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Pressegespräch
Putin im O-Ton über die „russische Bedrohung“ für Europa, Aufrüstung und die deutsche Politik
von Anti-Spiegel
Der russische Präsident Putin stellt sich während des Petersburger Wirtschaftsforums traditionell den Fragen der internationalen Nachrichtenagenturen. Dabei wurde er nach den Aufrüstungsplänen von NATO und EU gefragt und in seiner Antwort ging er auch auf die deutsche Politik ein.
Es ist eine jahrelange Tradition, dass sich der russische Präsident Putin während des Petersburger Wirtschaftsforums stundenlang den Fragen der weltweit wichtigsten Nachrichtenagenturen stellt. Ich werde in mehreren Artikeln die interessantesten Fragen und Putins Antworten übersetzen.
Hier übersetze ich eine Frage der spanischen Nachrichtenagentur EFE nach den den Aufrüstungsplänen von NATO und EU, denn Putins Antwort darauf geht gerade im russischen Internet viral und ist sicher auch für deutsche Leser interessant.
Beginn der Übersetzung
Sanz Mingote: Zunächst möchte ich mich meinen Kollegen anschließen und meine Dankbarkeit dafür aussprechen, dass ich die Möglichkeit habe, hier anwesend zu sein, wo Sie direkt den Nachrichtenagenturen zuhören, und ich möchte der Agentur TASS für ihre Gastfreundschaft danken.
Wie Sie wissen, findet in wenigen Tagen der NATO-Gipfel statt, zu dem verschiedene Staaten kommen werden, und eines der Themen, über die sie sprechen werden, ist, dass Europa über Aufrüstung nachdenkt und plant, mehr Rüstungsausgaben zu tätigen.
Meine Frage ist ganz direkt. Wenn Sie die Möglichkeit hätten, mit den Mitgliedern dieser Organisation zu sprechen oder vor ihnen zu sprechen, was würden Sie ihnen sagen, was wäre Ihre Botschaft und worin würde die Aufgabe bestehen? Und halten Sie diese Aufrüstung der NATO für eine Bedrohung für Russland?
Putin: Wir betrachten keine Aufrüstung der NATO als Bedrohung für die Russische Föderation, da wir in Bezug auf unsere Sicherheit autark sind und unsere Streitkräfte und unsere Verteidigungsfähigkeiten ständig verbessern.
Was auch immer die NATO tut, natürlich bringt das gewisse Gefahren mit sich, aber wir werden alle diese Gefahren, die entstehen, abwehren. Daran besteht kein Zweifel. In diesem Sinne sind jegliche Aufrüstung und die Erhöhung der Budgets auf 5 Prozent des BIP der NATO-Länder völlig sinnlos. Das ist das Erste.
Zweitens. Sie wissen, dass das leider seit Jahrhunderten so ist, das kann ich mit voller Überzeugung sagen, einfach seit Jahrhunderten taucht im Westen von Zeit zu Zeit, über einen langen Zeitraum hinweg, immer wieder die Frage nach der Bedrohung durch Russland auf. Das war für die westlichen Eliten sehr praktisch, um ihre Innenpolitik zu gestalten, denn auf der Grundlage einer imaginären Bedrohung aus dem Osten konnte man von den Steuerzahlern ständig Geld abschöpfen und die eigenen Fehler in der Wirtschaft mit der Bedrohung aus dem Osten erklären. Wenn Sie sich, wenn wir uns Geschichtsbücher ansehen, werden wir zu dem Schluss kommen, dass dieses Thema immer wieder aufgegriffen wurde.
Es ist klar, dass die heutige Krise in den Beziehungen zwischen Russland und Westeuropa sozusagen 2014 begann. Aber das Problem ist nicht, dass Russland sich mit der Krim vereinigt hat, sondern dass die westlichen Länder den Staatsstreich in der Ukraine unterstützt haben.
Verstehen Sie, wir haben früher immer gehört: Man muss sich an die Regeln halten. Welche Regeln? Was sind das für Regeln, wenn drei Staaten – Frankreich, Deutschland und Polen – nach Kiew gekommen sind und als Garanten ein Abkommen zwischen der Opposition und der Regierung unter Präsident Janukowitsch unterzeichnet haben? Drei Staaten, die Außenminister, haben es unterzeichnet, oder? Der Kollege aus Deutschland schaut mich an. Herr Steinmeier, er war damals Außenminister, hat es mit seiner Unterschrift bestätigt, und wenige Tage später hat die Opposition einen Staatsstreich durchgeführt, und niemand hat auch nur reagiert, als wäre nichts passiert, verstehen Sie? Und dann hören wir: Man muss sich an die Regeln halten. An welche Regeln denn? Was denken Sie sich da aus? Sie schreiben Regeln für andere, aber selbst haben Sie nicht vor, sich daran zu halten, oder wie? Aber wer wird denn nach solchen Regeln leben?
Damit begann die Krise. Aber nicht, weil Russland aus einer Position der Stärke agierte. Nein, aus einer Position der Stärke begannen diejenigen zu agieren, die wir bis vor kurzem noch als Partner bezeichnet haben.
Und die ehemalige stellvertretende Außenministerin, Frau Nuland, sagte meiner Erinnerung nach ganz offen: „Wir haben fünf Milliarden Dollar ausgegeben. Nun, jetzt wir haben nicht vor, von dort abzuziehen.“ Fünf Milliarden Dollar wurden für den Umsturz ausgegeben. Was für eine Offenheit! Na also!
