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Regieren nach geheimen Vorgaben der NATO
Norbert Haering
23. 06. 2025 | Die Regierungschefs der NATO treffen sich am 24. und 25.6. in Den Haag. Ein 5%-Rüstungsziel soll beschlossen werden, auf das Ausgaben für militärisch relevante Infrastruktur angerechnet werden. Diese Anrechnung ist ein Trojanisches Pferd, mit dem die NATO ihr heimliches Mitregieren in zivilen Angelegenheiten vertiefen und verfestigen wird.
Durch Informationsfreiheitsanfragen wurde kürzlich in den Niederlanden bekannt, dass die europäischen Regierungen geheim gehaltene Vorgaben der NATO bei ihrem Regierungshandeln beachten müssen, nicht nur im militärischen Bereich, sondern auch in der Gesundheits-, Infrastruktur- und Klimapolitik. Die Parlamente werden dabei umgangen. Die vorgeschlagene Anrechnung von militärisch relevanten Infrastrukturausgaben auf das vorgeschlagene 5%-Ziel der NATO für Militärausgaben droht, diese Einmischung der Militärs in ziviles Regierungshandeln zu vertiefen und zu verfestigen.
Der Corona-Krisenstab der Bundesregierung wurde von einem Bundeswehr-General geleitet. In den Niederlanden sammelte eine Armeeinheit namens Land Information Manoeuvre Centre massenhaft Daten über maßnahmenkritische Netzseiten und Zeitungen, um Erkenntnisse über die Verbreitung von „Desinformation“ zu gewinnen – und überschritt dabei ihre Befugnisse. In Italien lieferte die Armee mit einem öffentlichkeitswirksam inszenierten und gefilmten nächtlichen Transport von Särgen aus Bergamo in weiter entfernte Krematorien die wichtigsten Bilder für eine Schock-Kampagne mit der die Menschen europaweit dazu gebracht wurden, radikal-repressive Eindämmungsmaßnahmen gutzuheißen oder mindestens zu tolerieren, obwohl diese in keinem Pandemieplan standen.
Dass waren keine Ausnahmen, sondern eine Blaupause dafür, dass nach und nach alle wichtigen zivilen Angelegenheiten in den NATO-Ländern den Bedürfnissen und Prioritäten des Militärs untergeordnet werden. In NATO-Veröffentlichungen finden man die militärische Beteiligung am Regierungshandeln in der Coronazeit sogar explizit als wegweisend beschrieben. Ein Zeitungsartikel aus den Niederlanden machte mich hellhöring und motivierte mich, an den losen Fäden zu ziehen, die er enthielt. Das Schlüsselwort dabei heißt Resilienz, oder in besserem Deutsch, das den militärischen Charakter besser zur Geltung bringt, Widerstandsfähigkeit. oder Wehrhaftigkeit. Auch die Kriegstüchtigkeit, die unser Kriegsminister seit einigen Jahren propagiert, geht ziemlich sicher auf die Resilienz-Vorgaben der NATO zurück.
Enthüllung aus den Niederlanden
Die regierungskritische Wochenzeitung De Andere Krant (Die andere Zeitung) berichtete am 7. Juni, dass NATO und Regierung inzwischen eingeräumt haben, was sie zuvor bestritten hatten: dass sich verschiedenste niederländische Ministerien an NATO-Ziele halten müssten, deren Einzelheiten gegenüber Öffentlichkeit und Parlament geheim gehalten werden. Die Ziele beziehen sich darauf, die Gesellschaft wehrhaft gegen Störungen durch Gesundheitskrisen, Klimawandel, Naturkatastrophen, Infrastrukturausfälle und gesellschaftliche Verwerfungen zu machen.
