ABENDBLATT: Das Aktienvermögen der amerikanischen Privatanleger ist im vergangenen halben Jahr um zwei Billionen Dollar geschrumpft. Das übersteigt das deutsche Bruttosozialprodukt. Wie sollen Anleger wieder Vertrauen finden und Aktien kaufen?
RALPH ACAMPORA: Die Stimmung ist wahrlich am Boden und bereitet mir Sorgen. In den letzten Jahren haben wir Aktiengewinne von mindestens dreißig Prozent als ein fundamentales Grundrecht angesehen. Aber so funktionieren die Märkte nicht. Die Börse ist nicht Las Vegas.
ABENDBLATT: Ist gar keine Besserung in Sicht?
ACAMPORA: Wir sind gerade dabei, drei Lektionen zu lernen. Erstens: Es gibt auch ein Leben ohne Yahoo im Depot. Zweitens: Es gibt sogar Aktien, die selbst in schlechten Zeiten steigen, aber wir kennen sie meist nicht, weil sie uns bislang als Langweiler erschienen. Und drittens reicht es nicht mehr, morgens durchs Frühstücksfernsehen zu zappen und die Aktientipps der Moderatoren zu ordern. Das kann schon am Abend böse enden.
ABENDBLATT: War es nicht vor allem das Heer der Analysten, das mit immer gewagteren Empfehlungen den weltweiten Aktienwahn zum Kochen gebracht hat?
ACAMPORA: Fast alle Analysten, und ich nehme mich da als Charttechniker nicht aus, haben 2000 mächtig danebengelegen. Den Kollaps der Technologie- und Internettitel, der Niedergang der Nasdaq um sechzig Prozent seit März 2000 hat in dieser Form niemand vorausgesagt. Doch seien wir ehrlich: Wir hatten auch eine verdammt gute Zeit. Von April 1998 bis März 2000 hat der Dow Jones um fast ein Drittel zugelegt, der Nasdaq Composite sogar um 150 Prozent.
ABENDBLATT: Ist das Schlimmste schon überstanden?
ACAMPORA: Ich fürchte nicht. Dow und Nasdaq können kurzfristig zwar nach oben marschieren, aber ich bin sicher, dass die beiden wichtigsten Indizes der Old und New Economy den Boden noch nicht gesehen haben.
ABENDBLATT: Wie weit werden sie denn noch fallen?
ACAMPORA: Der Dow kann in diesem Jahr noch bis auf 8000 Punkte sinken. Und der Nasdaq bis auf 1400 Punkte.
ABENDBLATT: Und mit welchen Höchstständen rechnen Sie für 2001?
ACAMPORA: Beim Dow mit 11 000 Punkten, beim Nasdaq mit 3500 Punkten.
ABENDBLATT: Wenn die 30 US-Standardwerte tatsächlich auf 8000 Punkte sinken, dann geht es auch der alten Wirtschaft schlecht. Wie passt das zu Ihrer These, der amerikanische Aktienmarkt sei noch immer ein Megamarkt?
ACAMPORA: Auch Megamärkte brauchen auf dem Weg zum Gipfel dann und wann ein reinigendes Gewitter. Ohne Schwächeperioden kein außergewöhnlicher Aufschwung! Das bestätigen alle drei vorherigen Megamärkte: Der erste nach dem Bürgerkrieg mit fantastischen Gewinnen bei Aktien von Eisenbahnausrüstern (1877 bis 1891). Der zweite nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Boom der Autotitel (1921 bis 1929). Und der dritte nach dem Zweiten Weltkrieg, als Computerhersteller im Schnitt mehr als 34fach zulegten (1949 bis 1966). Für den vierten Megamarkt ist der aktuelle Kursrückgang also notwendig und normal. Bärenmärkte sind nicht fatal, sondern vernichten Übertreibungen.
ABENDBLATT: Sie sind also immer noch der Bulle von der Wall Street, Mister Dow 20 000?
ACAMPORA: Ich bin ein vorsichtiger Bulle. Dieser Megamarkt begann 1994 und hat noch fünf bis zehn Jahre vor sich. Bis 2011 wird der Dow sicherlich 20 000 Punkte knacken - das wäre pro Jahr sechs bis sieben Prozent. Ich sage aber nicht, dass dies ein kontinuierlicher Prozess ist. Es könnte auch auf 8000 Punkte gehen und dann hoch auf 20 000.
ABENDBLATT: Was raten Sie Anlegern für 2001?
ACAMPORA: Megamärkte leben nicht von einem Sektor allein. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in der erfolgreichen Rotation zur rechten Zeit: Weg mit überbewerteten - wir Techniker sagen überkauften - Werten und Sektoren, hin zu unterbewerteten, also überverkauften. Die Ära der Einfältigkeit ist vorbei. Eine Yahoo-Aktie kann leicht unter zehn Dollar fallen und sich genauso leicht verdoppeln. Ihr altes Hoch von 240 Dollar wird sie aber lange, lange nicht mehr sehen. Besser als Dot.com-Titel gefallen mir Chemie-, Auto- und Umweltwerte.
