ein Kollabieren Kolumbiens unter allen Umständen verhindern - auch gegen den Widerstand aus dem Kongress. Damit könnte eine schleichende Entsendung von Special Operation Forces vorprogrammiert sein, und die Vereinigten Staaten würden in Kolumbien unter Umständen in einen neuen Bürgerkrieg hineingezogen - einige Beobachter stellen bereits jetzt Vergleiche zu der Entwicklung in Indochina in den frühen 1960er Jahren an.
Konsequenzen für Europa
Die Europäer bringt die gesamte Entwicklung in ein Dilemma. Im Zuge der umfassenden geopolitischen Veränderungen wird Europa - vormals im Zentrum des Ost-West-Konfliktes stehend - seine herausragende Rolle an die Spannungsregionen Asiens abgeben. Unter den Vorgaben des "selective engagement" werden sich die Vereinigten Staaten in der Zukunft aus Europa weitgehend zurückziehen und vor allem keine militärischen Aufgaben mehr übernehmen, die die Europäer in ihren Augen selbst ausführen können sollten.
Ein weitgehender Rückzug der Vereinigten Staaten aus Europa beschwört die Gefahr herauf, dass Europas Nachbarregionen instabiler werden. Von der amerikanischen Anwesenheit geht ein großes psychologisches Moment aus - von ihrem Rückzug ebenso. Ein allmählicher Abzug bedeutet für die Europäer außerdem, dass sie auf sich selbst verwiesen werden und die entstehenden Konflikte weitgehend allein bearbeiten müssen. Die Arbeit an einer europäischen Sicherheitsidentität wird die großen Differenzen offenlegen, die zwischen ihnen bestehen. Die Balkankriege sind noch - unter amerikanischer Beteiligung - ein "gesamteuropäisches" Projekt geworden, aber wie etwa soll der Rest Europas mit den Interessen der Briten oder Franzosen auf dem afrikanischen Kontinent umgehen? Bedeutet beispielsweise ein Zerfall der staatlichen Ordnung in einigen afrikanischen Staaten, dass die Evakuierung von dort lebenden Europäern ein gesamteuropäisches Projekt wird oder doch eine Aufgabe für London, Paris oder Brüssel bleibt?
Neben den Interessendivergenzen unter den Europäern wird es auch zu Differenzen mit den Vereinigten Staaten in zahlreichen Regionen der Welt kommen. So gibt es beispielsweise schwerwiegende Unterschiede in der Kolumbienpolitik. Die Entwicklungen in Korea werden vollkommen anders gesehen. Die Frage, wie man mit dem Irak umgehen soll, wird anders beantwortet - selbst unter den Europäern. Die Liste kann verlängert werden.
Auf der anderen Seite sitzen die Europäer aber auch in vielen Bereichen mit den Amerikanern in einem Boot. Das wirft die Frage auf, wie man den militärtechnischen Anschluss an die Vereinigten Staaten behalten will - und ob man dies überhaupt anstreben sollte. Dabei geht es nicht nur um die großen finanziellen Unterschiede - selbst unter den Bedingungen eines sich abschwächenden Wirtschaftswachstums ist das US-amerikanische Rüstungsbudget noch unvergleichlich viel höher als das der Europäer. Zwar macht das Selbstverständnis der Vereinigten Staaten, die führende Weltmacht zu bleiben, ein großes Rüstungsbudget unausweichlich, will man das einmal erreichte hohe Niveau halten. Derartige Ansprüche hat Europa nicht. Das wichtigere Problem aber liegt in den technologischen Unterschieden begründet - in der Frage, wie viel "man power" und wie viel "brain power" man in Entwicklungen steckt und welche "militärtechnische Phantasie" entfacht wird. Hier spielen auch kulturelle Faktoren mit.
Die Europäer können sich den Entwicklungen nicht entziehen. Die Vereinigten Staaten definieren die Lage und die Gefahren und sind damit realitätsbildend. Sie setzen die Maßstäbe, sie bestimmen die Spielregeln - und provozieren damit auch die Formen, wie andere gegen diese Regeln verstoßen. Zunehmend werden die Vereinigten Staaten ihre militärischen Überlegungen - wie Rumsfeld erklärte - von tatsächlichen Bedrohungen lösen und vornehmlich an ihren eigenen Fähigkeiten orientieren. Das ist misslich für die Europäer: Sie müssen militärisch selbständiger werden, aber gleichzeitig irgendwie mit der von den USA vorgegebenen Entwicklung Schritt halten.