Hintergrund ist, dass sich 2023 der damalige Ministerpräsident Mark Rutte und andere Regierungschefs der NATO-Mitgliedsstaaten auf dem Gipfel in Vilnius zur Umsetzung sogenannter Resilienzziele verpflichtet haben. Im Abschlusskommunique des Gipfels ist das erwähnt. Die Ziele wirken allerdings eher harmlos, weil sie nur sehr vage und allgemein formuliert sind. Es gibt jedoch, wie jetzt offiziell bestätigt wurde, ein geheimes Dokument, in dem die Ziele konkretisiert werden. Die NATO-Pressestelle teilte De Andere Krant mit, dass das Dokument, auf dessen Grundlage die Niederlande und andere NATO-Mitgliedsstaaten eine Resilienzpolitik verfolgen, „geheim“ sei.
Auch die niederländische Regierung räumt das nun ein. Auf Fragen des Abgeordneten der Partei Forum für Demokratie (FVD) Ralf Dekker schrieb die inzwischen zurückgetretene Ministerin Fleur Agema in einem Schreiben vom 2. Juni, auch im Namen von Ministerpräsident Dick Schoof (übersetzt):
„Die Tatsache, dass sich die Niederlande im Rahmen der NATO zu diesen Zielen verpflichtet haben, kommt im Kommuniqué des Vilnius-Gipfels zum Ausdruck. Die Resilienz-Ziele der NATO finden sich in einem zugrunde liegenden Dokument, das nicht öffentlich zugänglich ist. (…) Die Resilienzziele sind Leitlinien für die Mitgliedstaaten, und jedes Land ist dafür verantwortlich, sie durch seine nationale Politik zu konkretisieren. Unter der Koordination des NCTV (Nationaler Koordinator für Sicherheit und Terrorismusbekämpfung; NH) wurden die NATO-Resilienzziele von den Ministerien ausgearbeitet.“
Der Abgeordnete Pepijn van Houwelingen spricht in dem Bericht von einem „riesigen schwarzen Loch in unserer Demokratie“. Er betont, dass die Resilienzziele der NATO nicht auf militärische Angelegenheiten beschränkt sind, sondern zahlreiche Politikbereiche wie Klima und öffentliche Gesundheit umfassen. Mit einem Kabinett, das eine geheime Agenda verfolge, könne das Parlament seine Kontrollfunktion nicht richtig wahrnehmen. Die Zeitung berichtet, dass die Fraktion der FVD, der auch van Houwelingen angehört, zweimal eine Debatte beantragt haben. Die anderen Parteien hätten das aber abgelehnt.
Die anderen NATO-Staaten haben ebenfalls Resilienzpläne aufgestellt, und sich verpflichtet, in allen Politikbereichen, die die NATO für verteidigungsrelevant hält, die geheimen Resilienzziele zu verfolgen. Dazu gehört auch Deutschland.
Das NATO-Kommunique von Vilnius
Im Abschlusskommunique der NATO von Vilnius /Ziffer 61), lässt sich immerhin erkennen, wie umfassend die NATO-Ziele sind, und wie die dienende Funktion umgedreht wird. Nicht mehr das Militär hat der Gesellschaft zu dienen, sondern die Gesellschaft ist so zu gestalten, dass sie dem NATO-Militär maximale Unterstützung zuteil werden lassen kann. In den einschlägigen Passagen werden die Mitgliedsstaaten auf ihre „nationale Verantwortung und kollektive Verpflichtung“ aus Artikel 3 des NATO-Vertrags hingewiesen, alles zu tun, um „die eigene und die gemeinsame Widerstandskraft gegen bewaffnete Angriffe erhalten und fortentwickeln“ und weiter:
„Heute haben wir uns auf die Resilienz-Ziele des Bündnisses für 2023 geeinigt. Wir bauen auf der 2021 eingegangenen Verpflichtung zur Stärkung der Resilienz auf. Die Resilienzziele werden die Abwehrbereitschaft der NATO und der Bündnispartner gegen strategische Schocks und Störungen stärken.“
Die Ziele stärken die Abwehrbereitschaft gegen „strategische Schocks“, indem sie dazu beitragen „die zivile Unterstützung militärischer Operationen in Friedens-, Krisen- und Konfliktsituationen zu ermöglichen“. Damit also die Gesellschaft das Militär unterstützen kann, gilt die folgende Verpflichtung für die Regierungen:
„Die Bündnispartner werden sich bei der Entwicklung ihrer nationalen Ziele und Umsetzungspläne an diesen Zielen orientieren, die mit ihrem jeweiligen nationalen Risikoprofil im Einklang stehen. Wir werden auch darauf hinarbeiten, strategische Schwachstellen und Abhängigkeiten zu ermitteln und abzumildern, auch in Bezug auf unsere kritischen Infrastrukturen, Versorgungsketten und Gesundheitssysteme. Die Bündnispartner sollten auch die gesellschaftliche Resilienz fördern.“
Dass die geheimen Resilienzziele mit dem jeweiligen nationalen Risikoprofil in Einklang stehen sollen, lässt vermuten, dass jedes Land seine eigenen Vorgaben bekommt.
