Gefahr einer Blase
Bank-Experte warnt vor Goldrausch der Anleger
Von Frank Stocker 15. Februar 2010, 07:44 Uhr
Anleger flüchten aus Angst vor Inflation und Staatsbankrotten in das Edelmetall. Doch das ist für Klaus Holschuh, Chefvolkswirt der DZ-Bank, Unsinn. Er sieht eine Blase beim Preis für die Feinunze.
Am meisten ärgert er sich aber über diejenigen, die den Goldstandard wieder einführen wollen.
Zahlen und Statistiken sind die Welt von Klaus Holschuh.
Praktisch jede volkswirtschaftliche Rechengröße kennt der Chefvolkswirt der DZ Bank bis auf die Stelle hinter dem Komma.
Kein Wunder also, dass ein
analytisch denkender Mensch wie er einem Rohstoff wenig abgewinnen kann, der von Mythen umrankt ist und der im realen Wirtschaftsleben, also der Industrieproduktion, kaum eine Verwendung hat.
Mit abfälliger Mine spricht er von Gold meist nur als dem Metall, "aus dem man Schmuck und Ziermünzen" macht.
Doch Holschuh hat auch gute Argumente auf seiner Seite, warum Anleger Investments in Gold lieber meiden sollten.
Er stellt sich damit gegen einen Großteil der Vermögensverwalter, aber auch gegen viele verunsicherte Anleger, die glauben, Gold biete Sicherheit.
Vor allem aber nerven ihn jene Systemkritiker, die am liebsten zu einem Goldstandard als Basis unseres Währungssystems zurückwollen.
WELT ONLINE: Nehmen Sie mal!
Klaus Holschuh: Ah, eine Goldmünze ... eine kanadische...
WELT ONLINE: Und was fühlen Sie?
Holschuh: Etwas kalt.
WELT ONLINE: Sonst nichts? Kein Gefühl von Sicherheit?
Holschuh: Nein, damit kann ich leider nicht dienen.
WELT ONLINE: Nun gut, auf der emotionalen Schiene scheint Gold bei Ihnen nicht zu wirken.
Dann versuchen wir es mal auf der rationalen.
Das Haushaltsdefizit in den USA beträgt zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die Verschuldung liegt bei 88 Prozent des BIP beziehungsweise 300 Prozent des Steueraufkommens.
In Japan liegt die Verschuldung bei 200 Prozent des BIP - ich könnte die Horrorzahlen endlos weiterführen.
Da muss es doch über kurz oder lang zur Inflation kommen.
Und dann hilft nur noch Gold.
Holschuh: Damit wird gerne argumentiert, um den steigenden Goldpreis zu rechtfertigen.
Wir können aber recht gut ausrechnen, mit welchen Inflationsraten die Anleger tatsächlich rechnen.
Das geht über die Kursentwicklung der sogenannten inflationsindexierten Anleihen.
Diese Anleihen garantieren einen festen Zins, zuzüglich zur aktuellen Inflationsrate.
Anhand ihrer Kurse kann man daher errechnen, was Anleger bei der Preisentwicklung erwarten. Und da zeigt sich:
Die Inflationserwartungen sind ein wenig gestiegen, allerdings viel, viel weniger als der Goldpreis.
WELT ONLINE: Vielleicht ist es ja nicht nur die Furcht vor Inflation, die Anleger in Gold treibt. Vielleicht ist es auch die Angst vor einem Finanzkollaps, wie wir ihn 2008 fast erlebt haben.
Holschuh: Gold soll also als Schutz vor Krisen dienen.
Dann müsste der Goldpreis aber in der Hochphase der Finanzkrise gestiegen und anschließend mit der Entspannung auf den Finanzmärkten wieder gefallen sein. Das Gegenteil war aber der Fall.
Der Preis fiel Ende 2008 und stieg dann das ganze Jahr 2009 hindurch wieder an.
WELT ONLINE: Und warum tat er das dann Ihrer Meinung nach?
Holschuh: Das ist eben das Spiel von Angebot und Nachfrage.
Es gibt offenbar so viel Liquidität auf der Welt, dass es für viele Anleger attraktiv ist, einen Teil in Gold zu investieren, obwohl es keine Zinsen gibt. Außerdem sind die Zinsen derzeit so niedrig, dass diese Tatsache ebenfalls nicht stark ins Gewicht fällt.
Und schließlich gibt es neue Käuferschichten in Indien, China und den arabischen Staaten, wo Gold traditionell einen hohen Stellenwert hat.
WELT ONLINE: Na also, das spricht doch alles für einen weiter steigenden Goldpreis. Man sollte also investieren.
Holschuh: Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht.
Das entscheidende Problem bei Gold ist, dass ich nicht feststellen kann, was es wirklich wert ist. Und daher kann ich nicht sagen, ob der Preis zu hoch oder zu niedrig ist.
Bei anderen Metallen kann man den fundamentalen Wert herausfinden, weil es eine Kostenstruktur gibt.
Bei Gold kennt man zwar die Kosten für die Förderung - gegenwärtig etwa 480 Dollar je Feinunze -, die haben jedoch fast nichts mit dem aktuellen Goldpreis zu tun.
Denn nur ein Prozent des Goldhandels wird von neu gefördertem Gold abgedeckt, der Rest ist vorhandenes Gold, in Barren, zudem alter Schmuck, alte Münzen, Zahngold.
