Der folgende Artikel stammt von Welt online
Die nächste Krise des Euro kommt schon baldWie geht es Anfang 2011 mit der Währungsunion weiter?
Ein Szenario: Spekulanten entziehen dem Euro das Vertrauen, die EU erlebt ein Debakel.
Es ist Montag, 17. Januar 2011.
Am Nachmittag treffen sich die Finanzminister der Euro-Länder in Brüssel. So frostig wie die Temperaturen ist auch die Stimmung.
Das ganze Wochenende schon hatten ihre Spitzenbeamten sich in Ad-hoc-Telefonkonferenzen zusammengeschaltet. Sie waren schlicht nicht vorbereitet auf das Debakel, das in den vergangenen Tagen seinen Lauf nahm.
Begonnen hatte es am Montag zuvor, dem 10. Januar.
Es war der Tag, an dem viele Fondsmanager und Staatsanleihen-Händler aus dem Weihnachtsurlaub zurück an ihren Arbeitsplatz kamen.
Es wurde ein rabenschwarzer Montag für die EU.
Schon zu Handelsbeginn sieht es aus, als habe sich alle Welt gegen die Europäische Währungsunion verschworen.
Die Finanzjongleure ziehen massenhaft ihr Geld ab.
Zuerst fallen die Kurse für portugiesische Staatsanleihen.
Bald darauf infizieren sich die Spanier.
Die Zinsen für ihre Bonds klettern in ungekannte Höhen – das Land, das sich noch Milliarden Euro am Kapitalmarkt besorgen muss, steckt in der Klemme.
Die Investoren haben damit den Stab über das EU-Rettungspaket gebrochen, das vier Wochen zuvor in Brüssel verabschiedet worden war.
Mit ihrem Käuferstreik signalisieren sie: Wir haben das Vertrauen in die Eurozone verloren. Seitdem herrscht Panik in den Hauptstädten Europas.
Mit gutem Gefühl in die Ferien
Stehen Anfang 2011 die Schicksalstage der Gemeinschaftswährung bevor?
Das beschriebene Szenario ist erfunden, unrealistisch ist es aber nicht.
Denn in einem Punkt sind sich Experten – egal ob Euro-Skeptiker oder Euro-Enthusiasten – einig: Die Beschlüsse des EU-Gipfels vom vergangenen Freitag werden kaum ausreichen, um die Lage zu beruhigen.
„Der nächste Krisengipfel wird eher früher als später kommen“, sagt Carsten Brzeski, Volkswirt bei der ING.
Schließlich haben sich die Staats- und Regierungschefs Europas nur auf einen Minimalkompromiss geeinigt.
Der sieht zwar vor, dass der Euro-Rettungsschirm fortgeführt wird.
Zudem sollen sich zukünftig private Gläubiger im Ausnahmefall an den Kosten von Staatspleiten beteiligen.
Doch das alles gilt erst ab 2013. Die aktuellen Probleme sind ungelöst.
Die „Welt Online“ zeigt auf, was das für die kommenden Wochen bedeuten könnte.
In die Weihnachtsferien verabschiedeten sich Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy noch mit dem guten Gefühl, auf dem Brüsseler Gipfel einiges erreicht zu haben.
Merkels Worte klangen nach: Man habe alles getan, um die Gemeinschaftswährung zu sichern. Allein, die Botschaft verfing nicht.
Die Ruhe über die Festtage war trügerisch. Die Fachleute in den europäischen Ministerien ahnten bereits, dass sie sich mit dem Minimalkompromiss von Brüssel lediglich einen Teil jener Zeit gekauft hatten, die sie brauchen, um den Rettungsplan für den Euro fortzuentwickeln.
Am Abend des 10. Januar ist die Katerstimmung groß.
Im Laufe des Tages hatte Spaniens Ministerpräsident José Luis Rodríguez Zapatero mehrfach bei Sarkozy angerufen.
Die Telefonate waren ein einziger Hilferuf, erzählt später einer aus dem Umfeld des französischen Präsidenten.
Sarkozy ist ratlos, versucht sich mit Merkel abzustimmen.
Aber die weiß auch nicht, was zu tun ist. Nun doch den Rettungsschirm vergrößern, ihn gar verdoppeln? Oder die so ungeliebten gemeinsamen Euro-Anleihen aus der Schublade holen? Alles steht nun auf Wiedervorlage.
