Kolumne
von Wolfgang Münchau -
In der Wutfalle
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Uns drohen soziale Unruhen. Egal, was die Regierung gegen die Krise tut: Irgendjemand leidet immer.
Wenn man als Ausgewanderter Deutschland besucht, fällt auf, dass die Finanzkrise hierzulande völlig anders wahrgenommen wird als im Ausland. Insbesondere wenn man nach Berlin reist, hat man das Gefühl, ein Paralleluniversum zu betreten. Während man sich dort um Religionsunterricht streitet, wütet im Rest der Welt die größte Wirtschaftskrise seit 70 Jahren und stimuliert Debatten und Kommentare.
Es ist richtig, dass in unserer Hauptstadt, einer Industriewüste, in der Beamte, Diplomaten, Journalisten und Hartz-IV-Empfänger eine Mehrheit bilden, die Abhängigkeit von Konjunkturzyklen geringer ist als anderswo. Aber auch der Dienstleistungssektor wird letztlich von einer schweren Wirtschaftskrise getroffen. Später als die Industrie zwar und vielleicht nicht ganz so stark - aber dafür ist der Dienstleistungssektor für weitaus mehr Beschäftigung verantwortlich als die Industrie.
Auch der öffentliche Sektor wird sich nach den Konjunkturprogrammen wieder konsolidieren. Somit wird selbst Berlin von dieser Krise irgendwann getroffen. Der Schock kommt also, er kommt nur etwas später.
Ich gehöre zu denen, die soziale Unruhen im Land fürchten, nicht nur wegen der Krise selbst, sondern vor allem weil sie die Bevölkerung ziemlich unvorbereitet trifft. Der Grund dafür ist jedoch nicht ganz klar. Warum weiß der durchschnittliche Belgier mehr von dieser Krise als der durchschnittliche Deutsche?
Deutschland ist nicht besonders
Vielleicht ist es der wirtschaftliche Exzeptionalismus, der seit Gründung der Bundesrepublik Menschen zu dem Fehlurteil verleitet, man sei mit der sozialen Marktwirtschaft besser aufgestellt als andere mit ihrer unsozialen Marktwirtschaft. Dieser Ausnahmeglaube schürt auch die falsche Annahme, die deutschen Banken seien nicht so betroffen wie Banken anderswo. Es hat sich mittlerweile herausgestellt, dass deutsche Banken relativ zu ihrer Größe wahrscheinlich mehr Schrottpapiere in ihren Bilanzen haben als amerikanische.
Vielleicht ist es auch der zu gut funktionierende Sozialstaat mit seinen Regelungen zur Kurzarbeit, durch die zumindest kurzfristig kein Leidensdruck aufkommt. Deutschland steht selbst bei starken Konjunktureinbrüchen gut da, was die soziale Absicherung betrifft. Das ändert sich aber, wenn der Einbruch länger als normal dauert.
Die Debatte über die strukturelle Exportabhängigkeit des Landes wird momentan nur von wenigen Experten geführt. Aber eigentlich müssten sich deutlich mehr daran beteiligen. Denn viele werden betroffen sein, weil im Zuge des Abbaus globaler Ungleichgewichte der deutsche Handelsüberschuss in seiner Größenordnung nicht von Bestand sein wird. Viele Deutsche sehen zwar im amerikanischen Defizit eine Ursache für die globalen Ungleichgewichte, aber nicht in den deutschen Überschüssen. Als hätte das eine mit dem anderen nichts zu tun. Wütend werden auch die jungen Menschen sein, die auf das Gejammer der Industrie über Ingenieurmangel hereingefallen sind und sich ein schweres und langjähriges Studium zugemutet haben - und die dann überrascht feststellen müssen, dass es keine krisensicheren Branchen gibt.
Die Wut wird kommen. Wenn die Arbeitslosigkeit wieder steigt, zunächst auf vier Millionen, dann auf fünf Millionen; wenn Unternehmen erkennen, dass der Absatzrückgang nicht durch den normalen Konjunkturverlauf verursacht wurde, sondern durch einen strukturellen Bruch in der globalen Nachfrage; wenn Kurzarbeit in Arbeitslosigkeit mündet. Dann kommt die Wut, auch und vielleicht gerade in Berlin.
Sie wird kommen, wenn man plötzlich merkt, dass die Realwirtschaft und die Finanzwirtschaft viel enger zusammenhängen, als einem lieb ist. Die Wut wird sich natürlich gegen die Banker richten, die man im Verdacht hat, die Krise verursacht zu haben. Aber auch gegen Politiker, die nicht ausreichend reagiert haben, gegen Ausländer, gegen Journalisten, vielleicht auch gegen Beamte, die sich krisenfester Jobs erfreuen.
Wie man's macht, macht man's falsch
Mit jedem Jahr Krise - ich erwarte fünf Jahre Quasistagnation von 2010 an - wird die Lage auf dem Arbeitsmarkt kritischer, zumal die Bundesregierung zu wenig tut, um den längst überfälligen und unausweichlichen Strukturwandel weg von einer Exportgesellschaft zu gestalten. Sie hört immer nur auf die Industrieverbände. Jedes Mal, wenn zu Krisengipfeln ins Bundeskanzleramt eingeladen wird, dann sind diese Interessenvertreter in der Mehrheit. Deshalb ist es kein Wunder, dass bei den Gipfeln Industriepolitik und nicht Nationalökonomie herauskommt.
Mit der Wut wächst leider auch die Versuchung für Politiker, diese auszunutzen. Für viele Bürger ist es nicht verständlich, dass man jetzt die Banken neu kapitalisieren muss, nicht um der Banken, sondern um der Wirtschaft willen. Berichte, wonach die Summe schlechten Bankvermögens bei deutschen Instituten mittlerweile 816 Mrd. Euro beträgt, zeigen, dass die von der Regierung geplanten Bankenrettungsprogramme nicht ausreichen werden. Die Rettung wird sehr teuer.
Und auch wenn es Politiker ungern zugeben: Natürlich wird der Steuerzahler bezahlen. Es ist völlig egal, ob wir die Rettungsfonds außerhalb unserer volkswirtschaftlichen Bilanzen laufen lassen. Die Bankenkrise hat uns gelehrt, dass Bilanzierungstricks langfristig nicht funktionieren. Solche Vorhaben sind nützlich für Wahlkämpfe. Aber sie gaukeln uns lediglich die Illusion vor, die Rettung sei umsonst.
Wenn das Paket nicht ausreicht, wird die Regierung ein weiteres Paket draufsetzen. Und dann noch eins. So wächst die Wut weiter. Wenn die Regierung auf Volkes Stimme hört und die Banken bluten lässt, werden Realwirtschaft und Arbeitsmarkt leiden. So wächst die Wut ebenfalls.
Man sollte daher die merkwürdige Ruhe im Land nicht falsch interpretieren. Es ist nicht die Ruhe einer mit sich zufriedenen Gesellschaft. Es ist die Ruhe vor dem Sturm.
Wolfgang Münchau ist FTD- und FT-Kolumnist. Er leitet den Informationsdienst Eurointelligence.
Aus der FTD vom 29.04.2009
„Die reinste Form des Wahnsinns ist es, alles beim Alten zu lassen und gleichzeitig zu hoffen, dass sich etwas ändert.“
(Albert Einstein, 1879–1955)