Das wird eingeschmolzen und wieder verwendet.
99 Prozent des Goldmarktes hängen also davon ab, dass vorhandenes Gold hin und her geschoben wird.
Und daher gibt es keinen fairen Bewertungsmaßstab, was Gold eigentlich wert ist.
Das ist bei Silber ganz anders. Wenn da die Produktionskosten steigen, dann steigt der Silberpreis, weil ein großer Teil des Silbers in der Industrieproduktion verbraucht wird.
Und wenn es um Aktien geht, dann ist das vollkommen anders.
Da kann man das Kurs-Gewinn-Verhältnis, das Kurs-Cashflow-Verhältnis, Dividendenrendite und viele andere Parameter errechnen und sich so ein Bild davon machen, ob eine Aktie teuer oder billig ist.
WELT ONLINE: Aber selbst Notenbanken wie jene von Indien oder China kaufen mittlerweile wieder Gold. Also muss doch irgendetwas dran sein an diesem Edelmetall.
Holschuh: Ja, einige Notenbanken kaufen, aber andere verkaufen auch Gold, weil sie nicht wissen, was sie mit dem angestaubten Metall in ihren Kellern machen sollen.
WELT ONLINE: Vielleicht sollten sie es als Basis für ein neues Weltwährungssystem nutzen.
Das jetzige System hat uns ja gerade an den Rand des Abgrunds gebracht. Bei einer Rückkehr zum Goldstandard wäre die Geldmenge eines Landes an dessen Goldreserven gebunden, und die Notenbank könnte die Geldmenge nicht mehr willkürlich aufblähen.
Eine Kreditblase wie zuletzt gäbe es nicht mehr.
Holschuh: Solche Ideen werden aus dem Mythos gespeist, dass in den guten alten Zeiten mit Goldstandard die Welt in Ordnung und stabil war. Man sieht dabei aber immer nur die positiven Folgen des Goldstandards, nicht jedoch die negativen.
Das grundsätzliche Problem des Goldstandards ist, dass man die Geldmenge daran bindet, wie viel Gold zufällig gerade in den Tresoren der Notenbank liegt.
Wächst die Goldmenge, kann die Geldmenge und damit die Wirtschaft wachsen, schrumpft dagegen die Goldmenge, schrumpft auch die Wirtschaft.
Man bindet die Wirtschaftsentwicklung an ein Gut, dessen Bestand völlig willkürlich ist. Als etwa im 16. Jahrhundert viel Gold aus Südamerika nach Europa kam, verdoppelte sich die Geldmenge, und das führte zu Inflation. Umgedreht sank 1859 im Golf von Mexiko ein Dampfer mit rund 1,5 Tonnen Gold an Bord. Dies führte in den folgenden Jahren in den USA zu einer Verknappung des Geldes und zu einer kräftigen Rezession.
WELT ONLINE: Wir leben aber im 21. Jahrhundert. Heute wird man ja wohl Mittel und Wege finden, dass ein sinkendes Schiff nicht gleich die gesamte Wirtschaft in den Strudel reißt.
Holschuh: Gegen das Problem des Hortens kann man auch heute nicht viel tun. Wenn die Menschen, aus welchen Gründen auch immer, anfangen, Gold zu horten und Gold damit zu verknappen, dann müsste damit auch die Geldmenge sinken, und das würde die Wirtschaft in eine Depression stürzen.
Das war übrigens zu Zeiten des Goldstandards auch immer wieder der Fall. In den USA gab es damals praktisch alle zehn Jahre eine ausgeprägte Deflation und Depression. In solchen Phasen konnte die Wirtschaftsleistung glatt um ein Drittel einbrechen, nur weil die Goldmenge sich verringerte.
Auch in Deutschland gab es Deflationen in den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts, nach 1875, um 1890 sowie Anfang des 20. Jahrhunderts. Dagegen gibt es in Epochen ohne Goldstandard keine Deflationserfahrungen.
Das japanische Beispiel ist auch keines, denn da gab es im vergangenen Jahrzehnt mal zwei oder drei Jahre mit leicht sinkenden Preisen. Das ist aber keine Deflation, bei der die Preise um zehn, 20, 30 Prozent fallen.
Deflation und Goldstandard gehören zusammen.
ONLINE: So, wie unser Währungssystem und Inflation zusammengehören.
Holschuh: Wir haben derzeit kein Inflationsproblem.
Das hatten wir in den 70er-Jahren, damals war aber der explodierende Ölpreis die Ursache.
Seit den 80ern haben wir kein Inflationsproblem mehr.
WELT ONLINE: Bei Waren. Bei Vermögenswerten wie Aktien und Immobilien hatten wir das aber durchaus.
Holschuh: Und auch bei Gold. Der Preis ist in den vergangenen Jahren kräftig gestiegen. Bei Aktien und Immobilien können wir das aber ins Verhältnis zum fundamentalen Wert setzen, über die genannten Parameter.
Bei Gold geht das nicht.
Vielleicht haben wir ja derzeit bei Gold auch eine Blase.
Niemand kann das bewerten. Und genau deshalb halte ich nichts von Gold als Investment. Mich irritiert zudem die steigende Investmentnachfrage privater Anleger bei Gold. So etwas hatten wir auch 2008 bei Rohöl, gefolgt von einem Preissturz.
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
(Albert Einstein, 1879–1955)