Kritische Infrastrukturen sind Einrichtungen, Anlagen und Systeme der (Ab-)Wasser-, Energie-, Transport-, Informations- und Telekommunikationsinfrastruktur sowie aus den Bereichen der Gesundheitsversorgung, der Ernährung, des Finanz- und Versicherungswesens, der Medien und Kultur sowie des Staates und der Verwaltung. Es gibt also kaum Grenzen für die Breite der Einmischung des Militärs in zivile Belange. Wenn alles von „direkter Relevanz“ für die Verteidigungsfähigkeit ist, kann sich das Militär nach der neuen NATO-Doktrin in alles einmischen.
Die Vorgabe, „gesellschaftliche Resilienz“ zu fördern ist ein Einfallstor für die NATO-Militärs in jeden Politikbereich, der kontrovers und wichtig ist. Als gesellschaftlich resilient gilt eine Nation, in der die (NATO-freundliche) Regierung die volle Untersützung oder mindestens verlässliche Duldung der Bevölkerung oder des Parlaments genießt. Dadurch wird jede wichtige politische Kontroverse mit Spaltungspotential, wie zum Beispiel Corona-Maßnahmen, Klimapolitik und Migration zu einem Thema für die zielsetzenden NATO-Militärs. Und natürlich – übergreifend – die Medienpolitik. Diese findet indirekt in Ziffer 64 Erwähnung, wo es heißt:
„Wir werden weiterhin gegen Desinformation und Fehlinformation vorgehen, unter anderem durch positive und effektive strategische Kommunikation. Wir werden auch weiterhin unsere Partner bei der Stärkung ihrer Widerstandsfähigkeit gegenüber hybriden Herausforderungen unterstützen.“
Das ist nicht nur die Begründung dafür, sondern auch die Einräumung, dass Militär und Geheimdienste bei der Bekämpfung sogenannter Desinformation im Hintergrund die Fäden ziehen.
Dass die Militärs es nicht bei der Aufstellung unverbindlicher Ziele belassen, sondern sich durchaus im Führerhaus sehen, wenn es darum geht, die Gesellschaften der Mitgliedsländer so zu gestalten, dass sie die Militärs optimal unterstützen, wird auch aus einem NATO-Text zur Resilienz von November 2024 deutlich. Darin wird Resilienz definiert als „individuelle und kollektive Fähigkeit, sich auf Schocks und Störungen vorzubereiten, ihnen zu widerstehen, auf sie zu reagieren und sich von ihnen rasch zu erholen sowie die Kontinuität der Aktivitäten des Bündnisses zu gewährleisten“, und weiter:
„Die zivile Bereitschaft ist ein zentraler Pfeiler der Widerstandsfähigkeit der Bündnisstaaten und ein entscheidender Faktor für die kollektive Verteidigung des Bündnisses, und die NATO unterstützt die Bündnisstaaten bei der Beurteilung und Verbesserung ihrer zivilen Bereitschaft.“
„Die NATO unterstützt“ dürfte ein Euphemismus für Einmischung sein. Die dienende Rolle der EU bei der Durchsetzung der NATO-Ziele wird deutlich, wenn es im Kommunique von Vilnius heißt:
„Während wir unsere Bemühungen um den Aufbau von Resilienz verstärken, werden wir weiterhin mit unseren Partnern zusammenarbeiten, die ähnliche Anstrengungen unternehmen, insbesondere mit der Europäischen Union, um den euro-atlantischen Raum und unsere Nachbarschaft im weiteren Sinne sicherer zu machen.“