So startet dann auch das Treffen am 17. Januar. Irgendwann im Verlauf der Gespräche macht Wolfgang Schäuble (CDU) klar, dass er durchaus bereit sei, den bestehenden Rettungsschirm drastisch zu erweitern.
Ich werde alles Nötige tun, um den Euro zu verteidigen, wenn die Voraussetzungen stimmen, sagt der Finanzminister. In stundenlangen Telefonaten und Sitzungen hatte Finanzstaatssekretär Jörg Asmussen zuvor in Schäubles Auftrag mit seinem französischen Kollegen Ramon Fernandez die gemeinsame Position ausgehandelt.
Keine Lust mehr auf Zahlenspiele
Zwei Vorbedingungen stellt Europas Führungsduo allerdings:
Portugal, dessen instabile Finanzlage bereits den Nachbarn Spanien in Mitleidenschaft zieht, muss unter den Rettungsschirm.
Und Spanien hat seinen maroden Sparkassensektor zu sanieren. Außerdem soll das Land eine neue Wirtschaftspolitik fahren: weniger Konzentration auf den Bausektor, hin zu neuen Industrien. Die Regierungen beider Länder haben zu diesem Zeitpunkt längst keine Wahl mehr und beugen sich dem Diktat.
So treten die Finanzminister dann vor die internationale Presse.
Die EU habe keine Lust mehr, sich mit Zahlenspielen von den internationalen Anlegern treiben zu lassen, sagt EU-Ratspräsident Herman van Rompuy. Wir vergrößern den Schirm, wir tun alles, um den Euro zu retten, nennen aber keine Zahlen mehr, lautet seine erste Aussage. Portugal und im Notfall auch Spanien erhalten Hilfe aus dem europäischen Rettungsschirm. In vielen Medien sprechen die Kommentartoren von einem unbegrenzten Topf zulasten von Deutschland und Frankreich, den Schwergewichten der Währungsunion.
Die Reaktion der Finanzmärkte lässt nicht lange auf sich warten:
Am 19.Januar, zwei Tage nach dem Treffen in Brüssel, will sich die Finanzagentur des Bundes sechs Milliarden Euro am Kapitalmarkt borgen. Anders als in der Vergangenheit gestaltet sich das Vorhaben schwierig. Deutschland, bislang bei den Investoren als Musterschüler in Sachen Zahlungsfähigkeit bekannt, muss plötzlich höhere Zinsen bieten.
Die Anleger fürchten, dass die Bundesrepublik als Zahlmeister der Eurozone eines Tages Schwierigkeiten bekommen könnte.
Schon Ende 2010 hatte sich diese Entwicklung abgezeichnet, als die Kreditausfallversicherungen für deutsche Staatsanleihen teurer wurden.
Bereits damals hatten Finanzexperten gewarnt, dass die Anleger demnächst auch von Deutschland höhere Renditen verlangen könnten. Merkel kannte das Problem, Schäuble auch.
Aber was sollten sie machen, wenn sie nicht aus purem Eigeninteresse die gesamte Eurozone opfern wollten?
Dass der Anstieg aber so rasant vor sich gehen würde, sahen sie nicht voraus.
Wochenlang hatten sie sich gegen die Euro-Bonds gewehrt, weil sie höhere Zinsen fürchteten. Nun sind die gemeinsamen Anleihen abgewendet, doch Deutschland haftet als Hauptbürge des Rettungsschirms trotzdem für die Kredite der wackeligen Schuldensünder in Europas Süden.
In der Koalition als Träumer belächelt
Da ist sie wieder, die Angst vor der Rolle des Zahlmeisters. Die Euro-Skepsis in Deutschland wächst unaufhaltsam. Mitte Dezember – kurz vor dem EU-Gipfel – befürwortete laut einer Umfrage noch knapp ein Drittel der Bundesbürger, dass die finanziell besser dastehenden Staaten die hoch verschuldeten EU-Mitglieder finanziell stärker unterstützen sollten. In einer neuen Umfrage Mitte Januar schrumpft der Wert drastisch zusammen. Inzwischen plädiert sogar gut die Hälfte der Deutschen für die Wiedereinführung der D-Mark.
Keiner redet mehr über die schlimmen Folgen für die Exportwirtschaft.
Die Zustimmung für Parteien, die als EU-freundlich gelten, fällt.
Bei den Spitzenpolitikern geht die Angst um, eine neue Anti-Euro-Partei könnte reüssieren.