Unsere westlichen Partner haben seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion immer mindestens aus einer Position der Stärke agiert. Es ist klar, warum, ich habe darüber geschrieben. Weil die Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg auf dem Gleichgewicht der Kräfte der Sieger beruhte. Und jetzt ist einer der Sieger weg, die Sowjetunion ist zerfallen. Und schon haben die Westler begonnen, all diese Regeln für sich neu zu schreiben. Welche Regeln?
Nach der Krim begannen die Ereignisse im Südosten der Ukraine. Was wurde getan? Im Südosten haben die Menschen den Putsch nicht anerkannt. Anstatt mit ihnen zu verhandeln, begann man, die Armee gegen sie einzusetzen. Wir haben zugeschaut, wir haben versucht, eine Einigung zu erzielen – acht Jahre lang, verstehen Sie? Das sind nicht fünf Tage. Acht Jahre lang haben wir versucht, eine Einigung zwischen der Kiewer Regierung, deren erste Quelle der Macht der Staatsstreich war, und dem damaligen Südosten der Ukraine, also dem Donbass, zu erzielen. Aber am Ende erklärte die derzeitige Regierung: „Uns gefällt nichts am Minsker Abkommen, das heißt, wir werden es nicht umsetzen.“ Acht Jahre lang haben wir geduldig gewartet, verstehen Sie?
Aber die Menschen tun mir leid, acht Jahre lang wurden sie dort gequält. Schließlich wird auch die russisch-orthodoxe Kirche bis heute schikaniert, die russischsprachige Bevölkerung wird schikaniert. Alle tun so, als würden sie nichts bemerken.
Am Ende haben wir beschlossen, diesem Konflikt ein Ende zu setzen – ja, unter Einsatz unserer Streitkräfte. Was bedeutet das? Dass wir Osteuropa angreifen wollen, oder was?
Ein einst bekannter Propagandist von Hitler sagte einmal: „Je unglaubwürdiger eine Lüge ist, desto schneller wird man sie glauben.“ Diese Legende, dass Russland vorhabe, Europa und die NATO-Länder anzugreifen, ist genau diese unglaubwürdige Lüge, die man der Bevölkerung der westeuropäischen Länder einzureden versucht. Wir verstehen, dass das Unsinn ist, verstehen Sie? Diejenigen, die das sagen, glauben selbst nicht daran. Nun, und Sie selbst wahrscheinlich auch nicht. Glaubt wenigstens einer von Ihnen, dass Russland einen Angriff auf die NATO vorbereitet? Was soll das?
Wissen Sie, dass die NATO-Länder derzeit 1,4 Billionen Dollar für Aufrüstung ausgeben? Das ist mehr als alle Länder der Welt zusammen, einschließlich Russland und China. Und die Bevölkerung dort, in den NATO-Ländern – wie viele sind das? – über 300 Millionen, 340 Millionen? Russland hat bekanntlich 145, fast 150 Millionen Einwohner. Und wir geben unvergleichlich wenig Geld, einfach unvergleichlich wenig Geld für Rüstung aus. Aber wir wollen die NATO angreifen, ja? Was ist das denn für ein Unsinn?
Und alle verstehen, dass das Unsinn ist. Und sie täuschen ihre Bevölkerung, um Geld aus den Haushalten zu pressen, fünf Prozent – 3,5 plus 1,5 – und damit die Misserfolge in der Wirtschaft und im sozialen Bereich zu erklären. Natürlich, denn die Bundesrepublik Deutschland, die führende Wirtschaftsmacht der EU, balanciert am Rande der Rezession.
Warum, das kann ich übrigens bis heute nicht verstehen, warum hat die Bundesrepublik auf die Nutzung russischer Energieträger verzichtet? Wir haben über die Ukraine andere europäische Länder beliefert, die Ukraine hat von uns jährlich 400 Millionen für den Transit erhalten, aber Deutschland hat aus irgendeinem Grund beschlossen, kein russisches Gas mehr zu importieren. Warum? Nein, es gibt einfach keine rationale Erklärung dafür. Wozu das?
Volkswagen stirbt, Porsche stirbt, die Glasindustrie stirbt, die Düngemittelbranche stirbt. Wofür? Nach dem Motto „Um den Schaffner zu ärgern, kaufe ich eine Fahrkarte und steige dann nicht in den Zug”? So in etwa? Das ist doch Unsinn.
Wenn die NATO-Staaten also ihr Budget noch weiter aufstocken wollen, ist das ihre Sache. Aber das wird niemandem nützen. Es werden natürlich zusätzliche Risiken entstehen, ja, das werden sie. Nun, das ist nicht unsere Entscheidung, sondern die Entscheidung der NATO-Staaten. Ich halte das für völlig irrational und sinnlos, und natürlich geht von Russland keine Gefahr aus, das ist einfach Unsinn.
Dr. Goebbels sagte, ich wiederhole es noch einmal: „Je unglaubwürdiger eine Lüge ist, desto schneller wird man sie glauben.“ Und wahrscheinlich glaubt das irgendjemand in Europa.
Es wäre besser, sich um die Rettung der eigenen Autoindustrie und die Erhöhung der Löhne zu kümmern.
Ende der Übersetzung