Begründet hat die NATO die zunehmende Einmischung in zivile Belange im Vorläufertext über die Resilienz von 2023 – etwas verbrämt – mit der zunehmenden Bedrohung der globalen Vorherrschaft der USA durch China, Russland und das BRICS-Bündnis:
„Die geostrategische und militärische Umverteilung von Macht erfordert eine kontinuierliche Umgestaltung des militärischen Machtinstruments der NATO sowie eine Vereinheitlichung der militärischen und nichtmilitärischen Fähigkeiten aller NATO-Mitgliedstaaten. Die Widerstandsfähigkeit des Bündnisses ergibt sich aus einer Kombination von ziviler Bereitschaft und militärischen Fähigkeiten. In diesem Zusammenhang trägt die zivile Bereitschaft unmittelbar zur Verteidigungsbereitschaft der NATO bei.“
Vilnius war nicht das erste Mal, dass derartige Selbstverpflichtungen abgegeben wurden. Im Kommunique von Vilnius heißt es: „Wir bauen auf der Selbstverpflichtung zur Stärkung der Resilienz von 2021 auf.“ Im Dokument zu dieser Selbstverpflichtung steht unter anderem, die Corona-Krise habe die Wichtigkeit von zivil-militärischem Engagement und Kooperation gezeigt und die lebenswichtige Rolle demonstriert, die das Militär bei der Unterstützung der Gesellschaften spiele. Daraus ziehe man Schlüsse, die die Vorbereitung und Reaktion auf künftige Krisen leiten sollen.
Die Selbstverpflichtung von 2021 mündete in das „NATO 2022 Strategic Concept“ von Juni 2022, das die Formulierungen weitgehend vorwegnimmt, die im Abschlusskommunique von Vilnius stehen, und zu denen es die geheimen Zielvorgaben für die Regierungen von der NATO gibt.
Das NATO-Gremium, das für die „Unterstützung“ der Bemühungen der Regierungen um Resilienz ihrer Gesellschaften zuständig ist, wurde 2022 gegründet und heißt Resilience Committee (RC). Über dieses erfährt man auf einer Netzseite der NATO:
„Das RC ist für die strategische und politische Ausrichtung, die Planungsleitlinien und die allgemeine Koordinierung der Resilienzaktivitäten der NATO verantwortlich, wie sie in der Selbstverpflichtung zur Stärkung der Resilienz 2021, in der NATO-Agenda 2030 und im „Strategischen Konzept 2022″ festgelegt sind.“
Die starke Stellung des RC ist daran ersichtlich, dass es direkt dem höchsten Entscheidungsgremium der NATO, dem Nordatlantikrat, untersteht. Es legt die Prioritäten für die Resilienzaktivitäten innerhalb des Bündnisses fest und setzt die Ziele der NATO in konkrete Maßnahmen und Leitlinien um. Es legt Resilienzziele fest, mit denen die auf nationaler Ebene entwickelten Resilienzziele und die entsprechenden Umsetzungspläne „gesteuert“ werden und überwacht die Umsetzung. Es stellt sicher, dass dabei jeweils die ganze Regierung, also alle Ministerien, und die ganze Gesellschaft einbezogen werden und erteilt „einschlägigen politisch-militärischen Rat“. Das RC kommt wöchentlich „in permanenter Sitzung“ zusammen, mutmaßlich im NATO-Hauptquartier in Brüssel.