ABENDBLATT: Konkreter?
ACAMPORA: Interessant sind unterbewertete Unternehmen mit Substanz, guten Aussichten und starkem Management. Die Aktie sollte seit dem Hoch die Hälfte verloren und schon mindestens drei Monate vom Tiefststand entfernt sein. Stark im Kommen sind Ford, General Motors und der weltgrößte Baumaschinenhersteller Caterpillar. Aber auch der Telefongigant AT & T ist 40 Dollar vom Hoch entfernt.
ABENDBLATT: Und welche Werte missfallen Ihnen?
ACAMPORA: Intel, Cisco, American Express und General Electric.
ABENDBLATT: Was halten Sie von der Deutschen Telekom?
ACAMPORA: Meiden Sie diesen Wert. Die Märkte leiden darunter, dass der Aufschwung von wenigen Dickschiffen wie Telekom-Titeln getragen wurde. Seit Mitte Januar aber hat sich dieser Trend erstmals seit zwei Jahren umgekehrt. Der Markt wird wieder breiter - eine gute Zeit für Werte aus der zweiten Reihe.
ABENDBLATT: Verraten Sie uns bitte eine Spezialität!
ACAMPORA: American Standard, ein Hersteller von Waschbecken und Kloschüsseln: ein fantastischer Chart, gute Zahlen und eine nie versiechende Auftragslage.
Interview: ANDREAS SCHMIDT/SAD
RALPH ACAMPORA: "Das Schlimmste kommt noch"
Moderator: oegeat
Der Bulle aus New York
Auf seinem Schreibtisch steht ein Geschenk, das ihm der mächtige Boss der New York Stock Exchange persönlich überreicht hat: Bulle und Bär, eine Bronzestatue, Sinnbild für Aufschwung und Abschwung an den Märkten. Der Bär liegt auf dem Rücken und beißt dem über ihm thronenden Bullen in den Nacken.
Rechtzeitig zu erkennen, wie gefährlich dieser Bärenbiss ist - also ob ein Abschwung folgt -, ist seit mehr als 30 Jahren Job von Ralph ACAMPORA (59), einem der weltweit bekanntesten Aktien-experten.
ACAMPORAs Methode ist die technische Chartanalyse; sein Werkzeug besteht aus Lineal und Bleistift, mit denen er auf Millimeterpapier Linien, Kurven und Dreiecke zeichnet. Nur historische Kursverläufe, sagt der Chefanalyst von Prudential Securities (fünftgrößter US-Broker, mit einem verwalteten Kundenvermögen von 270 Milliarden Dollar) geben richtige Prognosen für die Zukunft.
Berühmt wurde der "Bulle von der Wall Street" durch zwei Stu-dien, die Mitte der 90er weltweit für Kopfschütteln sorgten: "Dow 7000" und "Dow 10 000" - auf die genannten Punktstände sollte der wichtigste Börsenindex innerhalb weniger Jahre steigen. ACAMPORA hatte mit seinen Vorhersagen nicht nur Recht; seine Ziele wurden früher erreicht und stark übertroffen. Bis 2011 rechnet der studierte Theologe und Historiker nun damit, dass der Dow Jones auf 20 000 Punkte steigt. (as/SAD)
Auf seinem Schreibtisch steht ein Geschenk, das ihm der mächtige Boss der New York Stock Exchange persönlich überreicht hat: Bulle und Bär, eine Bronzestatue, Sinnbild für Aufschwung und Abschwung an den Märkten. Der Bär liegt auf dem Rücken und beißt dem über ihm thronenden Bullen in den Nacken.
Rechtzeitig zu erkennen, wie gefährlich dieser Bärenbiss ist - also ob ein Abschwung folgt -, ist seit mehr als 30 Jahren Job von Ralph ACAMPORA (59), einem der weltweit bekanntesten Aktien-experten.
ACAMPORAs Methode ist die technische Chartanalyse; sein Werkzeug besteht aus Lineal und Bleistift, mit denen er auf Millimeterpapier Linien, Kurven und Dreiecke zeichnet. Nur historische Kursverläufe, sagt der Chefanalyst von Prudential Securities (fünftgrößter US-Broker, mit einem verwalteten Kundenvermögen von 270 Milliarden Dollar) geben richtige Prognosen für die Zukunft.
Berühmt wurde der "Bulle von der Wall Street" durch zwei Stu-dien, die Mitte der 90er weltweit für Kopfschütteln sorgten: "Dow 7000" und "Dow 10 000" - auf die genannten Punktstände sollte der wichtigste Börsenindex innerhalb weniger Jahre steigen. ACAMPORA hatte mit seinen Vorhersagen nicht nur Recht; seine Ziele wurden früher erreicht und stark übertroffen. Bis 2011 rechnet der studierte Theologe und Historiker nun damit, dass der Dow Jones auf 20 000 Punkte steigt. (as/SAD)