Angesichts der Misere mahnt Schäuble, oft als letzter Europäer im Kabinett tituliert, bei Merkel Führungsstärke an. Die Kanzlerin solle die Deutschen, notfalls gegen ihren Willen, in eine engere europäische Gemeinschaft führen. Schäuble spricht nun aus, was er bisher nur andeutete. Anfang Dezember etwa sagte er, Deutschland könne möglicherweise einen weiteren Teil seiner Souveränität aufgeben und Budgetrechte nach Brüssel delegieren, um den Euro zu retten.
In der Koalition wurde er als Träumer belächelt. Nun, zwei Monate später, sieht Schäuble seine Chance gekommen.
Doch wie schon im Dezember ist man im Kanzleramt von den forschen Aussagen des Finanzministers nicht begeistert. Merkel fürchtet, dass ihr die Verfassungsrichter bei weiteren Rettungsaktionen einen Strich durch die Rechnung machen könnten. Noch im Februar soll in Karlsruhe über eine Beschwerde gegen den ersten Euro-Schutzschirm verhandelt werden. Die Angst vor dem Verfassungsgericht lässt Merkel schon lange nicht mehr los. Ein Veto der obersten deutschen Richter wäre für sie ein Fiasko. Am Ende könnte sie das sogar die Macht kosten, weil die Bevölkerung das Vertrauen in ihre Politik verliert.
Aber auch fernab juristischer Bedenken hält Merkel von den Ideen wenig. Zur Bekämpfung der aktuellen Krise seien die Szenarien, deren Umsetzung Jahre dauern würde, untauglich, heißt es im Kanzleramt.
Eine Lehre vom Dezember-Gipfel.
Und auch die anderen EU-Regierungen sind von Schäubles Plan wenig begeistert. Mancher fürchtet gar ein deutsches Haushaltsdiktat in Brüssel.
Die Währungsunion entwickelt sich immer mehr zu einer Ehe, die den letzten Zauber gemeinsamer Visionen verliert.
Einzig der Gedanke, dass sich keiner die Trennung finanziell leisten kann, hält die Partner beisammen. Selbst der Wunsch nach einer harten Währung eint die Partner nicht.
Die Südländer würden gerne abwerten, um ihre Exporte zu verbilligen.
In Deutschland aber sieht die Bevölkerung ihre mühsam aufgebauten Ersparnisse bedroht.
So stehen die Staats- und Regierungschefs Europas im Januar so ratlos da wie einen guten Monat zuvor. Der Zustand der Gemeinschaftswährung jedoch ist noch labiler geworden.
Dass man mit beim EU-Gipfel am 17. Dezember die Zukunft des Euro gesichert habe, behauptet nun niemand mehr.
Die Euro-Sorgenkinder
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Irland
Das kleine Land im Nordwesten des Kontinents mit 4,5 Millionen Einwohnern hat in der Finanzkrise einen Tiefschlag nach dem anderen einstecken müssen. Die Banken verspekulierten sich mit überteuerten Immobilien, der Staat musste sie mit Milliarden stützen. Für die Bankenrettung werden bis Dutzende Milliarden Euro veranschlagt - bei einem Bruttoinlandsprodukt von 160 Milliarden Euro ein unglaublicher Kraftakt. Das Haushaltsdefizit steigt in diesem Jahr auf astronomische 32 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Im Gegensatz zu Portugal und Griechenland hatte sich Irland – als es noch der „keltische Tiger“ war – aber eine starke ökonomische Basis geschaffen. Mit extrem niedrigen Steuern lockte die Regierung Investoren aus aller Welt an. Auch aktuell wachsen die Exporte, die Industrieproduktion geht steil nach oben, die Arbeitslosenquote beginnt zu sinken. Zudem sollen die finanziellen Mittel nach Regierungsangaben bis Mitte 2011 reichen.
Portugal
Die staatlichen Sparanstrengungen bremsen die Wirtschaft. Sie wird nach der Herbstprognose der EU-Kommission im kommenden Jahr um ein Prozent schrumpfen und 2012 um magere 0,75 Prozent wachsen. „Die Sparpakete dämpfen den privaten Konsum“, sagt die Brüsseler Behörde voraus.