Das RC hat sechs spezialisierte Planungsgruppen, die die Empfehlungen für ihre jeweiligen Politikbereiche aussprechen. Eine Planungsgruppe für zivile Kommunikation erarbeitet zum Beispiel die Richtlinien für den Kommunikationssektor, vermutlich einschließlich der digitalen und sonstigen Medien. Eine Energieplanungsgruppe mischt sich in die Energiepolitik ein, um nachhaltige Energieversorgung sicherzustellen. Das beinhaltet sicherlich die Vorgabe, sich von billiger russischer Energie unabhängig zu machen und lieber amerikanisches Flüssiggas zu beziehen.
Die Planungsgruppe für Ernährung und Landwirtschaft kümmert sich um das Mitregieren in der Ernährungs- und Wasserversorgungspolitik. Eine Gemeinsame Gesundheitsgruppe sorgt dafür, dass die Regierungen im Sinne der NATO richtig mit Gesundheitskrisen umgehen und die Gesundheitssysteme mit kriegsbedingten Opfermassen umgehen können. Die Transportgruppe liefert die Vorgaben für die militärische Ertüchtigung der Verkehrsinfrastruktur und Verkehrssysteme.
Die Bundesregierung liefert
Deutschland hat seit Juli 2022 eine „Resilienzstrategie“. Offenkundig fand man den Bezug zu den NATO-Vorgaben heikel. Deshalb verwies man bei der Vorstellung der Resilienzstrategie lieber auf die Flutkatastrophe im Ahrtal vom Vorjahr und auf eine UN-Vereinbarung von 2015, das „Sendai-Rahmenwerk für Katastrophenvorsorge“, als auf eine Verpflichtung gegenüber der NATO. Dabei ist letztere ganz offensichtlich der wahre Grund für die Resilienzinitiative Berlins, was man leicht an der an die NATO-Dokumente erinnernde Wortwahl und am Verweis auf eine Bedrohung durch Russland sieht.
Wer sich allerdings bis Seite 20 der Resilienzstrategie durchkämpft, oder die Suchfunktion nutzt, erfährt dann doch noch, dass das alte Sendai-Rahmenwerk keinesfalls der Anlass für den Resilienzeifer der Bundesregierung war:
„Durch die Verschränkung zwischen Katastrophenschutz und Zivilschutz, steht die Umsetzung des Sendai Rahmenwerks zudem in Zusammenhang mit der Steigerung der Resilienz gegenüber Risiken mit sicherheitspolitischer Dimension, zu denen in der Europäischen Union (EU) und der North Atlantic Treaty Organization (NATO) mit dem Strategischen Kompass der EU (2022), dem Strategischen Konzept der NATO (2022) sowie zwei Selbstverpflichtungen der Staats- und Regierungschefs der NATO zur Resilienzsteigerung von 2016 und 2021 ein umfassender konzeptioneller Rahmen geschaffen wurde.“
Da man jedoch über die geheimen Resilienzziele der NATO nichts sagen darf, beschränkt man sich im Abschnitt 2.5. über „Die Zusammenarbeit in und mit der EU sowie in der NATO“ in Sachen NATO auf den einen Satz: „Über das Euro-Atlantic Disaster Response Coordination Centre (EADRCC) bietet auch die NATO eine Koordinierungsplattform für Hilfeleistungen in Katastrophenfällen.“
Dabei ist weiter hinten im Dokument der Abschnitt 3.11. zu „Zivile und militärische Verteidigung“ gleichauf mit „Bauwesen und Raumordnung“ der längste zu den konkreten Politikbereichen. (Nimmt man Abschnitt 3.16. zu den „kritischen Infrastrukturen“ hinzu, ist er sogar mit Abstand der längste.)
Hier findet man ab Seite 56 schließlich doch noch die ebenso wichtigen wie heiklen Passagen in Sachen NATO und Militär, vor denen vorne und bei der Vorstellung der Strategie so gar keine Rede war. Unter dem Stichwort Enablement (Befähigung) wird die „Einbettung und Abstimmung nationaler Maßnahmen in bzw. mit NATO und EU“ propagiert. Es gelte, „nach innen gerichtet die von NATO und EU erwarteten, die Bündnisverteidigung unterstützenden Fähigkeiten aufzubauen und zu gestalten“. Die Verflechtung des Military Enablements mit dem Bereich der Civil Preparedness (Zivilschutz) spiegele diesen „gesamtstaatlichen bzw. -gesellschaftlichen Aspekt wider“.
Die nationalen und internationalen Netzwerke der zivil-militärischen Zusammenarbeit sollen gefördert und an neue Risiken (Russland; N.H.) angepasst und „Sicherheitspartnerschaften “ zwischen Staat, Wirtschaft und Wissenschaft intensiviert werden. Außerdem will die Regierung „die Kooperation mit der NATO im Sinne des 2021 erneuerten Resilienz-Versprechens „Strengthened Resilience Commitment“ weiter vertiefen“. Dazu gehört auch die zivile Infrastruktur zur Unterstützung von Verlegungen von Truppen und Gerät der NATO zu ertüchtigen.
Unter Punkt 3.16 erfährt man außerdem, dass die kritischen Infrastrukturen auch noch von Produkten und Dienstleistungen weiterer Bereiche abhängig seien, „die zugleich auch eine wichtige Rolle für die innere und äußere Sicherheit Deutschlands spielen“. Das Potential für Einmischung der Militärs erstreckt sich also noch über die ohnehin lange Liste der kriegswichtitgen Infrastrukturen hinaus auf alles, was wiederum für diese Infrastrukturen wichtig ist.
Mit ihren geheim gehaltenen Richtlinien könnte die NATO also auf all diese Politikbereiche und gesellschaftlichen Gruppen, bis hin zu Wissenschaft und Medien direkt oder indirekt Einfluss nehmen. In welchem Umfang und mit welcher Eingriffstiefe sie es tatsächlich tut, können wir wegen der Geheimhaltung nicht genau wissen, aber anhand von Beispielen wie den oben genannten und den folgenden erahnen.
Die Vorgänge im Bundestags-Wahlkampf und vor der Einsetzung der neuen Regierung nähren den Verdacht, dass die Einwirkung auf die deutsche Politik sehr intensiv sein könnte. Immerhin hat die CDU einen Wahlkampf gegen eine Aufweichung der Schuldenbremse geführt, nur um nach der Wahl, noch mit der alten Bundestagsmehrheit, die Schuldenbremse durch Sonderschulden abseits des Haushalts in bisher nicht gekanntem Ausmaß von vielen Hundert Milliarden Euro zugunsten der Aufrüstung und der Infrastrukturinvestitionen zu beschließen, ausdrücklich auch zum Zwecke der Ertüchtigung der militärisch relevanten Infrastruktur.
Die Vorgänge in Rumänien und Frankreich lassen vermuten, dass das Ziel der Bewahrung des NATO-Bündnisses vor Resilienzzersetzung durch polarisierende Diskussionen und (angebliche) ausländische Einmischung in Wahlen über die Maßen ernst genommen wird. In Rumänien wurde der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl aufgrund des Sieges eines NATO-feindlichen Kandidaten nach Drohungen aus den USA annuliert und dieser vom zweiten Wahlgang ausgeschlossen, ohne dass irgendwelche Beweise für Regelverletzungen vorgelegt worden wären. Es gibt Berichte über Einmischung auch der französischen Regierung und deren Geheimdienst in diese Wahl. Auch in Polen mischten sich EU und NATO durch Finanzierung von Propaganda gegen Regierungskritiker in den Wahlkampf ein.
In Frankreich wurde der aussichtsreichen Präsidentschaftkandidatin der Rechten, Marine Le Pen, von einem Verfassungsrat unter regierungsnahem Vorsitz das Recht zu kandidieren entzogen, ohne wie üblich auf die Bestätigung oder Rücknahme des Urteils im Revisionsverfahren zu warten. Der Grund: Das Allerweltsvergehen der Zweckentfremdung von für die parlamentarische Arbeit bestimmten EU-Mitteln. Wenn man überall so vorgehen würde, wäre wohl der halbe Bundestag und mehr als das halbe EU-Parlament nicht mehr wählbar.