Die Regierung hatte im Juli die Mehrwertsteuer angehoben und Sozialleistungen gekürzt. Dadurch wird das Staatsdefizit im kommenden Jahr auf 4,9 Prozent fallen und 2012 mit 5,1 Prozent ähnlich hoch ausfallen. Für 2010 werden noch 7,3 Prozent erwartet. Gleichzeitig nimmt die Gesamtverschuldung zu: Sie dürfte bis 2012 auf 92 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen – in diesem Jahr sind es etwa 83 Prozent. Erlaubt sind nach den EU-Verträgen maximal 60 Prozent.
Griechenland
Griechenland konnte im Frühjahr letztlich nur durch Zusagen der anderen Euro-Länder und des Internationalen Währungsfonds (IWF) vor dem Staatsbankrott gerettet werden. Das Land mit 11 Millionen Einwohnern hat dauerhaft über seine Verhältnisse gelebt, fehlende Einnahmen wurden ständig über neue Schulden ausgeglichen. Die Hauptursachen der Misere werden im überdimensionierten Staatssektor gesehen, in der fehlenden internationalen Wettbewerbsfähigkeit und der Vertuschung der tatsächlichen Lage der griechischen Finanzen vor den zuständigen Stellen der EU.
Der griechische „Wasserkopfstaat“ muss etwa eine Million Beamte und Angestellte bezahlen. Kein anderer EU-Staat hat mehr Staatsbedienstete. Fast jeder fünfte Arbeitnehmer in Griechenland ist vom Staat abhängig. Tourismus und Handelsschifffahrt sind die wichtigsten Devisenbeschaffer, doch beide Wirtschaftszweige litten unter der Krise. Das Haushaltsdefizit erreichte 2009 nach mehrmals korrigierten Zahlen die Rekordhöhe von 15,4 Prozent des BIP. Mit drastischen Sparmaßnahmen soll es bis 2014 unter die Marke von 3 Prozent gedrückt werden.
Spanien
Spanien kommt nach Vorhersage der EU-Kommission nur ganz langsam aus der Wirtschaftskrise. Für 2011 wird ein Wachstum von lediglich 0,75 Prozent erwartet, das 2012 auf 1,75 Prozent steigen soll. Zum Vergleich: Von Mitte der neunziger Jahre bis 2007 gab es ein durchschnittliches Wachstum von mehr als 3,5 Prozent.
Die hohe Arbeitslosigkeit von rund 20 Prozent und das Sparpaket der Regierung stehen einem kräftigen Aufschwung im Weg. Das macht sich auch im Staatshaushalt bemerkbar: Zwar dürfte das Defizit im kommenden Jahr auf 6,4 Prozent sinken, 2012 aber mit 5,5 Prozent noch deutlich über der EU-Obergrenze von drei Prozent verharren. Immerhin: Seit 2009 hätte sich das Defizit damit mehr als halbiert.
Italien
Von den Sorgenkindern dürfte Italien die größten Fortschritte auf dem Weg hin zu solideren Staatsfinanzen machen. Das Defizit dürfte der EU-Prognose nach bis 2012 auf 3,5 Prozent schrumpfen und damit nur noch knapp über der erlaubten Drei-Prozent-Marke liegen.
Allerdings: Die Gesamtverschuldung dürfte dann mit rund 120 Prozent immer noch doppelt so hoch wie erlaubt sein. Wirtschaftlich sind die Aussichten nicht gerade rosig. Etwas mehr als ein Prozent Wachstum pro Jahr traut die Kommission der drittgrößten Volkswirtschaft des Euro-Raums zu.
Das liegt vor allem daran, dass sie vorwiegend vom Export lebt, der sich wiederum auf die anderen Euro-Länder konzentriert. „Dadurch profitiert Italien nicht im vollen Umfang von den guten Wachstumsaussichten in den Schwellenländern“, so die Kommission.
Belgien
Belgien rückt zunehmend in den Fokus der Märkte. Das Defizit wird nach Prognose der EU-Kommission von 2010 bis 2012 zwischen 4,6 und 4,8 Prozent verharren. Die Staatsverschuldung dürfte bis dahin auf 102,1 Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Die EU-Verträge legen eigentlich eine Obergrenze von 60 Prozent fest.
Dabei dürfte die Wirtschaft bis 2012 um jeweils rund zwei Prozent vergleichsweise robust wachsen, weil Belgien vom Aufschwung seines wichtigsten Handelspartners Deutschland profitiert. Die Wettbewerbsfähigkeit des kleinen Landes hat allerdings stark gelitten: Ein geringes Produktivitätswachstum und höhere Verdienste haben die Lohnstückkosten seit 2005 schneller steigen lassen als im Euro-Raum.
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