Es gibt noch reichlich mehr Beispiele für die Einmischung der Militärs. So sitzt im Aufsichtsrat der auf EU-Initiative gegründeten Deutsch-österreichischen Beobachtungsstelle für digitale Medien (GADMO), die Faktenchecker koordiniert und unterstützt, eine Vertreterin der britischen und US-Militärs. Diese hat für das US-Militär das Koordinations- und Klassifikationsinstrument entwickelt, mit dem die Tätigkeit der Faktenchecker länderübergreifend gesteuert sowie untereinander und mit den Behörden vernetzt wird.
Trojanisches Pferd Infrastrukturinvestitionen
In Den Haag soll auf dem NATO-Gipfel der Vorschlag von Nato-Generalsekretär Mark Rutte beschlossen werden. Dieser hat vorgeschlagen, dass die NATO-Regierungen das von den USA den Europäern abverlangte Rüstungsausgabenziel von 5% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) erreichen können sollen, indem sie die Verteidigungsausgaben auf 3,5% erhöhen und zusätzlich 1,5% des BIP für „verteidigungsbezogene Ausgaben“ aufwenden sollen.
Wenn das wie erwartet beschlossen wird, wird das Tor für die Einmischung der NATO in das nationale Regierungshandeln noch weiter geöffnet. Denn die Regierungen haben dann den Anreiz – und wie oben gesehen auch die Möglichkeit – einen sehr großen Teil ihrer Infrastrukturausgaben als militärrelevant zu deklarieren. Auch Ausgaben für Inhaltekontrolle auf den sozialen Medien, zum Beispiel durch Förderprogramme für Faktenchecker und vertrauenswürdige Hinweisgeber sind nach der weiten Definition der NATO verteidigungsrelevant.
Wenn Ausgaben für bestimmte staatliche Tätigkeiten und Programme auf das NATO-Ausgabenziel angerechnet werden sollen, haben die Militärs allen Grund mit Vorgaben für diese Tätigkeiten und Programme am nationalen Regierungshandeln mitzuwirken. Das dürfte uns weiterhin verheimlicht werden, wenn sich nicht endlich politischer Druck gegen diesen Skandal aufbaut.
Dass das Regieren am Parlament vorbei in militärrelevanten Dingen zunehmend zur Norm wird, sieht man auch am aktuellen Streit des EU-Parlaments mit der Kommission. Die Kommission hat ein 150-Mrd.-Euro Kreditpaket für die gemeinsame Beschaffung von Rüstungsgütern per Notstandsklausel am Parlament vorbei auf den Weg gebracht. Der EU-Rat der Regierungen hat zugestimmt. Das Parlament droht immerhin mit Klage. Ich fürchte allerdings der zahnlose Tiger, der bisher noch jede demokratiefeindliche Zumutung von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen mit etwas Murren weggesteckt hat, wird sich umstimmen lassen.
Fazit und Handlungsmöglichkeiten
Man wird versuchen die Geheimhaltung der Details für das Mitregieren der NATO in zivilen Angelegenheiten mit der Notwendigkeit zu begründen, die Feinde der NATO darüber im Dunkeln zu lassen, wie genau man seine zivile Wirtschaft und Gesellschaft kriegstüchtig macht. Wenn die Bedrohung tatsächlich so groß wäre, dass das nötig wäre – was ich sehr stark bezweifle – müsste man konsequenter Weise die Demokratie aussetzen und zum Notstandsrecht übergehen. So zu tun, als hätten die gewählten Parlamente die Macht, während tatsächlich nebenher das Militär den Regierungen Vorgaben macht, von denen Bürger und Parlament nichts wissen dürfen, ist nicht zu rechtfertigen.
Parlamentarier können ihr Fragerecht nutzen und die Regierung nötigen, über die geheimen NATO-Ziele Auskunft zu geben. Bürger und Vertreter von unabhängigen Bürgerorganisationen könnten es mit Informationsfreiheitsanfragen versuchen. Außerdem können sie über die Netzseite Frag den Staat Abgeordnete und Funktionsträger öffentlich zu der Thematik befragen.